Exil

"Exil": Im Tunnelblick

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Visar Morina entwickelt in „Exil“ ein beklemmendes Psychodrama über einen Immigranten aus dem Kosovo.

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Visar Morina entwickelt in „Exil“ ein beklemmendes Psychodrama über einen Immigranten aus dem Kosovo.

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Xhafer (Mišel Matičević) hat als Migrant aus dem Kosovo die Integration in die deutsche Mittelschicht geschafft: Er wohnt in einem Einfamilienhaus in einer gepflegten Vorstadtsiedlung, hat mit einer deutschen Frau (Sandra Hüller) drei Kinder und einen guten Job als Pharmaingenieur.

Zunehmend fühlt sich der 50-Jährige aber bei der Arbeit wegen seiner Herkunft gemobbt. Als er am Gartenzaun eine tote Ratte findet, glaubt er, dass ein Kollege dahintersteckt, und in der wiederholten Frage, ob er aus Kroatien stamme, sieht er ebenso einen rassistischen Angriff wie in der Aufforderung, seinen Namen zu wiederholen.

Geschickt lässt Visar Morina nicht nur bis zum Ende offen, was hier Einbildung und was reale Diskriminierung ist, sondern versetzt den Zuschauer auch meisterhaft in das Fühlen und Denken Xhafers. Dies ist nicht nur dem großartig zurückhaltenden Spiel von Mišel Matičević zu verdanken, der eindrücklich die zunehmende Gequältheit und sich langsam aufbauende Aggression des Pharmaingenieurs vermittelt, sondern auch der konzentrierten Inszenierung und der präzisen Bildsprache.

Hautnah folgt Morina seinem Protagonisten, der in jeder Szene präsent ist. Die Dominanz von Nah- und Großaufnahmen sowie widerkehrende Kamerafahrten (Kamera: Matteo Cocco) durch enge und dunkle Gänge sowie die Einengung des Raums durch Türrahmen machen die Beklemmung und den Tunnelblick Xhafers fast physisch erfahrbar. Langsam, aber perfekt aufgebaut entwickelt der 1979 im Kosovo geborene Regisseur die Handlung, die auch durch die Verankerung im gänzlich unspektakulären Alltag einer nüchtern-kühlen Bürowelt Dichte entwickelt.

Mit einem genauen Blick für Details wird präzise herausgearbeitet, wie Xhafers Paranoia zunehmend auch das Familienleben belastet. Sukzessive stirbt in der Ehe die Kommunikation ab, und Xhafer beginnt auch, seine Frau der Untreue zu verdächtigen, während er selbst eine Affäre mit einer Putzfrau aus dem Kosovo hat. Indem er mit dieser in seiner Muttersprache sprechen kann, findet er quasi ein Stück Heimat, will aber sonst nichts mit dieser Frau zu tun haben, denn er hat ja im Gegensatz zu ihr den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft.

Wohl aus persönlichem Empfinden gespeist, erzählt Morina differenziert und intensiv von Entwurzelung und dem Gefühl der Ausgrenzung. Dass dabei das Schicksal eines Arbeitskollegen eine überraschende Wende bringt, die bewusst macht, wie falsch Xhafer mit seiner Interpretation der Dinge liegen kann, gehört zu den weiteren Qualitäten dieses beklemmenden Psychodramas.

Nur konsequent ist es so auch, dass Morina keine simple Lösung anbietet, sondern seinen zweiten langen Spielfilm offen enden lässt.

Der Autor ist freier Filmjournalist.

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