Inception - © Warner

"Inception": Die Gedanken sind Nicht frei

19451960198020002020

Exzeptionelles Hollywood-Kino mitten im Sommer: Christopher Nolans Sci-Fi-Parabel „Inception“ schließt an große Vorbilder an und erweist sich als tiefgründig angelegter Zweifel an Gedanken- und Willensfreiheit.

19451960198020002020

Exzeptionelles Hollywood-Kino mitten im Sommer: Christopher Nolans Sci-Fi-Parabel „Inception“ schließt an große Vorbilder an und erweist sich als tiefgründig angelegter Zweifel an Gedanken- und Willensfreiheit.

Werbung
Werbung
Werbung

Es war – zum einen – einmal der Totalitarismus staatlicher Provenienz, der real war und vor dem es zu warnen galt: Die Partei war alles, die Gedanken wurden polizeilich kontrolliert und ein lückenloses Überwachungssystem sorgte dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger so funktionierten, wie es – beispielsweise – die Partei wollte. Was etwa der Stalinismus Mitte des vorigen Jahrhunderts vorgeäfft hatte, wurde bekanntlich von George Orwell in der düsteren Zukunftsparabel „1984“ künstlerisch auf den Punkt gebracht.

Ein halbes Jahrhundert sowie ein neues Jahrtausend später wirken die Geister des totalen Staates längst nicht mehr so bedrohlich wie zur Zeit des Kalten Krieges. Dagegen ist der Dämon der Ökonomie und der Ressourcenknappheit viel gegenwärtiger: Die globalen Oligopole auf dem Energiesektor machen den heuten Erdenbewohnern viel mehr Angst, und wenn sich dann gar ein Monopol anbahnt, dann ist Feuer am Dach. Totalitarismus 2.0 also. Orwell hätte sich das alles nie und nimmer träumen lassen.

Es war – zum anderen – einmal die Herrschaft des Virtuellen: Was im Cyberspace noch wirklich war und was virtuell, schien auch wacher Wahrnehmung zu entgleiten: Aus Menschen werden Cyberwesen – und umkehrt, niemand weiß mehr, wo es wirklich und wo es virtuell zugeht.

Von „1984“ bis „Matrix“

„Matrix“, das Opus der Gebrüder Wachowski, war die filmkünstlerische Annäherung an die Cyber-Ängste der Jahrtausendwende; der Aberwitz der adaptierten Kung-Fu-Kampfweise und die durch diesen Film populär gewordene Bullet-Time-Technik erwiesen sich als ebenso stilbildend wie die Erlösungsfantasien, die offenbar auch Computerprogramme befallen – und die in den beiden letzten Teilen der Matrix-Trilogie bis zur Unerträglichkeit breitgewalzt wurden.

Aber auch der Cyberspace ist heutzutage kein Heilsmysterium mehr und das Zusammenkleben mythischer Versatzstücken entspricht kaum mehr dem Zeitgeist.

Doch selbiger wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder von Hollywood bedient, wenn nicht gar wesentlich mitgeprägt. Man kann sich in diesem Sinn füglich ans neue Großepos der Traumfabrik, „Inception“ mit Namen, halten und sich auf einen großen Film einstellen, der, so darf prognostiziert werden, auf seine Weise geistig stilbildend ist. Und dabei mit den angesprochenen Eckpunkten – Orwells Totalitarismus-Wachträumen und der Wachowskis Cyber-Fantasien – im Hinterkopf die Weltsicht, die hier im Thrillergewand ausgebreitet wird, reflektieren.

Die Gedanken sind nicht frei. Dieser Gegensatz zum Vormärz-Schlager gehört mit Orwell wie mit dem Wissen von „Matrix“ zum in Romanform beschriebenen und fürs Kino verfilmten Menschheitswissen. „Inception“ bietet dazu eine aktuelle, aber um nichts weniger beklemmende Variante an: Es gibt Menschen wie den Protagonisten Dom Cobb, die sich in die Gedanken anderer einschleusen können, erzählt dieser Film. Cobb ist so ein „Extraktor“, genauer: deren Meister, der auf diese Weise Informationen stehlen kann.

Und: Information is money. Auch das mag keine innovative Erkenntnis sein. Aber dank Cobb & Co braucht man nicht einmal mehr wüste Folterknechte, um das gewünschte Wissen aus den Gehirnen der Geheimnisträger herauszuprügeln. Extrahieren heißt die viel elegantere, wenngleich mindestens so bedrohliche Technik.

Information is money

Jeder hat ein Unterbewusstsein, und in dieses klinken sich die Extraktoren während der Traumphase des Opfers ein und richten ihr Unheilswerk an. Doch Cobbs Meisterschaft hat Schattenseiten: Weltweit wird er gesucht, und alles, was ihm etwas bedeutet, hat er verloren. Seine beiden kleinen Kinder vermisst er am meisten – genau das ist seine Achillesferse.

Ein letztes Mal verdingt er sich für diesen Horror an Industriespionage und soll dabei seine Fertigkeiten perfektionieren, indem er nicht Wissen extrahiert, sondern – gemäß dem Filmtitel „Inception“ – eine Idee in ein fremdes Gehirn einpflanzt: Der japanische Milliardär Saito engagiert Cobb, um das Imperium seines Konkurrenten Robert Fischer zu zerschlagen. Robert Fischer Jr., dessen Sohn, soll mit einer für sein Unternehmen gefährlichen Idee infiziert werden: Nicht nur nicht frei sind die Gedanken also, sie können sich, wenn die Inzeption gelingt, wie Parasiten in einem Wirt verbreiten.

Man kann sich ausmalen, auf welche Wege und Abwege solches Gedankenexperiment führt. Hier angedeuteter Plot wird neben einem Millionenpublikum (das erste Wochenende in den USA brachte Rekordergebnisse) auch philosophische Seminare beschäftigen.

Dazu kommt noch, dass in der Ausgestaltung eben dieses Plots die Traum- und Realitätsebenen, die global verstreuten Orte des Geschehens so durcheinandergeraten, dass es eine Freud und eine Verwirrung ist: Auch diesbezüglich war „Matrix“ bestenfalls eine Vorstufe zu den neuen Bewusstseinsufern, die sich hier auftun. Ganz moderne Ufer, denn die Hirnforschung sät schon seit Längerem gehörige Zweifel unter die Gedanken- und Willenfreiheitsgläubigen. „Inception“ mehrt diese Zweifel auf grandios hinterhältige Weise: Große Menschheitsfragen im Hollywoodfilm – das ist nicht neu, aber aufs Neue spannend, und setzt auch die Tradition von Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssee“ (1968) oder Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982) genial fort.

Nolan und DiCaprio mit Bravour

Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan, zuletzt als „Batman“-Macher engagiert, ist mit „Inception“ am vorläufigen Zenit seines Könnens angelangt. Auch wie das Ganze technisch umgesetzt wird, ist ein Bravourstück – dass etwa in den Traumwelten die Schwerkraft verrückt spielt und die Protagonisten scheinbar auf Wänden oder an der Decke gehen. Ein Hotelkorridor wurde für die Aufnahmen auf Kardangelenken aufgehängt, um diesen Effekt filmen zu können, auch ein durch die Straßen von Los Angeles ratternder Güterzug stellte eine entsprechende Herausforderung dar.

Das Schauspielensemble von „Inception“ ist gleichfalls erste Wahl aus Hollywood und darüber hinaus: Ken Watanabe – abgründig, aber doch verletzlich als Saito, der Pate des Denk-Verbrechens; Joseph Gordon-Levitt gibt Arthur, das Alter Ego von Cobb, wunderbar authentisch. Als Ariadne, die „Architektin“, die von Cobb ins Metier der Traumkreation eingeführt wird, zeigt Ellen Page virtuose Unschuld, während die französische Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard in der gedankenparasitären Rolle von Cobbs verstorbener Frau Mal überzeugt. Ebenso Cillian Murphy als Robert Fischer Jr., das „Opfer“. Schließlich wird der Film zusammengehalten vom kleinen Auftritt des Altmeisters Michael Caine, der den Schwiegervater von Super-Extraktor Dom Cobb spielt.

All die exzeptionellen Darstellungen werden aber getoppt von Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio, der in „Inception“ alle Register seines Könnens ziehen darf und in oscarverdächtiger Form agiert: Auch ohne Martin Scorsese ist DiCaprio längst in der ersten Reihe von Hollywoods Charakterdarstellern angekommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung