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Herrn Karls anderer Bruder

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„Was habe ich jetzt Dummes gesprochen", soll ein antiker Staatsmann leise und entsetzt zu seiner näheren Umgebung gesagt haben, als ihm plötzlich aufbrausender Beifall der großen Menge entgegenschlug. Es ist allerdings nicht überliefert, was er dann tat. Ob er einfach weitersprach oder seine Worte erschrocken widerrief. Der Rezensent war bei der jüngst vergangenen Premiere des Volkstheaters „Protektion6kind“ in einer vergleichbaren Situation. Während dieses Bühnengeschehens aus der vorgeblichen Wirklichkeit von 1894 fielen ihm einige kritische Formulierungen zur Charakteristik des Ganzen ein: „Lehär-Operette ohne Musik“, gezeichnete Bilderserie aus der alten „Kronenzeitung". Während er aber noch nachdachte, prasselte um ihn herum der Szenenbeifall los. Erst nur nach den großen Abgängen, gegen Ende der behaglich langen Geschichte , dann fast pausenlos sowie einer nur etwas lauter und dezidierter sprach oder gar eine lange Nase machte. Und da überlegte er es sich anders. Die genannten Charakteristika kann man ja auch mit einem positiven Vorzeichen versehen, ohne 6ie dem Wesen nach zu verändern. Schließlich war der Autor Gustav Davis Gründer und Chefredakteur der „Kronenzeitung", warum sollte er ihren Stil nicht pflegen? Und schließlich fand diese einst und heute ihr Publikum. Warum sollte es nicht applaudieren? Und genieren brauchte man 6ich des Niveaus wegen, das diese von Erich N e u b e r g geschickt zwischen Naturalismus und Parodie inszenierte Aufführung kennzeichnete, schließlich auch nicht. Da war ein ganz prächtiger Fritz M u 1 i a r (des „Herrn Karls“ anderer, ins moralische Gegenbild des kleinen, aber ehrlichen Wieners umgesetzter älterer Bruder), ein Hans Moser nacheifernder Kurt Sowinetz an der Spitze eines durchweg guten männlichen Ensembles; eine junge Russin aus dem Bilder- und Traumbüchel (schön ‘ind grausam), von Ingrid Capelle der weiblichen Quadrille mit jungem Temperament vorangetanzt. Man war gar nicht böse am Ende.

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