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"Melancholia": Ein Stern mit Namen Trübsinn

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Weltuntergang ist in uns. Auch wenn Lars von Trier in seinem neuen Film "Melancholia“ einen Planeten auf die Erde zurasen lässt, findet das Ende dieser Welt im Innenleben statt.

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Weltuntergang ist in uns. Auch wenn Lars von Trier in seinem neuen Film "Melancholia“ einen Planeten auf die Erde zurasen lässt, findet das Ende dieser Welt im Innenleben statt.

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Lauter Weltuntergänge: So lautete der Titel eines vielgelesenen Buches von Dieter Zimmerling, das kurz vor der Jahrtausendwende die grassierende Endzeitstimmung aufnahm und historisch einzuordnen suchte. In der Tat hatte das Jahr 2000 Untergangsprophetien angelockt. Doch obwohl der Weltuntergang weder mit der letzten totalen Sonnenfinsternis in Europa am 11. August 1999 noch mit der Jahrtausendwende einherging, verschwanden die entsprechenden Fantasien mitnichten. Und die Ereignisse von 9/11, der Tsunami vom 26. Dezember 2004 in Südasien oder sein "Nachfolger“ vom 11. März 2011 in Japan (samt atomarem Super-GAU) beflügelte die finalen Ahnungen. Und nun folgt das ominöse Jahr 2012, an dessen Ende eine besondere Konstellation der Zeitrechnung der Maya das Weltende indizieren soll (Seite 22).

Umgekehrt werfen Denker wie der deutsche Theologe Jürgen Manemann in Weiterführung des Philosophen Günther Anders (1902-1992) gerade der Gegenwart "Apokalypse-Blindheit“ vor (vgl. dazu FURCHE 12/2011). Gemeint ist damit, dass die von aktuellen Katastrophen ausgehenden Zeichen der Zeit nicht als solche erkannt werden (Beispiel: die Atomkatastrophe von Fukushima wird nicht als Menschheitsbedrohung wahrgenommen).

Stiller und ohrenbetäubender Untergang

Dieser Diagnose zum Trotz geht die Wahrnehmung von Endzeit in der Kunst aber sehr wohl vonstatten - und zwar abseits aller Plattitüden des Science-Fiction-Genres. Insbesondere hält die Kunstform Film Exzeptionelles zum Thema Weltuntergang bereit. Da hinterließ Andrej Tarkowski, der früh verstorbene Titan des russischen Films, als letztes Opus seine Endzeitvision "Opfer“. Der Film aus 1986 spielt auf der Folie einer Nuklearkriegs-Katastrophe, der Untergang endet in der Stille einer schwedischen Insel. Ein Nachfolger Tarkowskis mag Michael Haneke sein, der 2003 in seinem Film "Wolfzeit“ die finale Nuklearangst bereits als Post-9/11-Fantasie gestaltet. Auch Hanekes Untergang endet in der Stille.

Dementgegen vollzieht sich bei Lars von Trier das Ende vor allem in ohrenbetäubendem Getöse und zur Musik von "Tristan und Isolde“ (bei Tarkowski war es noch Bachs Matthäus-Passion gewesen). "Melancholia“, das jüngste Opus des dänischen Regie-Berserkers, hat es erneut in sich. Trier bringt den Weltuntergang als leise Unwirklichkeit, als klandestine Depression auf die Leinwand. Nein, keine Meeresgewalten, berstende Berge oder speiende Vulkane sind für diese Apokalypse nötig. Sondern ein der Erde sich fast unwirklich nähernder Planet namens Trübsinn, Melancholia eben, geriert sich zunächst bloß als eine Art zweiter Mond. Aber die sanfte Perspektive verbirgt die Beklemmung nur notdürftig: Die Welt ist nicht mehr so, wie wir sie kennen.Gerade diese Verlassenheit des Gewohnten trägt den Keim des Weltendes in sich. Biblische Anklänge könnten hier in den Sinn kommen: In einer apokalyptischen Szene im ersten Buch der Könige findet der Prophet Elija Gott nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer - sondern in der Stille eines Windhauchs (1 Kön 19,11-12).

Die Prophetie ist also altbekannt. Lars von Trier, der Genius der filmischen Depression, setzt hieran an und betört nicht mit einer schrillen, sondern mit einer leisen, eben erst am Ende ohrenbetäubenden Vision.

Der Weltuntergang in "Melancholia“ ist auch die Geschichte zweier Schwestern, ein janusköpfiger Plot, als ob der gute Mond noch einen geheimnisvollen Planeten als Geschwister benötigte - um dann von diesem mitgefressen zu werden.

Der Mond und seine Geschwister

Justine, die eine, ist eine manische Person, die auf dem opulenten Landsitz ihrer Schwester Claire ihre Hochzeit feiert. Schwager John hat viel Geld ins Fest gesteckt, aber Justine lässt ihrer Manie Lauf, sodass die eben geschlossene Ehe zerbricht: Dieser zweite Mond namens "Melancholia“ strahlt mehr als eine trügerische Idylle aus.

In einem zweiten Kapitel beschreibt der Film das Warten auf dem Landgut: Claire, John und ihr kleiner Sohn Leo hoffen, dass der fremde Planet nicht auf die Erde trifft, dass also der Weltuntergang ausbleibt. Doch die Unausweichlichkeit dieser Zeit konterkariert das Bangen und Hoffen: Die Pferde wissen besser als die Menschen, was kommt - sie beruhigen sich kaum. Und Justine verfällt immer dem depressiven Zusammenbruch. Die Melancholie des trüben Sterns überträgt sich so längst auf diese unheile Familie, auch wenn vom Zusammenprall noch keine Rede ist. Der Weltuntergang scheint in dieser Konstellation vorausgenommen, die Erfüllung der Prophetie folgt dann auf dem Fuß: Endzeit, das ist beileibe nicht das nackte Grauen, sondern eine beständige Beklemmung, die letztlich aber um nichts weniger verstört ist als die brachialen Varianten apokalyptischer Szenarien.

Lars von Trier greift für die Darstellung dieses grandiosen wie schrecklichen Settings wie immer auf erstklassiges Schauspiel zurück. Kirsten Dunst erhielt für die Darstellung von Justine heuer in Cannes die Silberne Palme. Charlotte Gainsbourg (Claire) steht ihr im - nach "Antichrist“ 2009 - zweiten Trier-Film in Folge um nichts nach. Und Kiefer Sutherland überzeugt in ungewohnter Rolle als John. Auch die Nebenrollen sind - von John Hurt bis Charlotte Rampling - hochkarätig besetzt.

Apokalypse geschieht in der Seele

Der Regisseur setzt auf Künstlichkeit. Dieses Stilmittel, das mehr als einmal auch mit Versatzstücken aus den Märchen operiert, entreißt das Geschehen einer vermeintlich realen Wirklichkeit: Weltuntergang ist mitnichten ein äußerer Vorgang, sondern spielt sich im Inneren ab. Die Apokalypse, die landläufig oft mit den drastischen Bildern der Schlacht von Harmagedon im Buch der Offenbarung, dem letzten Teil des Neuen Testaments (Offb 16,16), assoziiert wird, ist ein Geschehen der Seele. Aber auch, wenn es nicht mit Regengüssen aus flüssigem Metall und einem Entscheidungskampf zwischen Böse und Gut endet, hält der trübsinnige Stern kaum Hoffnung bereit. Für Zuversicht ist nicht allzu viel Raum: Gedenk, o Mensch, dass du Staub bist - so lautet die alte rituelle Formel des Aschermittwochs. Die Christen wissen also längst von ihrer Endzeit.

Vielleicht wäre da gar kein Lars von Trier nötig, um diese aufs Neue zu buchstabieren. Ab er man kann nicht umhin, zuzugeben: Eine spannende, obwohl beklemmende Sache ist "Melancholia“ allemal geworden.

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