März - © Stadtkino

"März": Der unerklärte Tod - mitten in Tirol

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Vor kurzem war Händl Klaus noch der "Dramatiker des Jahres". Nun kommt der erste Spielfilm des gebürtigen Tirolers ins Kino: "März" ist ein erstaunliches Debüt - und eine Geburtsstunde neuer österreichischer Filmkunst.

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Vor kurzem war Händl Klaus noch der "Dramatiker des Jahres". Nun kommt der erste Spielfilm des gebürtigen Tirolers ins Kino: "März" ist ein erstaunliches Debüt - und eine Geburtsstunde neuer österreichischer Filmkunst.

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Den von Thomas Bernhard längst infizierten und nicht zuletzt von Felix Mitterer - von diesem zurzeit vor allem via "Tatort"-Drehbüchern - geeichten Konsumenten alpenländischer Dramatik kann ja kaum mehr erschüttern, was sich beispielsweise in den Tiroler Bergen abspielt. Der Katholizismus fräst seine autoritären Spuren nicht nur in die Gesichter der Leute, sondern in deren Leben. Und die in einer Jahrhunderte langen Geschichte aufgebauten Herrschaftsverhältnisse, aus denen jedweder politische Wahnsinn sprießen kann, machen Freiheitsdurstigen das Dasein zur Hölle. Wer jung und mit Tatendrang, aber nicht mit Durchsetzungsvermögen gesegnet ist, verkommt in dieser Enge. Kein Wunder, dass, wo Ausbrechen unmöglich scheint, der Selbstmord blüht.

Wo der Selbstmord blüht

Die rätselhafte Selbsttötung dreier junger Männer in einem Tiroler Dorf hat Händl Klaus als Ausgangsszenario seines erstaunlichen Spielfilm-Debüts "März" gewählt, der sich von Anfang an oben geschilderten Klischees vom Abgrund des Alpenlands verweigert. Oder doch nicht, denn - und das ist das Eindrückliche - die Klischees entstehen nicht im Film, sondern im Kopf des Betrachters, der ja Antworten haben will auf unbeantwortbare Fragen, die aber die Fiktion dieses Plots nicht lösen will.

Kein Wunder, nein: folgerichtig, dass "März" den Silbernen Leoparden für den besten Newcomer in Locarno einheimste. Kino als Fantasieraum, um eine Geschichte zu imaginieren, der Zuschauer als Lückenbüßer für die unbeleuchteten Stellen, die Trauerarbeit, die dieser Film gerade nicht leistet, dem Publikum überlassend.

Solch dürre Charakteristik kann gerade den Eindruck erahnen lassen, den der Aufbruch des Tiroler Dramatikers Händl Klaus ins Spielfilmgenre hinterlässt - auch was die formalen Wege betrifft, denen sich dieses Erstlingswerk verpflichtet weiß. Schon nach den ersten Schnittversuchen habe man gesehen, so Händl Klaus in einem Interview, dass "unser Konzept von, Auslassung', vom Verzicht aufs Auserzählen funktionieren könnte". Das Drehbuch, das anfangs einen dreistündigen Film ergeben hätte, sei dadurch dünner geworden. Fazit des Regisseurs: "Wir haben uns getraut, von vornherein noch deutlich mehr wegzulassen."

So simpel klingt es, was dann formal so besticht und "März" auf Anhieb zum Geheimtipp werden lässt. Bemerkenswert die Akribie und Ausdauer, die Händl Klaus auf seinen Spielfilm verwandt hat: Mehr als neun Jahre ist es her, dass er das Drehbuch zu schreiben begonnen hat, die in 14 Wochen gedrehten 90 Stunden Material benötigten mehr als zwei Jahre für den Schnitt.

Kein Motiv, kein Abschiedsbrief

"März" hat einen realen Untergrund: Anfang der 90er Jahre kam es in Südtirol zum unerklärlichen Selbstmord dreier junger Arbeiter - kein Motiv, kein Abschiedsbrief. Händl Klaus war zur Zeit der Vorfälle im Nachbarort auf Besuch. Das Geschehen ließ ihn nicht mehr los.

Für "März" hat er das Ganze ein wenig "urbaner" gestaltet, die drei sind nun Studenten im nahen Innsbruck. Der Film beginnt mit der kollektiven Selbsttötung und folgt dann den Hinterbliebenen, die von der Last der Geschehnisse erdrückt werden, aber dennoch keine Sprache dazu finden. Ein kleiner Alltag, übertüncht von übergroßem Leid - großartig gespielt von einer aus Schauspielern und Laien gemischten Truppe.

Da ist etwa die Greißlerin Irene, die ihre Geschäfts- und Haushaltsarbeit tut wie eh und je. Da ist Volksschuldirektor Alfons, ihr Mann. Berni, der Sohn, war einer der drei. Jeder Blick Irenes auf Bernis Zimmertür spricht Bände. Sie steht im Geschäft, trifft Karin, die Mutter des zweiten Toten, lebt weiter … Keiner hat Worte fürs Erlittene.

Kino als Denkarbeit

Nochmals: Nichts erklärt dieser Film, ein Jahr lang umspannt dessen Erzählen - die Jungen lösen sich schneller aus der eisigen Umklammerung des Dreifach-Todes, die Älteren verharren in der Ungeborgenheit. Eine kleine Gemeinschaft, ein Schicksal, das einen ganzen Ort bindet - und doch finden sie keinen Halt aneinander.

So lakonisch erzählt "März", so bruchstückhaft, dass eben Zuschauerin und Zuschauer gefragt sind, sich die Geschichte selbst zusammenzuzimmern. Kino als Denkarbeit also, und was für eine!

Händl Klaus ist ja - literarisch - längst kein unbeschriebenes Blatt: Den Rauriser Literaturpreis erhielt der heutige 39-Jährige schon 1995, im gleichen Jahr folgte der Robert-Walser-Preis (in dessen Geburtsort Biel er jetzt auch lebt), 2006 wählte ihn Theater heute für sein Stück "Dunkel lockende Welt" zum "Dramatiker des Jahres".

Und nun "März", der Film. Eine Geburtsstunde neuer österreichischer Filmkunst. Der Prämierung von Locarno folgte eine weitere beim Sarajevo Film Festival und der Berner Filmpreis. Logisch.

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