"De Facto": Ein Film über die Unerträglichkeit und die Banalität der Gewalt
Selma Doborac‘ „De Facto“ mit Christoph Bach und Cornelius Obonya lässt einen bis zum Schluss nicht mehr los.
Selma Doborac‘ „De Facto“ mit Christoph Bach und Cornelius Obonya lässt einen bis zum Schluss nicht mehr los.
Ein Film, so erschreckend wie er nur sein kann. Und dabei sieht man in Selma Doborac‘ „De Facto“ nur jeweils einen Schauspieler – Christoph Bach beziehungsweise Cornelius Obonya – an einem glatten, von Heimo Zobernig gestylten Tisch auf einem von Franz West designten Stuhl sitzend, in einem einst herrschaftlichen Gebäude in Pötzleinsdorf im Westen Wiens. Ansatzlos beginnt Bach monoton und ohne sichtbare Emotion aus Berichten über Gewalttaten, Protokollen von Folter, Vergewaltigung oder Morden im Krieg zu rezitieren. Dann folgt, in seriöserem Outfit, Cornelius Obonya, der Nämliches tut – jedoch von der Warte eines Vorgesetzten aus. Dann kommt wieder Bach an die Reihe. 130 Minuten lang nur dieses Rezitieren. Ganze sieben Schnitte gönnt Regisseurin Doborac dieser „Handlung“, die keine Auskunft darüber gibt, von welchen Kriegen oder aus welchen Protokollen von Gewalttaten da zitiert wird, um welche Orte oder welche Geschehnisse es sich handelt. Die Kämpfe auf dem Balkan, der Ukrainekrieg? Syrien? Südsudan …? Nur das, was der Folterknecht oder sein Befehlshaber erzählt, prasselt auf das Publikum ein.
Man muss nicht Hannah Arendt bemühen, um dieser Banalität des Grauens gewahr zu werden. Es wird nichts gezeigt in diesem Film. Nur die scheinbar teilnahmslose Rezitation zweier Männer. Aber was da gesagt wird, geht unglaublich unter die Haut: Wie etwa eine multiple Vergewaltigung aus der Sicht eines Täters da geschildert wird, in technokratischer Beschreibung, als ob es sich ums Stanzen von Löchern in Metall auf einem Fließband handelt. Oder wie Babys, die von Tätern für lebensunwert erachtet werden, in Betonmischmaschinen zu Tode gebracht werden. All das schreit aus den vorgelesenen Protokollen entgegen – und wird noch unerträglicher, weil die Techniken der Entmenschung wie eine banale Gebrauchsanweisung fürs Kriegs- und Folterhandwerk vorgetragen werden.
Nur ein Gewitter oder das Geläut von Kirchenglocken unterbricht den emotionslosen Redefluss der beiden Protagonisten. Und bevor Dunkelheit über das Filmset hereinbricht, darf sich der „Vorgesetzte“ (Obonya) noch in philosophischen Plattitüden über die menschliche Natur, die die geschilderten Ungeheuerlichkeiten gebiert, ergehen. Durch die formale Strenge und das Konzept, die Gewaltmechanismen dadurch allgemeingültig zu machen, dass diese des örtlichen und zeitlichen Kontextes beraubt wurden, ist Doborac ein Zeitzeugnis ersten Ranges gelungen. Eine Unerträglichkeit, die man gesehen haben muss.