Ein Monument mit Namen CHURCHILL

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"Winston Churchill wurde von der ungeliebten Notlösung an der Kabinettsspitze in diesen wenigen Tagen zur Hoffnung weit über Britannien hinaus."

"Wie Gary Oldman den Misanthropen und Sturschädel gibt, der einem gedemütigten Volk und dessen zaudernder Elite die Kraft zum Widerstand einbläut, macht im zurzeit keiner nach."

Es gibt Filme, die einem Denkmal ein Denkmal setzen: "Die dunkelste Stunde", das den britischen Kriegs-Premier Winston Churchill in den Tagen vor der Schlacht von Dünkirchen zeigt, ist solch ein herausragendes Kino-Ereignis. Da kommt es auch nicht so ganz auf die exakte historische Treue an. Sondern auf die Darstellung des Protagonisten. Und die erweist sich als phänomenal: Wie Gary Oldman den Misanthropen und Sturschädel gibt, der einem gedemütigten Volk und dessen über jede vernünftige Selbstverleugnung hinaus zaudernder Elite die Kraft zum Widerstand einbläut, macht im zurzeit keiner nach.

Den Golden Globe für diese extraordinäre Performance konnte Gary Oldman schon einfahren. Und dass er auch den diesjährigen Oscar nach Hause bringen wird, pfeifen längst nicht nur die Buchmacher von den Dächern.

Dünkirchen als Filmthema

Interessanterweise ist das Thema Dünkirchen ja auch cineastisch en vogue: Im letzten Sommer lief Christopher Nolans "Dunkirk" in den Kinos und setzte Maßstäbe in Sachen filmischer Schlachtengemälde. Und Regisseur Joe Wright ist nicht nur für seine Jane-Austen-Adaption ("Stolz und Vorurteil", 2005) bekannt, sondern in seiner Ian McEwan-Verfilmung "Abbitte"(2007) hat er bereits die Schlacht von Dünkirchen in Szene gesetzt.

In "Die dunkelste Stunde" erzählt Wright nun von den Vorgängen hinter dem Vorhang: Die im Endeffekt kriegsentscheidenden zwei Wochen im Mai 1940 beleuchten das Drama, eine Entwicklungsgeschichte von Winston Churchill, der ungeliebten Notlösung an der Kabinettsspitze, die in diesen wenigen Tagen zur Hoffnung weit über Britannien hinaus wurde.

Natürlich kommt "Die dunkelste Stunde" nicht ohne geschichtspädagogischen Impetus aus: Wie der Rücktritt von Neville Chamberlain, Premier und Protagonist der Appeasement-Politik, die im Mai 1940 durch den Blitzkrieg der Deutschen Wehrmacht gegen die Niederlande, Belgien und Frank reich und die daraus resultierende Einkesselung von mehr als 300.000 britischen Soldaten in Dünkirchen, der nördlichsten Hafenstadt Frankreichs, endgültig gescheitert war, vonstatten ging, ist jedenfalls außerhalb des Vereinigten Königreichs kaum mehr Allgemeinwissen.

Dort setzt der Film ein, wobei -dramaturgisch effektvoll -Churchill zunächst nur als Phantom gegenwärtig ist. Erst nachdem Chamberlain, um einem Misstrauensvotum zuvorzukommen, das Handtuch warf, tritt der große Alte auf den Plan: König George VI., der Churchill in Abneigung zugetan ist, beauftragt ihn widerwillig mit der Kabinettsbildung, und der 65-jährige Machtpolitiker holt seine ärgsten Widersacher -Chamberlain und Lord Halifax in sein Kriegskabinett, wo in der Folgte wieder eine lähmende Auseinandersetzung zwischen Befürwortern von Verhandlungen mit Hitler und dem Hardliner in Sachen Widerstand Churchill um sich greift.

Der einsame Wolf an der Kabinettsspitze

Ein gordischer Knoten, den der damals 65-jährige Fuchs mit kreativer Kriegsführung und beißender Rhetorik vor dem Unterhaus durchschlagen kann. Über den Ärmelkanal gelang die Evakuierung der britischen Armee, indem Churchill statt einer Kriegsmarine alles, was in Englands Ostküstenhäfen an einigermaßen seetauglichem Schwimmgerät aufzutreiben war, gen Frankreich schickte.

Mit den logistischen und militärischen Einzelheiten hält sich der Film aber nicht auf, denn er stilisiert Churchill zu einem einsamen Wolf, der auch seine eigenen Zweifel zu überwinden hat und längst nicht so skrupellos ist, wie er seinen Gegnern erscheint, als er das britische Bataillon, das von den Deutschen in Calais eingekesselt ist, ohne Wenn und Aber opfert, damit die Wehrmacht nicht auch Dünkirchen überrollt.

Und auch an Heldenlegenden lässt es Joe Wright nicht wirklich fehlen: Vor der entscheidenden Sitzung des Kriegskabinetts imaginiert der Film einen Verkehrsstau, worauf der Prime Minister erstmals in seinem Leben die London Undergorund benutzt: Dort, mitten unter dem einfachen Volk, erfährt der Misanthrop, dass sein Volk zum äußersten Widerstand bereit ist - worauf er die zaudernden Lords in Whitehall in die Wüste schickt.

Ja, auch solch schwülstiges Pathos hält "Die dunkelste Stunde" bereit, und ein differenzierender Blick auf den durchaus am Rand der Demokratie agierenden Premier, fehlt ebenfalls: Nicht nur Adolf Hitler war ein Feind, Mahatma Gandhi in Indien galt ihm gleichfalls als solcher. Auch die aktuellen Politthriller-Moden à la "House of Cards" haben in Dramaturgie und Drehbuch unübersehbar Spuren hinterlassen.

Man sollte ob der exzeptionellen Leistung von Gary Oldman über solche Untiefen der historischen Darstellung hinwegsehen. Von der Maske, die das Konterfei des echten Schauspielers bis zur Unkenntlichkeit entstellt, bis zur Sprache und den kleinsten Gesten ordnet Oldman alles dem Monument an einen Staatsmann unter, an dessen Errichtung er maßgeblich beteiligt ist.

Wie gesagt: Zumindest der Oscar gebührt dieser Leistung allemal.

Die dunkelste Stunde (Darkest Hour) GB 2017-Regie: Joe Wright. Mit Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Ben Mendelsohn, Stephen Dillane, Ronald Pickup. Universal. 125 Min.

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