Into The Ice - © Polyfilm

„Into the Ice“: Grönland – diese Wirklichkeit werdende Dystopie

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Der Dokumentarfilm des Dänen Lars Ostenfeld kommt einem physischen Wachrütteln ziemlich nahe.

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Der Dokumentarfilm des Dänen Lars Ostenfeld kommt einem physischen Wachrütteln ziemlich nahe.

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Ganz genau genommen meint das Wort „Katastrophe“ einen Wendepunkt in der Handlung einer Tragödie, an dem sich die Geschichte für die Helden endgültig zum Schlechten dreht. Diesen Punkt hat die Menschheit für ihr Dasein auf der Erde längst erreicht, schon lange überschritten. Wahrhaben will es kaum jemand. Verdrängung als Mittel zum Zweck ...

Vier Jahre lang begleitete der dänische Dokumentarfilmer Lars Ostenfeld für „Into the Ice“ drei der weltweit wichtigsten Forscher(innen) bei ihren Arbeiten auf dem grönländischen Inlandeis, das mit einer Ausdehnung von etwa 1,8 Millionen Quadratkilometern 82 Prozent Grönlands bedeckt. Zum Klimawandel geforscht wird vor allem dort, weil die Veränderungen in Grönland als Maßstab für die globalen Entwicklungen gelten.

Jason Box, Dorthe Dahl-Jensen und Alun Hubbard eint neben ihrer Hingabe an ihre/n Beruf/ung auch die einfache Sprache, mit der sie ihre hochkomplexen Erkenntnisse vermitteln. Niederschwellig ist auch der filmische Zugang Ostenfelds. Mit der oftmals selbst geführten Kamera gelingt ihm ein visuell besonders eindrucksvolles Zeugnis der „Verheerung in Zeitlupe“, wie Box es beschreibt.

In einem selbst gesprochenen Voice-Over (dt. Fassung: Campino von den Toten Hosen), in dem er die Forschungen und Prognosen erklärt, kann Ostenfeld seine Erschütterung, Angst und Erschrockenheit nicht verschleiern. In spektakulären Luftaufnahmen zeigt er unwirklich smaragdgrüne und saphirblaue Wasserströme, die als Schmelzwasser auf dem Eisschild sprudeln, schmale Eiscanyons formen und sich dann oft unerwartet als gewaltige Strudel in die Millionen Jahre alten Eisschichten bohren. Sogenannte Gletschermühlen unterhöhlen die Kilometer dicke Eisplatte mit „Rutschwasser“ und bewirken, dass das Eis nicht nur von oben, sondern auch von unten abschmilzt. Das Steigen des Meeresspiegels, ein Teil der Katastrophe, die bereits im Gange ist.

Aber auch der Sound ist in Ostenfelds Film eine effektiv dramatische Komponente. Als unablässiges, bedrohliches Murmeln zieht sich das dumpfe Knarren des Eises durch den Film. Besonders erschreckend in den Szenen, in denen Hubbard in eine der bisher tiefsten gemessenen Gletschermühlen hinabsteigt. Kein Computer könnte simulieren, wie sich das anhört, geschweige denn anfühlt. Ostenfelds Film kommt einem physischen Wachrütteln ziemlich nahe.

Die Autorin ist Filmkritikerin.

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