Antichrist - © Polyfilm

"Antichrist" - Einzig im Tod: Erlösung

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Gewalt, Sex, Macht, das Böse, Satan, Liebe, Religion, Höllenabgründe, Apokalypse der Natur: Lars von Triers „Antichrist“ zeigt das. Aber der Film ist vor allem eine Parabel über den Tod.

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Gewalt, Sex, Macht, das Böse, Satan, Liebe, Religion, Höllenabgründe, Apokalypse der Natur: Lars von Triers „Antichrist“ zeigt das. Aber der Film ist vor allem eine Parabel über den Tod.

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Händels „Rinaldo“: Hier beweint die gefangene Almirena ihr Schicksal in der Betörung der Arie „Lascia ch’io pianga“. Zu den satten Klängen dieses Opern-Welthits kopuliert ein Ehepaar unter der Dusche – in edlem Schwarzweiß ist jede Bewegung der beiden gefilmt. Daneben spielt das Kind des Paares. Unbeaufsichtigt. Und der Kleine stürzt aus dem Fenster. Mehrere Stockwerke tief. Tot.

Von allem Anfang an ist der Tod in Lars von Triers Film „Antichrist“ gegenwärtig. Nach den quälenden 104 Minuten weiß man: Schon der Tod des namenlosen Kindes ist Erlösung, und bei dem, was die beiden, anonym als SIE und ER benannten Protagonisten noch miteinander mitmachen, haben sie den Tod als drohendes wie erlösendes Fanal ständig vor Augen. Unerträglich nicht nur die explizit dargestellte Gewalt in diesem pechschwarzen Meisterwerk. Mindestens so unerträglich auch die Psychologie der Unausweichlichkeit, der Lars von Trier hier frönt.

Wer geglaubt hat, der dänische Regisseur des Bösen habe mit „Dancer in the Dark“ (2000), wo er die isländische Pop-Bardin Björk unschuldig hinrichten lässt, die seelische Folter im Kinosaal aufs höchste strapaziert, wird mit „Antichrist“ eines Besseren belehrt: Noch verstörender, noch sowohl subtil als auch offensichtlich brutaler, noch auswegloser, noch abgründiger präsentiert sich ein Beziehungsgeflecht, in das sich ER (Willem Dafoe) und SIE (Charlotte Gainsbourg) hineinmanövriert haben.

Eine vollstreckte Weissagung

„Lass mich weinen / Über mein grausames Schicksal / Und lass mich für Freiheit seufzen. / Möge der Kummer brechen / Die Fesseln meiner Qual …“: Die Eindringlichkeit der Händel-Arie, die sich im italienischen Original tief ins Gemüt eingräbt, ist ohne Zweifel von Anfang an ein Schlüssel zu diesem Film, der von Gewalt, Sex, Macht handelt sowie über das Böse, Satan, die Liebe, Religion, Höllenabgründe und eine Natur, die nichts als Apokalypse ist, fantasiert – und diese Fantasien über die Grenze der Erträglichkeit hinaus auslebt. Aber auch und vor allem ist „Antichrist“ eine gerade in seiner Schrecklichkeit grandiose Parabel über den Tod. Nicht nur über das „unschuldige“ Hinscheiden des Kindes, das die beiden Protagonisten zu Beginn des Filmes aus der Bahn wirft, sondern auch über das, was die neutestamentliche Apokalypse den „zweiten Tod“ nennt: „Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner – ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Das ist der zweite Tod.“ So steht es in der Offenbarung des Johannes (Offb 21,8).

Lars von Trier vollstreckt die düstere Weissagung dieser Prophetie einen ganzen Film lang. Dass das Opus „Antichrist“ heißt, hat nicht nur mit dem Verweis auf Nietzsches gleichnamige Schrift wider das Christentum zu tun, sondern eben mit den Anklängen an die Apokalyptik, welche einen neuen Himmel und eine neue Erde für die Guten und die Hölle für die Bösen prophezeit. Was ER und SIE in „Antichrist“ mitmachen, ist Hölle. Zweiter Tod. So weit, so schlecht.

ER ist Psychotherapeut, SIE hat eine Dissertation über Hexenverbrennungen geschrieben. Der Tod des Kindes der beiden bringt den Tod auch in die Beziehung. Und ER, jedes Einmaleins der Psychotherapie missachtend – man kann kein Familienmitglied therapieren, man darf keine Beziehung zur Klientin eingehen etc. –, will ihre Depression und ihre Panikattacken selbst behandeln. In vier Kapiteln – Trauer, Schmerz, Verzweiflung und Die drei Bettler – beginnt nichts weniger als ein Totentanz.

ER und SIE suchen – für ihre Therapie – die Hütte Eden irgendwo mitten im Wald auf, wo sie mit ihrem Sohn war und ihre Hexen-Dissertation geschrieben hat. Dort in der Natur eskaliert ein „Blair Witch Project“ der besonders grausamen Art, grausam, weil Lars von Trier es nicht im Angedeuteten belässt, sondern gleichermaßen psychisch wie physisch brutal zur Sache geht.

Dazu verpackt er jede Menge todesmotivgetränkte Symbolik: Ein Reh hat eine Totgeburt, ein Fuchs verschlingt sich selber, ein Vogelküken wird von seinen Eltern gefressen. Die Natur ist böse, erzählt der Film – man hat Lars von Trier vorgeworfen, er sei hier der Gnosis anheimgefallen, die ebenfalls von der Bösartigkeit der Natur ausgehe. Außerdem sei das Böse in „Antichrist“ einseitig auf die Protagonistin konzentriert, denn sie befreit sich mit Fortdauer der „Therapie“ von ihren Ängsten und tritt zum Generalangriff gegen ihn an: SIE rammt ihm beispielsweise einen Schleifstein durch die Wade, entmannt ihn und ist scheinbar dran, ihn umzubringen. Sie verstümmelt sich dann ihrerseits und fällt ihm, der seinerseits ums nackte Leben fürchtet, in die Hände: Und ER erlöst sich, indem er sich ihrer entledigt. Ob SIE durch den Tod erlöst wird? Das Leben, die Therapie war keinerlei Erlösung für sie.

Für die vermeintliche oder tatsächliche Frauenfeindlichkeit, die in solcher Darstellung kulminiert, hat bei den Filmfestspielen in Cannes der Präsident der ökumenischen Jury dem Film „Antichrist“ ironisch einen „Antipreis“ verliehen. Charlotte Gainsbourg dagegegen – ein Beispiel für die kontroversielle Aufnahme des Streifens – erhielt die Silberne Palme für die beste Hauptdarstellerin.

Man kann sich – ob der Gewalt- und auch Sexualdarstellungen – solchem Film verweigern. Das ist legitim. Aber man mag auch verstehen, dass es dieser Bilder-Exzess ist, der dem Abgrund, dem Lars von Trier nachspürt, erst wirklich gerecht wird.

Dunkle Nacht zweier Seelen

Es greift zu kurz, das Opus als Fieberfantasie eines filmischen Gewalttäters abzutun. Fantasien, ja: Denn spätestens wenn man in die Traumwelt in diesem dunklen Wald eintaucht, wird klar, dass es hier um eine dunkle Nacht zweier Seelen geht – und um was für eine! Die religiösen Motive und Versatzstücke sind mit Händen zu greifen. Das Paar, das sich hier nach Eden zurückzieht, ist ja lang gekannt: Adam und Eva wollen es noch einmal versuchen. Und sie geraten aufs Neue mitten in den Sündenfall: Nein, das Paradies ist nicht mehr und die Natur – auch die menschliche? – ist eine „Kirche des Satans“, wie SIE einmal herausplatzt.

Hier könnte und müsste die eigentliche Diskussion um „Antichrist“ ansetzen. Denn nicht die schockierenden Bilder sind das Verstörende an diesem Film, sondern dessen Behauptung des Bösen als ultimativer Ort des Menschen. Und dass es (auch) die Religion ist, die den Weg zur Hölle pflastert. Anti-Adam und Anti-Eva in Anti-Eden – das führt schnurstracks zu „Antichrist“. Auch ein Christ sollte sich die Auseinandersetzung mit solcher Dämonie nicht versagen.

Der „zweite Tod“ der Apokalypse ist auch ein christliches Bild. Lars von Trier hat keinerlei Hemmung, dieses seinem Publikum fortwährend um die Ohren zu schmeißen.

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