Mehr als das eigene HALBWISSEN

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Als "Mohr von Wien" ist der 1796 verstorbene Angelo Soliman ins volkstümliche Gedächtnis eingegangen. Über den zehn Jahre nach seinem Tod als Ausgestopfter ausgestellten Kammerdiener und Prinzen erzieher hat Markus Schleinzer ("Michael" 2011) seinen zweiten Spielfilm "Angelo" gestaltet -ein Mensch, den er nicht als "Kuriosität" des josephinischen Wien zeigt.

DIE FURCHE: Ihr Film "Angelo" ist bereits auf internationalen Festivals gelaufen. Wie wurde er da rezipiert?

Markus Schleinzer: Was ich am Ausland so geschätzt habe, war, dass man dort der Geschichte so "neu" begegnet. In Österreich habe ich immer das Gefühl, dass sehr viele Leute ihr eigenes Wissen oder Halbwissen über den Herrn Soliman bestätigt finden wollen. Auch ich bin ja mit so einem Halbwissen über ihn aufgewachsen. Ich habe viele Geschichten gehört, was er war und wo er war. Eine davon lautete, dass man ihm eine Frau aus Afrika geholt hat, die musste er heiraten. Und auch die hat man dann ausgestopft und auch deren Kinder. DIE FURCHE: Und das stimmt nicht?

Schleinzer: Weniges von all dem stimmt. Soliman ist erst in Österreich so ab Mitte Vierzig wissenschaftlich greifbar. Wir wissen nichts von seiner Kindheit und auch über sein Erwachsenenleben herzlich wenig. Aber trotzdem gibt es da so eine Sucht oder Sehnsucht, dieses Leben mit Histörchen aufzuladen. Interessant finde ich, dass im Biedermeier die Frau Caroline Pichler, die 40 Jahre nach seinem Tod die erste Biografie geschrieben hat, die Ausstopfung ausspart. Sie schmiedet da eine Legende von einem schönen Leben -und am Schluss stirbt er ehrenhaft. In der Zeit der Frau Pichler muss es aber noch genügend Wienerinnen und Wiener gegeben haben, die das sehr wohl gewusst haben. Denn in dieser Zeit stand er noch im Museum respektive am Dachboden. Ich finde es interessant, dass man so kollektiv diese Ereignisse, dieses Geschehen nach seinem Ableben unter den Tisch kehrt.

DIE FURCHE: Gab es damals ein Bewusstsein, dass es nicht o. k. ist, so mit einem Menschen umzugehen und ihn sogar auszustopfen? Schleinzer: Das gab es schon, es wurde unterschiedlich wahrgenommen. Einerseits haben wir da die Habsburger, die sich ja selber aufschneiden haben lassen -wie andere Herrscherhäuser, die die Herzerln da und die Hände dort begraben haben: Die unterschiedlichen Reiche waren ja so groß, dass es gang und gäbe war, zu sagen, mein Herz schicken wir in diese hinterste Region, dass sie sich uns weiter zugehörig fühlen. Das Herz vom Prinz Eugen war ja stark umfehdet und wurde mehrere Male geraubt. Das war eben dieser Devotionalien-Umgang mit dem eigenen Körper. Andererseits hat sich die Kirche selbst an die Seite der Tochter gestellt, die die Haut und die Gebeine des Vaters aus dem Museum herausbekommen wollte. Die Kirche hat klar gesagt, dass das eine Schändung der Totenruhe ist. Zehn Jahre stand er in der Ausstellung, aber der Museumsdirektor, der dem ersten, dem Herrn Eberle, nachgefolgt ist, dem war das dann doch ein Dorn im Auge, und er hat dem Menschenpräparat von Soliman einen Zettel um den Fuß gehängt, auf dem er sich entschuldigt hat. Auf Lateinisch stand da: Angelo, ein Engel, der ungerechtfer-

Soliman ist in der Wissenschaft extrem umfehdet. Die einen behaupten, er sei das erste gelungene Beispiel für Migration; dann gibt es die anderen, die sagen, natürlich ist er das nicht, er war ein Opfer.

An Europas Höfen

Noch lebend, aber doch schon in der Pose eines Ausgestopften -wenn auch noch nicht in der Gewandung eines "Wilden" ... (Makita Samba als Angelo 4, re.; u.: Markus Schleinzer) tigterweise unter die wilden Tiere gestellt wurde ...

DIE FURCHE: Ihr Filmerstling "Michael" aus 2011 erzählt von einem sexuellen Missbrauchstäter, der den Buben Michael eingesperrt hat. Warum nehmen Sie sich jetzt einer Figur wie Angelo Soliman an?

Schleinzer: "Michael" war ein sehr trockener Film. Ich habe mir dabei jede Form von Sinnlichkeit verboten, weil es in diesem Thema überhaupt keinen Platz hatte. Die Arbeit daran war so extrem, dass auch mein Kameramann sehr stark darunter gelitten hat, weil auch das Bild eine Neutralität ausstrahlen musste, damit man ja nicht eine Form von Voyeurismus bedient, der sich dann auf dieses Kind überträgt. Nach "Michael" habe ich die Sehnsucht gehabt, etwas Süffiges zu machen, in die Vollen zu greifen -etwas mit Kostüm, etwas Historisches. Ich bin da durch Zufall auf Angelo Soliman gekommen. Denn die Ausstellung im Wien-Museum über Angelo 2011/12 habe ich nicht gesehen, erst Jahre später habe ich den Katalog dazu entdeckt. Als ich diesen Katalog in der Hand hatte, habe ich gewusst: Das muss ja der nächste Film sein, weil er meine Grundthemen beinhaltet. Wie bei "Michael" geht es auch in "Angelo" um einen Anderen in der Gesellschaft, um einen Außenseiter.

DIE FURCHE: Und es hat Sie gereizt, all das anekdotisch Falsche, was über Soliman im Umlauf ist, ein wenig zurechtzurücken?

Schleinzer: Soliman ist in der Wissenschaft extrem umfehdet. Es gibt Fraktionen, die behaupten, er sei das erste gelungene Beispiel für Migration; dann gibt es die anderen, die sagen, natürlich ist er das nicht, er war ein Opfer. Dann gibt es wieder andere, die sagen, er war dieser Gesellschaft, die ihn aufgenommen hat, so dankbar, dass er am Ende seines Lebens dieser Gesellschaft seine Haut gespendet hat. Und wieder andere sagen, er war der Gesellschaft nicht dankbar, sondern war in seiner eigenen Kraft so erstarkt, dass er nicht anders konnte, als diese Haut zu spenden. Das fand ich aber alles sehr spannend, was mit dieser Figur bis heute getrieben wird. So bin ich auf die Idee gekommen, eine Hauptfigur zu schaffen, die an sich sehr schweigsam daherkommt und die eigentlich den Leuten, die ihn "besitzen", als Spiegel dient.

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