"Freud – Jude ohne Gott": Eine poetisch-unprätentiöse Näherung
Otto Friedrich über ein filmisches "Kleinod".
Otto Friedrich über ein filmisches "Kleinod".
Der französische Dokumentarfilmer David Teboul, der vor zwei Jahrzehnten mit einer filmischen Biografie über Yves Saint Laurent bekannt geworden ist, setzt sich in „Freud – Jude ohne Gott“ mit dem Begründer der Psychoanalyse, auseinander. Der Titel „Jude ohne Gott“ ist etwas irreführend, zumindest wird die Gottesfrage (oder Nicht-Gottesfrage) im Film nicht wirklich thematisiert. Was der Titel aber – zu Recht – insinuiert, ist die Verwurzelung von Sigmund Freud und seinen Ideen im Judentum, auch wenn der Vater der „dritten Kränkung der Menschheit“ (nach dem Verlust der Erde als Mittelpunkt des Universums, des Menschen als Krone der Schöpfung durch Darwin nun der Verlust des Bewusstseins durch Freuds Entdeckung des Unterbewussten) jedenfalls kein religiös praktizierender Jude war.
Teboul erzählt das Leben Freuds von seiner Herkunft in Böhmen (mit Wurzeln bis nach Litauen) über sein Wirken in Wien bis zu seinem Tod im Herbst 1939 in London, wohin er vor den Nazis hatte fliehen müssen. Der Dokumentarfilmer verwendet dabei ausschließlich Fotografien und filmisches Archivmaterial, außerdem hat er an Orten, wo Freud war, selber mit der Super-8-Kamera „nachgefilmt“. Die Texte stammen von Freud selbst oder aus Schreiben an und über ihn, die von prominenten Schauspieler(inne)n gelesen werden – Johannes Silberschneider als Freud selbst, Birgit Minichmayr als Anna Freud, Catherine Deneuve als Freuds Pariser Vertraute und Schülerin Marie Bonaparte, Andrea Jonasson als Lou Andreas-Salomé und andere.
Durch diese filmischen Kunstgriffe, wobei Teboul ohne Experteninterviews, aber auch ohne nachgestellte Szenen mit Schauspielern auskommt, entsteht ein poetisches Flair, das diesen Film zu einem cineastischen Leckerbissen macht. Es liegt von Anfang an eine Patina und auch ein bisschen Pathos über dem Gezeigten. Teboul lässt sich und seinem Publikum viel Zeit, sodass der Protagonist in den wenigen Bildzeugnissen, die es von ihm gibt, auf eine fremde und doch nahe Weise plastisch wird. Wenn auf einen Film das Wort „Kleinod“ passt, dann auf diese unprätentiöse Näherung.