Diese Stimme für Ganz Nahost

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"In den sechs Jahren, die wir für den Film brauchten, habe ich erkannt, dass es fast unmöglich ist, Oum Kulthums Geschichte zu erzählen.

Zuerst wollte ich vor allem ein Biopic über Oum Kulthum machen. Dann habe ich festgestellt, dass dies die falsche Richtung ist. Es war ein persönlicherer Zugang nötig."

In ihrem zweiten Spielfilm macht sich die iranisch-amerikanische Foto-und Videokünstlerin Shirin Neshat auf die "Suche nach Oum Kulthum". Sie setzt der hierzulande wenig bekannten, aber in Nahost kultisch verehrten Künstlerinnen-Ikone ein filmisches Denkmal.

Die Furche: Was fasziniert sie an der ägyptischen Sängerin Oum Kulthum (1900-75)?

Shirin Neshat: Sie ist in Nahost eine der bedeutendsten und populärsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, sie wird von Israel bis Saudi-Arabien und dem Iran geliebt. Als sie 1975 zu Grabe getragen wurde, waren in Kairo vier Millionen auf der Straße. Interessant ist auch, für welch unterschiedliche Menschen sie ein Idol war -Juden, Christen, Muslime, säkulare und religiöse Muslime, Armen wie Reiche, Männer wie Frauen.

Die Furche: Oum Kulthum musste sehr darum kämpfen, diese Position zu erreichen. Sie entstammte einer sehr traditionellen Familie und emanzipierte sich davon -heute hätte sie vermutlich ein Kopftuch zu tragen.

Neshat: Ja. Sie wuchs in einem Dorf auf, ihr Vater war Musiker, sie sang mit ihm und ihrem Bruder in der Öffentlichkeit koranische Lieder, war aber als Knabe gekleidet, weil sie sonst nicht hätte singen dürfen. Unter König Faruk wurde sie in den 1920ern ein Star, damals war die Mode in Ägypten sehr europäisch. Sie sang Liebeslieder, ihre Texte wurden weniger religiös. Sie arbeitete mit einem Orchester. Nach der Revolution 1952, als König Faruk das Land verlassen musste und General Nasser kam, dachten alle, dass er ihre populären Radiosendungen beenden würde. Aber Nasser brachte sie zurück. Sie passte sich dem Regime an, wurde patriotisch, ihre Musik konzentrierte sich sehr auf Ägypten, das gegen Israel in den Krieg zog, geschlagen wurde und wirtschaftlich darniederlag. Einige kritisierten Oum Kulthum ob ihrer Nähe zu den politischen Führern. Aber als sie starb, war sie ein nationales Symbol.

Die Furche: Heute kann man sich derartige Popularität für eine muslimische Künstlerin in der muslimischen Welt kaum vorstellen.

Neshat: In der Islamischen Welt mit Extremisten vom IS bis zu den Taliban, mit konservativen Muslimen, Juden, Christen ist die Verehrung von Oum Kulthum allen gemeinsam: Das ist ein Phänomen. Während des Arabischen Frühlings auf dem Tahrir-Platz in Kairo war ihre Musik ständig präsent, auch in Israel wird sie gehört. Ich zeige, wie es in den Spaltungen der islamischen Welt eine einzelne Frau ist, die vereinen kann.

Die Furche: Wäre das auch ein Schritt in Richtung Frieden in dieser Region?

Neshat: Ich bin davon überzeugt, Künstler sprechen zu den Menschen auf eine Weise, wie es die beste Diplomatie nicht kann. Auch die Mehrdeutigkeit und Unklarheit, die ein Künstler ausdrücken kann, bewegt die Zuhörer auf eine Weise, wie es auch der beste Diplomat nicht kann. Du spielst ein Lied von Kulthum -und allen fühlen Frieden. In Wien haben wir für den Film ein Konzert von ihr gedreht -mit Flüchtlingen aus Syrien, Palästina, Ägypten, Iran, Irak dabei. Ich war völlig weg, wie sie geweint haben: Oum Kulthum ist in den Seelen der Region.

Die Furche: Ihr Film thematisiert auch das Künstler-Sein und dessen Schwierigkeiten.

Neshat: In den sechs Jahren, die wir für den Film brauchten, habe ich erkannt, dass es fast unmöglich ist, Kulthums Geschichte zu erzählen. Die Herausforderung für diese Frau war, Leben und Karriere in Einklang zu bringen. Vielleicht war das auch der Grund, dass es bislang noch keinen Film über sie gibt. Sie gilt als eine Art Göttin. Es heißt, dass sie lesbisch war, aber die Menschen in Ägypten setzen sich damit nicht auseinander. Sie bleibt eine Heilige -und unberührbar.

Die Furche: Der Film erzählt die Geschichte der Regisseurin Mitra, die daran scheitert, ihr Leben wie Oum Kulthum zu gestalten. Warum wählten Sie diese Erzählebene?

Neshat: Weil es meine Erfahrung ist. Zuerst wollte ich ein Biopic über Oum Kulthum machen. Dann habe ich festgestellt, dass dies die falsche Richtung ist. Es war ein persönlicherer Zugang nötig -meine eigene Reflexion über den Konflikt zwischen 100-prozentiger Hingabe an die Arbeit und dem Wunsch nach einem "normalen" Leben. Ich habe einen Sohn, bin alleinerziehende Mutter und versuche, das in Einklang mit dem Künstlerin-Sein zu bringen.

Die Furche: Diese Erfahrungen betreffen im Film nur die Schwierigkeiten des Lebens.

Neshat: Mitra verkörpert viele Aspekte: Sie lebt im Exil. Ihr Kind ist nicht bei ihr. Und sie spricht, obwohl sie einen Film über eine arabische Künstlerin dreht, kein Arabisch. Sie ist umgeben von Männern. Das ist die Kombination von Umständen, die diese Frau bedrücken und dazu führen, die Geschichte, die sie erzählen will, zu überdenken.

Die Furche: Ein Gutteil Ihrer Crew stammt aus Österreich, Kameramann Martin Gschlacht ist hierzulande einer der Besten.

Neshat: Ich arbeitete mit Martin schon bei "Women Without Men" zusammen. Es hat keine Rolle gespielt, dass er Österreicher ist, ich aus dem Iran stamme und der Film von einer Ägypterin handelt. Es ging darum, wie wir am besten visuell und konzeptionell die Geschichte erzählen -einem westlichen Publikum und hoffentlich auch dem arabischen. Es war sehr leicht, dies gemeinsam mit Martin zu entwickeln. Ich bin eine Iranerin, aber ich bin auch eine echte Westlerin, meine Arbeit ist viel mehr europäisch als iranisch inspiriert. Die visuelle Anmutung meines Film ist sehr österreichisch.

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