Streik - Vincent Lindon (Mi.) spielt den Arbeitnehmervertreter Laurent Amédéo, der seine Belegschaft zu einen versucht. - © Filmladen

Einer wie Sisyphus

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Was Ken Loach fürs britische Kino ist, leistet Stéphane Brizé als französisches Pendant an engagierter Sozialdramatik. In seinem neuen Opus „Streik“ nimmt sich der Regisseur den sozialen Folgen des globalisierten Kapitalismus an. Es geht an die Existenz von Menschen, und auch buchstäblich ums Leben. Die Spannung zwischen der „kleinen“ Arbeitswelt und den „Notwendigkeiten“ im aktiengesteuerten Unternehmensgeist zu bestehen, geht für die Kleinen meist prekär aus. Nichts weniger erzählt der quasidokumentarisch und mit mehrheitlich Laienschauspielern realisierte Film.

Die Arbeiter des Autozulieferers Perrin im südfranzösischen Agen haben einige Opfer gebracht, damit der größte Arbeitgeber der Region das Werk nicht zusperrt: Sie haben auf Lohnzahlungen verzichtet und kostenlos mehr Stunden gearbeitet. Dafür sicherte der Arbeitgeber zu, das Werk nicht zu schließen. Doch obwohl es wirtschaftlich wieder aufwärts ging und sogar Gewinne zu verbuchen waren, beschließt die Spitze des deutschen Dimke-Konzerns, Agen wäre unrentabel, und 1100 Arbeitsplätze seien nicht mehr zu halten.

Unter Führung des altgedienten Arbeitnehmerführers Laurent Amédéo leistet die Belegschaft Widerstand – es kommt zum Streik, zu zähen Verhandlungen mit den Arbeitgebern, wobei sich der deutsche Vorstandsvorsitzende von Dimke, Martin Hauser, lange ziert, sich mit den renitenten Entlassungskandidaten an einen Tisch zu setzen.

In dokumentarischem Stil

Regisseur Brizé legt den Plot von „Streik“ in dokumentarischem Stil an: Die TV-Bilder von der Auseinandersetzungen leiten ins Geschehen ein, dann folgt die Handlung per Handkamera ausschließlich den Sitzungen und Verhandlungen der Arbeitnehmer – untereinander bzw. mit den Vertretern der Bosse und zuletzt dem Gotts­obersten Hauser selbst. Grandios deckt der Film alle mögliche Stränge der Auseinandersetzung auf: die Uneinigkeit der Arbeiter, die von der Firmenleitung tunlichst gefödert wird. Einen Kampf gegen Windmühlen scheint Laurent zu führen, auch wenn er wieder und wieder betont, die Spaltung der Streikenden sei die Hauptstrategie des Konzerns.
Eine Sisyphusarbeit ist der Überzeugungsversuch von Laurent, und mit Fortschreiten des Films zeigt sich, wer die besseren Karten hat. Die über weite Strecken anonyme Arbeitgeberseite, deren Vertreter sich meist wie Strohmänner der wirklich Entscheidenden ausnehmen, gehören in diesen Wahnsinn ebenso wie die um Kalmierung bemühten Vertreter der Politik, die schöne Worte im Mund führen, denen aber ganz offensichtlich die Ruhe wichtiger als die echte Sorge um Arbeitsplätze zu sein scheint.

Laurent ist der zweifelhafte Held in dieser Auseinandersetzung, und man muss ihm dabei zuschauen, was die Mitstreiter(innen) und die Situation überhaupt nun mit ihm machen. Dass dieses Drama packend bleibt, ist dem filmischen Konzept Brizés ebenso zu verdanken wie seinem Haupdarsteller Vincent Lindon, der mit diesem Regisseur auch schon bei dessen Sozialdrama „Der Wert des Menschen“ (2015) zusammengearbeitet hat. Leider kein erfreuliches Thema, aber ein wichtiger Film, der die absolute Priorität der Mechanismen der Aktienmärkte vor individuellen Schicksalen von darob bedrohten Beschäftigten aufzeigt. In dieser Welt ist es für den Einzelnen kalt geworden. Sehr kalt.

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