lourdes - © Stadtkino

"Lourdes": Wunder finden statt

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Preise – zuletzt den Wiener Filmpreis – hat Jessica Hausners dritter Spielfilm „Lourdes“ längst eingeheimst. Zu Recht: Der Film ein Meisterwerk kühler Beobachter heutiger Religion.

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Preise – zuletzt den Wiener Filmpreis – hat Jessica Hausners dritter Spielfilm „Lourdes“ längst eingeheimst. Zu Recht: Der Film ein Meisterwerk kühler Beobachter heutiger Religion.

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Auf Bergen, in Tälern, am rauschenden Fluss … Das altbekannte „Lourdes-Lied“ tönt aus vielstimmigen Frauenkehlen beim Aufstieg zum Marienheiligtum … Ertönet die Glocke zum englischen Gruß … Eine eingängige wie schlichte Melodie, die aber nicht aus dem Kopf will … Ave, ave, ave Maria! – Kindheitserinnerungen, die immer noch wach sind. Lourdes, eine Weltreise für die Großmutter, die von dort Lourdes-Wasser mitbrachte in einer hohlen Plastikflasche in Form einer „Lourdes-Madonna“. Die himmelblaue Plastikkrone konnte man abschrauben und dann mit dem heiligen Nass – beispielsweise – die Augen benetzen. Die Großmutter, befürchtend, an Grünem Star zu leiden, hoffte auf Heilung oder zumindest auf eine Senkung des Augeninnendrucks, der bei jener Erkrankung bekanntlich die Erblindung beschleunigt. Keine Erinnerung mehr, ob das Lourdes-Wasser irgendetwas geholfen hat. Dem Glauben der Großmutter hätte aber wohl auch Blindheit keinen Abbruch getan. Sie hoffte auf Heilung. Für sie waren Glaube und Marienfrömmigkeit Bestandteil des Lebens. Kein Zweifel. Oder nur dann Zweifel, wenn die Jungen alles in Frage stellten.

Pilgerhauptstadt Lourdes

Heute, bald 40 Jahre später, ist Lourdes immer noch Pilgerziel von Millionen. Die Stadt am Fuß der französischen Pyrenäen, wo 1858 dem Bauernmädchen Bernadette Soubirous eine weiße Frauengestalt erschienen sein soll, lebt von den Pilgern. Sechs Millionen Nächtigungen pro Jahr machen die 15.000-Einwohner-Gemeinde zur Nummer Zwei in Frankreich, nur in Paris weist die Statistik höhere Übernachtungszahlen auf.

Kranke und Behinderte suchen den Ort auch im angeblich von der Vernunft geprägten Zeitalter auf. Vernunftgeprägt? Von Bachblüten über Homöopathie, Radiästhesie usw. reichen die gern angenommen Heil(ung)s-Angebote. Im Konzert dieser Phänomene nimmt sich der Glaube ans Lourdes-Wasser und/oder an die Heilkraft der Fürbitte an Maria nicht einmal besonders exotisch aus. Jahr für Jahr richtet der katholische Malteser-Hospitaldienst auch von Wien eine Pilgerfahrt nach Lourdes aus – Kranke, nicht Gehfähige werden in den Wallfahrtsort gekarrt.

Darf man aber ein geistliches Ziel, einen Ort, der für den Glauben vieler Menschen wichtig ist, mit der Distanz des säkularen Beobachters belästigen? Man darf. Denn der Glaube muss sich in der Welt bewähren, muss den Augen der Welt standhalten und sich kritisch befragen lassen, will er nicht bloß zu spirituellen Beruhigungspille für Menschen verkommen, die durch die Zeit verstört wurden und sonst am Leben irre zu werden drohen.

Beobachtung aus der Distanz

Ein Film, der genau diese distante säkulare Beobachtung leistet, kommt demnächst in die Kinos. Jessica Hausners karges Opus „Lourdes“ hat längst Furore gemacht. In Venedig heimste es den Preis der internationalen Filmkritik ebenso ein wie den der ökumenischen Jury. Außerdem gewann der Film die Hauptpreise bei den Filmfestivals in Warschau und Sevilla, in Wien gab es schließlich Anfang November den Wiener Filmpreis. Der Ehrungs-Regen kommt nicht von ungefähr. Denn Jessica Hausners dritter Spielfilm besticht formal, ästhetisch und vor allem inhaltlich: Weder tränengeschwängerte Heilungsstory noch kalte Abrechnung mit dem Wallfahrtsbusiness, dem man in Lourdes auch auf Schritt und Tritt begegnen kann. Sondern eine naive, im besten Sinn: unbedarfte Beobachtung, wie eine gelähmte junge Frau in ein zwischen den Polen „tief gläubig“ und „bigott“ schillerndes Milieu gerät und sich selbst darin neu (er)findet, eine Vielleicht-Heilung inklusive.

Christine leidet an multipler Sklerose und ist vom Hals abwärts gelähmt. Diese junge Frau (exzeptionell dargestellt von Sylvie Testud) wird von Hausner keineswegs als Schmerzensfrau eingeführt. Nein, Christine würde gerne reisen, dumm nur, dass es für eine hochgradig Bewegungsunfähige kaum adäquate Angebote gibt – außer, an der von den Maltesern organisierten Lourdes-Fahrt teilzunehmen. Und so findet sie sich als Touristin der besonderen Art mitten in einer Schar Heilungssüchtiger. Umgeben von Malteser-Pflegerinnen und -Sanitätern in strengen Uniformen aus längst vergangener Zeit beobachtet sie erstaunt die Routine des Pilgeralltags mit Mahlzeiten, gewaschen und ins Bett gebracht Werden, dann der Besuch der Grotte, wo die Pilger die Wände berühren und küssen, auf dass sich die Magie des Ortes heilend auf sie übertrage.

Christine bleibt da die interessierte Skeptikerin, aber gerade ihr widerfährt das Unwahrscheinliche: eine innere Stimme, so erzählt sie später, befiehlt ihr eines Nachts, aufzustehen. Sie tut das, unsicher zwar, aber sie kann gehen – als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt.

Unbefangen erzählt Hausner diese Heilung, als ob Wunder das Selbstverständlichste auf der Welt sind – und dass es dabei die Ungläubige trifft inmitten der Schar von Frommen, die Jahr um Jahr nach Lourdes pilgern und unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren.

Dabei ist die Frage des Wunders ja gar nicht geklärt: Handelt es sich tatsächlich um eine Heilung oder bloß um eine Remission der Symptome – und beim nächsten Schub der Krankheit ist die Lähmung wieder da? Die Kunst von „Lourdes“ liegt darin, dass der Film vor allem durch die Beobachtung erzählt. Von allem Anfang an, als die Kamera den leeren Speisesaal im Pilgerhotel in den Blick nimmt, wo dann ein selbstfahrender Rollstuhl durchs Bild huscht, bis sich der Saal mit den Kranken und deren Betreuer/inne/n füllt, lenken Jessica Hausner und Kameramann Martin Gschlacht den Blick auf Gesichter und genau komponierte Stellungen, die viel mehr erzählen als die eigentlichen Dialoge.

Des Priesters Tänzchen mit der Nonne

Es gibt viel zu erzählen: Interaktionen unter den Pilgern, die eifersüchtig auf Christine werden. Gruppendynamik unter den Maltesern. Die ein wenig obskure Rolle des begleitenden Priesters, der am Schluss zur Italo-Schnulze „Felicitá“ – „Glück“ – auch ein Tänzchen mit einer Nonne hinlegt. Die Traurigkeit der alten Frau Hartl, die sich rührend um Christine kümmert, aber ihr Altruismus wird keineswegs belohnt.

Diese filmische Erzählweise arbeitet neben der genauen Beobachtung auch mit einer gehörigen Portion Künstlichkeit – und erdet gleichzeitig das „Wunder“, dessen Beiläufigkeit mitten aus dem Leben gegriffen scheint. Es ist tief berührend, wie subtil Hausner mit der Fragestellung von Marienfrömmigkeit und Wunderglaube hier umgeht: „Lourdes“, der Film, weiß mehr über Wunder und göttliche Ratschlüsse, als manche gelehrte Abhandlung oder ausgefeilte Predigt. Man kann nur empfehlen – und das beileibe nicht nur frommen Christen! –, sich dieser distanten Beobachtung einer säkularen Filmemacherin auszusetzen.

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