MyZoe - © Warner Bros.

Doktorin Frankenstein der Moderne

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Im Jahr 2018 gelang es chinesischen Wissenschaftlern, Affen zu klonen. Ein furchteinflößendes Geschehen. Da der Affe dem Menschen verwandt ist, lag der Gedanke nicht fern, dass in naher Zukunft auch genetisch identische Menschen fabriziert werden könnten, selbst wenn in Euro­pa reproduktives Klonen zurzeit geächtet ist. Das Multitalent Julie Delpy (Autorin, Regisseurin, Schauspielerin und Produzentin) wagt es, diesen heiklen Gedanken in ihrem hoch­-
karätig besetzten Film durchzuspielen.

Die Genetikerin Isabelle führt ein anstrengendes Leben. Nach der Trennung von ihrem Ehemann kümmert sie sich ums Wohl ihrer Tochter Zoe und darf sich dafür von ihrem Ex-Mann auch noch zurechtweisen lassen. Trotzdem versucht sie, Zoe nicht nur eine unbeschwerte Kindheit, sondern auch eine Fülle von Anregungen zu geben. Doch dann wird die Tochter aufgrund einer Gehirnblutung ins Krankenhaus eingeliefert. Ihr Zustand verschlechtert sich beständig, bis schließlich das Beatmungsgerät abgeschaltet wird. Anstatt zu trauern, fasst Isabelle einen kühnen Plan: Sie entnimmt Zoe eine Gewebeprobe und reist nach Russland in die Klinik eines Reproduktionsmediziners. Er soll ihre Tochter klonen.

Delpys Mut verdient Anerkennung. Über eine Technologie nachzudenken, bevor Tatsachen geschaffen sind, ist klug. Wie Katell Quillévérés „Die Lebenden reparieren“ (2016) knüpft Delpy das strittige Thema an den Tod des einzigen Kindes. Durch Einfühlung in den schmerzlichen Verlust soll man den Wunsch der Mutter verstehen. Diese Strategie ist wirkungsvoll, ihre Inszenierung in drei Akten vermag aber nicht durchgehend zu überzeugen. So scheint Isabelles vorbildliches Bemuttern manchmal doch einem Erziehungsratgeber entsprungen zu sein. Der zweite Teil besticht dann durch seine emotionale Dichte, Sorge, Hoffnung, Verzweiflung, der unbeschreibliche Schmerz der Eltern werden differenziert eingefangen. Während der letzte Teil, der die Schwierigkeiten und Belastungen des Klonens darstellt, diese Tiefe nicht erreicht. Allzu schnell wischt er auch dessen Kritik, geäußert von der Ehefrau des Arztes, beiseite. Eindrucksvoll ist das visuelle Spiel mit der Verlagerung der Schärfentiefe. Sie betont Nähe und Distanz, auch Abschirmung, unterstreicht das Ringen der Elternteile um ihre jeweilige Präsenz.

Isabelle erscheint als Frankenstein der Moderne. Aber Delpy verkürzt die Perspektive, indem sie nur aus der Sicht der Mutter argumentiert. Das tote Kind kann sich nicht wehren gegen seine Duplikation. Das gegenwärtige Subjektverständnis, die Einzigartigkeit, die individuelle Autonomie, wird obsolet. Anders als die Schriftstellerin Mary Shelley vergisst Delpy zu fragen, wie sich eigentlich die Kopie fühlt.

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