Ausbünde an Verlangen und ZärtlIchkeIt

Werbung
Werbung
Werbung

Die paradiesische Liebesgeschichte zwischen einem Teenager und einem Jungakademiker im Italien der 1980er- Jahre ist ein literarisches Gustostückerl.

André Acimans Roman "Ruf mich bei deinem Namen" blieb nach seinem Erscheinen 2008 im deutschen Sprachraum ein Geheimtipp. Dabei ist die paradiesische Liebesgeschichte zwischen einem Teenager und einem Jungakademiker im Italien der 1980er-Jahre ein literarisches Gustostückerl, das Romantik pur darstellt, ohne je die Grenze zum Kitsch zu überschreiten.

Fast atemlos lesen sich die aus der Perspektive des Geradenicht-mehr-Knaben Elio erzählten Fantasien und Ereignisse: Die Geschichte der höchst schüchternen Annäherung eines jungen und eines ganz jungen Mannes, die dann, am Ende eines gemeinsamen Sommers, ein paar Augenblicke lang zur Sache kommen, ehe alles wie im Herbstwind verweht. Ein auch sprachlich virtuoses Spiel zwischen Zueinander und Verweigerung, dessen Umsetzung in einen Film zweifelsohne besonders herausfordernd war.

Dass diese Übung nicht bloß "gelungen" ist, sondern dass "Call Me by Your Name" einen der großen Liebesfilme des Jahres darstellt, ist zum einen dem bald 90-jährigen James Ivory zu verdanken. Denn Ivory wandelte die atemlose Beobachtungssprache des Romans zu einem filmbaren Plot, der das erotische Knistern der Vorlage gleichermaßen atmet wie er die Langsamkeit der Handlung belässt. Letzterer verschafft Regisseur Luca Guadagnino ausreichend Raum, auch die landschaftliche Bildkomposition des Films ist grandios: epische Betörung für einen Hauch namens Liebe, die so vergänglich bleibt wie eh und je.

Schließlich ist auch der Aufstieg eines jungen Schauspielers mit "Call Me by Your Name" perfekt": Mit welcher Nuancierung -Hintertriebenheit wie Verzweiflung wie Begehren -Timothée Chalamet in der Rolle des Elio agiert, scheint ebenso unglaublich wie die Nominierung des gerade 22-Jährigen für den diesjährigen Hauptdarsteller-Oscar, die völlig gerechtfertigt ist.

Leichtigkeit mit erotischen Motiven

Drei weitere Oscars sind möglich -als Bester Film ist "Call Me by Your Name" nominiert, James Ivory steht auf der Liste für einen der beiden Drehbuch-Oscars, und auch der Titelsong kann noch zu Academy-Ehren kommen.

Dabei brillieren die anderen Schauspieler gleichfalls: Armie Hammer als Oliver, Elios Objekt der Begierde, überzeugt ebenso wie Michael Stuhlbarg oder Amira Casar in der Rolle von Elios Eltern. Im Ganzen hebt sich "Call Me by Your Name" von üblichen Coming-of-Age-und Coming-Out-Dramen ab. Dass für Elio die Erfahrung erster und umso prägenderer Liebe mit einem Mann seiner Träume stattfindet, behindert die Allgemeingültigkeit der Darstellung von Liebe keineswegs. Der Film spielt gleichermaßen mit homo-wie hetero-erotischen Momenten, und die Leichtigkeit, mit der er das tut, zeigt, dass es hier um die einzigartige Erfahrung einer Liebe geht, - ganz gleich, zwischen welchen Menschen oder Geschlechtern sie stattfindet.

Die 1980er-Jahre sind der zeitliche Kolorit, in denen "Call Me by Your Name" angesiedelt sind. Ein Setting unbeschwerter Jugend, aber doch auch eine Zeit, in der Homosexualität keineswegs einfach akzeptiert war. Elio, der 17-jährige hochbegabte Schüler und Klavierspieler, verbringt mit seiner jüdischen US-Familie Perlman wie alljährlich den Sommer in deren Haus an der italienischen Riviera. Sein Vater ist ein angesehener Altertumswissenschafter, und sein Haus ist offen für viele Gäste und engagierte Diskussionen. Eine Intellektuellen-Idylle aus der oberen Mittelklasse. Für Elio geht seine Mannwerdung aber auch mit Fadesse und Abschottung den Jüngeren wie den Älteren gegenüber einher.

Sexuelle Erfahrungen mit einem gleichaltrigen Mädchen stehen dennoch auf der Tagesordnung, aber mehr als spielerische Versuche scheint das alles nicht zu bedeuten. Alljährlich lädt Elios Vater auch einen jungen Wissenschafter aus den USA für ein paar Wochen ein, der einerseits des Professors Korrespondenz betreut und andererseits eigene Forschungsarbeiten in der Ruhe der italienischen Landschaft weitertreiben kann.

Es geht um den Augenblick, den zuzulassen und zu genießen zwei junge Körper und Seelen erst lernen müssen.

Augenblicke, die fürs Leben prägen

Diesmal ist es Oliver, liberaler Jude wie seine Gastgeber, der als Sommer-Praktikant zu den Perlmans kommt. Oliver, etwa sieben Jahre älter als Elio, schreibt gerade an einem Buch und scheint in vielerlei Hinsicht mit allen Wassern gewaschen zu sein. Er bandelt im Nu mit allen und jedem an, ist der Schwarm der (weiblichen) Dorfjugend und gibt sich Elio gegenüber kalt bis abweisend.

Doch der junge Perlman fühlt sich magisch zu Oliver hingezogen, die Schmetterlinge im Bauch kriegt er nicht mehr los -es beginnt ein Spiel um Anziehung und Abweisung: Denn Oliver, der Schroffe, verbirgt hinter seiner rauen Fassade eigene Sehnsüchte, die er zuerst nicht zulassen will -oder Elio gegenüber nicht zulässt.

Der Jüngere muss da noch viel entdecken und lernen, was es mit so etwas wie Liebe auf sich hat. Aber der "erfahrene" Oliver kann letztlich auch nicht behaupten, mit allen Wassern gewaschen zu sein, selbst wenn seine eigene Vergangenheit den ganzen Film lang im Dunklen bleibt. Das stört aber nicht, geht es in "Call Me by Your Name" zuvorderst um den Augenblick, den zuzulassen und zu genießen zwei junge Körper und Seelen erst lernen müssen.

Großartig, wie diese Lernreise hier vermittelt wird. Auch was die Lebensklugheit betrifft: Denn nicht erst seit Doktor Faust weiß die Welt, dass der Augenblick eben nicht festzuhalten ist. Aber prägen fürs Leben kann er ganz gewiss

Call Me by Your Name USA 2017. Regie: Luca Guadagnino. Mit Timothée Chalamet, Armie Hammer, Michael Stuhlbarg. Sony. 132 Min.

Call Me by Your Name Ruf mich bei deinem Namen Von André Aciman Übers. von Renate Orth-Guttmann dtv 2018. 288 S., kt., € 11,30

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung