Nervland - © Foto: Filmladen

In der Beklemmung

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„Nevrland“: Gregor Schmidingers grandioses Spielfilmdebüt spielt mit vielen Genres – um eine Lebensbedrohung auf die Leinwand zu bringen: die Angst.

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„Nevrland“: Gregor Schmidingers grandioses Spielfilmdebüt spielt mit vielen Genres – um eine Lebensbedrohung auf die Leinwand zu bringen: die Angst.

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Man kann Gregor Schmidingers fulminanten Spielfilm-Einstand „Nevrland“ mit vielen Genre-Bezeichungen charakterisieren: (schwuler) Liebesfilm, Mystery-Thriller, Horrorfilm, auch Coming-of-Age- und Coming-OutFilm. Aber all diese Benennungen müssen sich in diesem Film einem Anliegen unterordnen: Der Thematisierung und vor allem der Visualisierung von Angststörungen.

Gregor Schmidininger, Jahrgang 1985, lebte selber zehn Jahre lang mit Angststörungen. Auch von daher kann sein Versuch, dies filmisch darzustellen, verstanden werden. Und der Versuch ist mehr als gelungen. Mit einem Repertoire aus abrupten Handlungswendungen/-abbrüchen, einer spezifischen Farbgebung, dem Hämmern von Techno-Musik und dem stroboskopartigen Einsatz von Licht(blitzen) wird auch der Zuschauer immer wieder in einen betörend-verstörenden Strudel gezogen, der vor Beklemmung nur so trieft. Solches ist im Kino bislang selten gelungen, aber spricht das Unterbewusstsein an, in dem sich ja auch die quälende und alles erwürgende Angst abspielt. Man kann Schmidinger bereits jetzt konzedieren, dass derartige Filmsprache Appetit auf mehr macht, es würde einen nicht wundern, wenn aus dem jungen Filmemacher ein weiterer österreichischer Stern am Filmhimmel wird.

Ein Gefühl, dem nicht zu entrinnen ist?

Jakob heißt der 17-jährige Protagonist von Nevrland, der mit dem siechen Großvater (Wolfgang Hübsch) und seinem Vater (großartig knorrig und lakonisch: Josef Hader) in einer kleinen Wohnung in Wien lebt. Der Vater arbeitet im Schlachthof. In diesem kommt auch Jakob als Praktikant unter – aber seine Angststörungen machen ihm das Leben und eine geregelte Tätigkeit schwer bis unmöglich. Der verstörte Boy bleibt in sich zurückgezogen, nur zu Hause nimmt er Kontakt mit sexuell Gleichgesinnten in einem SexCam-Chat auf. Dort „trifft“ er auf den geheimnisvollen 26-jährigen Künstler Kristjan (Paul Forman), und obwohl sie via Internet körperlich alles aneinander „kennen“, steht das persönliche Begegnen lange aus.

Langsam, heimlich und unheimlich gestaltet sich dieser Prozess, an dessen Ende Jakob und Kristjan sich dann einander leibhaftig gegenüberstehen. Eine scheue Annäherung beginnt, neben dem körperlichen Näherkommen stehen existenzielle und philosophische Fragen im Raum. Es geht buchstäblich um Leben und Tod, und Kristjan behauptet, das Mittel zu haben, um letzteren quasi im Vorhinein erlebbar zu machen. Der jungfräuliche Jakob wird so in einem Parforceritt der Gefühle zum Mann – doch der alte Affe Angst lässt und lässt ihn nicht los …

Um konventionelle Handlungsauflösungen schert sich Schmidinger wenig, aber die Audiovisualisierung von Angst schlägt in diesem Film ohnedies jede Handlung. Und: Ohne den Newcomer Simon Frühwirth, der hier erstmals vor der Kamera stand, wäre „Nevrland“ nie der Film geworden, der er ist. Kein Wunder, dass der Nachwuchsschauspieler sowohl auf der Diagonale als auch beim MaxOphüls- Festival für sein unnachahmli ches Spiel Preise einheimste.

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