"Bilder von wirklichen Menschen"

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Die Roulins

Postmeister Joseph Roulin (o.) und sein Sohn Armand Roulin (u.). Li.: gefilmte Schauspieler (Chris O'Dowd, Douglas Booth); Mi.: Porträt von Vincent van Gogh; re.: für den Film "Loving Vincent" gemalte Porträts der Schauspieler. Ga. li.: Robert Gulaczyk als Vincent.

"Jeder der 125 Ölmaler absolvierte 200 Stunden Training: 100 in Van-Gogh-Stil und 100 in Animationstechnik."

"Immer wieder wollten wir mit der Geschichte in eine bestimmte Richtung gehen, aber wenn es keine Bilder von Vincent dazu gab, konnten wir diese dann nicht so erzählen."

Die polnische Malerin und Regisseurin Dorota Kobiela und ihr Mann, der britische Regisseur und Produzent Hugh Welchman, versuchen in "Loving Vincent" die Kunstgattungen Ölmalerei und Film miteinander zu verschmelzen. Welchman erzählte der FURCHE, ob und wie das funktioniert

Die Furche: Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film wie "Loving Vincent" zu machen?

hugh Welchman: Vor zehn Jahren war es die Idee meiner Frau Dorota Kobiela. Sie hat in Polen Malerei studiert. Dort kann man sich bereits mit 14 Jahren auf Malerei spezialisieren. Nachdem sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, arbeitete sie -wie viele Maler - in anderen Bereichen wie Grafik-Design oder visuellen Effekten in der Industrie. Mit 29 kam sie in eine Krise, weil sie merkte, dass sie sich weit davon entfernt hatte, was sie eigentlich machen wollte. Da sie aber auch einiges übers Filmemachen gelernt hatte, entschied sie, diesen Film zu "malen".

Die Furche: Aber Malerei und Film sind doch sehr verschieden. Die eine ist etwas Statisches, der andere hingegen dynamisch.

Welchman: Dorota versuchte, die Fertigkeiten, die sie als Malerin erworben hatte, anzuwenden, um einen Film zu drehen. Natürlich ist ein Film kein gemaltes Bild, aber wir verwenden die Technik, um das Werk eines Malers zum Leben zu erwecken und seine Geschichte zu erzählen. Sie wollte die Geschichte am Werk von Vincent van Gogh erzählen. Sie las Vincents Briefe, als sie 15 war, mit 16 sah sie seine Bilder erstmals im Museum. Ihre Dissertation war über die Verbindung von psychischen Krankheiten und Kreativität. Einer der Künstler, über die sie da schrieb, war Vincent. Von daher war sie überzeugt, dass er die richtige Wahl war, die Geschichte über Bilder zu erzählen. Mehr als andere Maler malte Vincent die ganze Welt, die ihn umgab -sein Schlafzimmer, seine Schuhe, die Person, die ihm das Essen brachte, seinen Arzt So schien es richtig, Vincents Leben auch im Film zu malen. Maler arbeiten allein, ein Regisseur muss dagegen eine Menge Leute bändigen. Ein Gemälde ist ein komponiertes Medium, ein Film dagegen ein kontinuierliches.

Die Furche: Der Maler ist normalerweise eine sehr einsame Person, aber für diesen Film haben Sie eine Menge an Malern benötigt - und das neben all dem Equipment, das man sowieso schon braucht, um einen Film zu drehen.

Welchman: Am schwierigsten war das Drehbuch, denn wir mussten nicht nur die Bilder zum Leben erwecken, sondern hatten auch dafür zu sorgen, dass sie historisch richtig sind. Immer wieder wollten wir mit der Geschichte in eine bestimmte Richtung gehen, aber wenn es keine Bilder von Vincent dazu gab, konnten wir diese dann nicht so erzählen.

Die Furche: Dennoch ist der Plot eine fiktionale Rekonstruktion der letzten Lebenstage van Goghs.

Welchman: Wir erzählen das mittels der historisch realen Personen, aber wir wissen natürlich nicht, wie sich diese tatsächlich verhalten haben -Armand Raulin hat diese Reise nie gemacht. Im wirklichen Leben war er als Teenager ein Schmied und später dann Polizist. Aber was dazwischen geschah, wissen wir nicht. Über seinen Vater, den Postmeister Raulin, und Vincents Arzt Dr. Gachet wissen wir mehr.

Die Furche: Es dauerte zehn Jahre, um den Film zu realisieren.

Welchman: Dorota hat zuerst einen Kurzfilm gemacht, das nahm ein Jahr in Anspruch. Dann hat sie das Drehbuch konzipiert und versucht, Geld für den Langfilm aufzutreiben. Während sie darauf wartete, nahm sie einen Job in meiner Produktionsfirma an. Wir haben uns verliebt -und ich habe sie von ihrer Arbeit abgehalten. 2011 hat Dorota dann begonnen, wieder ausschließlich für diesen Film zu arbeiten. Zwei Jahre brauchten wir, um die Malereien herzustellen, ein halbes Jahr für den Schnitt, vier Wochen drehten wir mit Schauspielern. Davor schrieben wir drei Jahre am Drehbuch und schufen die Infrastruktur des Studios, denn wir mussten ja bekannte Animationstechnologien für unsere Zwecke adaptieren. Wir mussten auch die Maler rekrutieren und trainieren, wir hatten 125 Maler, von denen hatten nur fünf zuvor schon an einem Animationsfilm mitgearbeitet.

Die Furche: Und Sie mussten alle dazu bringen, Ölbilder im Stil von van Gogh zu malen.

Welchman: Es gab schon unterschiedliche Gruppen -die einen malten nur in schwarzweiß, andere spezialisierten sich auf Porträts, aber innerhalb einer Gruppe mussten sie sich schon sehr angleichen. So benötigten wir sechs Monate, um das Gemäldedesign zu entwickeln. Jeder absolvierte 200 Stunden Training -100 Stunden in Van-Gogh-Stil und 100 Stunden in Animationstechnik. Wir hatten sechs Leiter der Animation, die jedes einzelne Bild abnahmen. Die Maler wurden pro Bild bezahlt - wenn also ein Bild nicht abgenommen wurde, bekamen sie auch nichts bezahlt. So war es in unser aller Interesse, dass sie es richtig malten.

Die Furche: Eine teure Angelegenheit, solch einen Film zu machen.

Welchman: Stimmt, er hat fünfeinhalb Millionen Dollar gekostet. Vor allem für Polen ist das ein sehr großes Budget. Aber im Vergleich zu einem Hollywoodfilm ist das ein Klacks.

Die Furche: Und Sie haben echte Schauspieler eingesetzt.

Welchman: Das war grundlegend: Vincent malte Porträts von wirklichen Menschen, die vor ihm saßen, er mochte es nicht, nur aus der Vorstellung zu malen. Er ist zwar für seine Felder und Landschaften bekannt, aber das bedeutet nur, dass er nicht genügend Leute fand, die ihm Modell sitzen wollten. Mit der Farbe und deren Auftragetechnik wollte er die Seele der Person ins Bild bringen. Er wollte keine fotografische Wiedergabe. Vincent malte echte Menschen, daher mussten auch wir echte Schauspieler malen.

"Vincent van Gogh ist zwar für seine Felder und Landschaften bekannt, aber das bedeutet nur, dass er nicht genügend Leute fand, die ihm für Porträts Modell sitzen wollten."

Loving Vincent GB/PL 2017. Regie: Dorota Kobiela, Hugh Welchman. Mit Douglas Booth, Chris O'Dowd, Saoirse Ronan, Jerome Flynn. Filmladen. 95 Min. Ab 29.12.

KritiK zu "loving vincent"

Ein atemberaubendes Unterfangen

Ein Jahr nach Vincent van Goghs Tod taucht eine Brief des Malers auf, den Armand (Douglas Booth) - der Sohn des Postmeisters Joseph Roulin (Chris O'Dowd), der mit dem Künstler befreundet war -an dessen Bruder Theo übermitteln soll. Armand, der das widerwillig macht, stellt fest, dass auch Theo längst tot ist, macht sich nun immer interessierter auf, die letzten Lebenstage van Goghs, der bekanntlich am 18. Juli 1890 Selbstmord begangen hat, zu rekonstruieren. Unter anderem reist er nach Auvers-sur-Oise, wo van Gogh zuletzt lebte, und sucht seinen Arzt Dr. Gachet (Jerome Flynn) und dessen Tochter Marguerite (Saoirse Ronan) auf. Er kommt dabei immer mehr Geheimnissen auf die Spur. - Der Plot und die Fiktion von Dorota Kobielas und Hugh Welchmans Animationsfilm "Loving Vincent" sind allzu spekulativ. Umso spektakulärer ist es, dass der Film aus 65.000 einzelnen Ölgemälden, auf denen 125 Künstler die von Schauspielern dargestellten Szenen festgehalten haben, animiert wurde -und zwar in Stil, Farb-und Formensprache von van Gogh. Ein atemberaubendes Unterfangen, das man gesehen haben muss.

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