Ein ganz und gar österreichisches Weslein

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"Der Fortschritt ist bedingt, wenn selbst das 'Anders-Sein' (ästhetischen) Normen unterworfen ist. Alles ständig umzuwerfen, das kostet Mut und freilich Kraft."

L'Animale", also das Tier in Katharina Mücksteins zweitem Spielfilm, das sind wir bzw. lebt es in uns. Vielleicht nicht von Anfang an und nicht immer als rau-leidenschaftliches Biest, wie es dem Titel gebenden Lied des Italieners Franco Battiato entspringt, sondern als schlummerndes, etwas gemächliches, verkapptes, gar österreichisches Weslein.

Ist es groß oder klein? Wild oder zahm, dressiert oder begehrlich, leise oder laut, unterdrückt oder - schließlich -freigelassen? Solange sich der Mensch, der es beherbergt, an die gesellschaftlichen Spielregeln hält, bewegt es sich wohl irgendwo dazwischen.

Das Tier in Mati döst...

Auch Mati (Sophie Stockinger) die Hauptfigur des Films, hält sich seit mittlerweile 18 Jahren ziemlich brav an alle Vorgaben und das Tier in ihr döst noch so dahin. Die Matura hat sie gerade geschafft und seit Längerem schon arbeitet sie ihrer Mutter Gabi (Kathrin Resetarits) in deren Tierarztpraxis zu.

Eventuell auch Matis Beruf später einmal, warum auch nicht. Ihre momentane große Leidenschaft aber gilt dem Motocross-Fahren. Als einziges Mädchen in der dörflichen Burschenclique hat sie sich ihren festen Platz dort in den vergangenen Jahren verdient: Sie ist unglaublich gut auf dem Bike, die Jungs respektieren sie, das ist ihre Gang, ihre erweiterte Familie. Der Mama zuliebe zwängt Mati sich zur Anprobe aber trotzdem in das rosa Kleid, das diese ihr zum Abschlussball gekauft hat. Es will ihr wirklich so gar nicht passen. Doch das hat nichts mit Matis körperlicher Größe zu tun.

Sophie Stockinger, die auch in Mücksteins "Talea" (2013) eine Hauptrolle spielte, ist ein Glücksfall für den Film. Selbst gerade 18 Jahre alt geworden und zudem mit feiner Empathie und sensibler Beobachtungsgabe ausgestattet, kann sie Mati besonders vielschichtig zeigen. Ihr stark burschikoses Auftreten ist in jedem Moment auch durchlässig für eine undefinierte, latente Sehnsucht nach weiblichen Stereotypen. Dass das menschlich angestrebte Zugehörigkeitsgefühl nämlich ausgerechnet in der Kategorisierung liegt, ist Fluch wie Erkenntnissegen zugleich. Für Mati wie für den Film.

Nicht nur im Kleid, sondern auch in Gegenwart der anderen Mädchen fühlt Mati ein Unbehagen, auf das sie seit jeher mit automatischer, unreflektierter Ablehnung reagiert. Bis sie auf die seltsame Carla trifft, die niemand leiden kann. Zwischen den beiden bahnt sich etwas an, sehr zum Leidwesen von Matis bestem Kumpel Sebi, der ihr eines Abends seine Liebe gesteht. Gefühle, die Mati nicht erwidern kann.

Die Provinz, in der Mati lebt, setzt sich auch in Sebi und in ihren Eltern fort. Und setzt ihnen zu. Mit der Zurückweisung durch Mati wird Sebi direkt noch ein wenig tiefer in seine ausgetretene Zukunft auf dem Land geworfen und sein Blick (die scharfsichtige Kamera von Michael Schindegger) wird plötzlich enger. Mati wird ihm jetzt entgleiten -und mit ihr manche Möglichkeiten.

Wahrheit und Wahrhaftigkeit

Doch auch Matis Vater Paul (Dominik Warta) kämpft mit sich. Das unfertige Haus, in dem er mit seiner Familie wohnt, sollte gerade er als Bauleiter längst fertiggestellt haben. Unzureichend empfindet er sich auch in sexueller Hinsicht, bis er seinem Wunsch nach Sex mit Männern -heimlich -nachzugehen beginnt. Gabi bemerkt das bald, sagt erst einmal aber nichts. Wahrheit und Wahrhaftigkeit: Was ist das schon und wozu ist das gut?

Nicht unbedingt subtil, aber dennoch effektiv lässt Mückstein Matis Maturaklasse im Deutschunterricht Goethes "Selige Sehnsucht" durchnehmen. Eine programmierte Kollision von Weisheit und Unfertigkeit in dieser Runde Pubertierender, mikrokosmische Vertreter einer Gesellschaft, die Individualisierung zum Leitprinzip erhoben hat, gleichzeitig aber komplett verunsichtert ihr Heil in der Normierung sucht.

Der Fortschritt ist bedingt, wenn selbst das "Anders-Sein" (ästhetischen) Normen unterworfen ist. Alles ständig umzuwerfen, das kostet Mut und freilich Kraft. Der elektronische Score von Bernhard Fleischmann treibt hier dynamisch an und gibt der Textur, die Mückstein und Schindegger auf dramaturgischer und visueller Ebene erzeugen, noch zusätzliche Dimension. Hier gibt es was zu sehen und trotzdem heißt es: weitermachen, "weiter-gehen". Denn die gekappte Leidenschaft? Bloß noch ein Ding, das Leiden macht.

L'Animale A 2018. Regie: Katharina Mückstein. Mit Sophie Stockinger, Kathrin Resetarits, Dominik Warta. Polyfilm. 93 Min.

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