Melancholische Spurensuche im Gestern

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Menzels Dolmetscher ist ein Grantler, der nie lacht, verbiestert wirkt und stets seine schwere Lebensgeschichte mit sich herumträgt.

Mit sichtlichem Vergnügen, aber nie aufdringlich spielt Peter Simonischek den pensionierten Englisch-und Französischlehrer als Bonvivant.

Ein Mann kommt mit dem Zug in Wien an, die Stadt ist ihm offensichtlich nicht vertraut. Wenn er im Lift eines alten Stadthauses eine Pistole aus seiner Manteltasche holt, ist eine Bluttat zu befürchten, doch statt des SS-Offiziers Graubner, der für den Tod seiner jüdischen Eltern verantwortlich ist, öffnet ihm dessen Sohn.

Georg Graubner (Peter Simonischek) erklärt dem Besucher, dass sein Vater verstorben sei, doch schon beim kurzen Gespräch zwischen diesen Söhnen eines Täters und eines Opfers des NS-Regimes brechen sogleich die tradierten Ressentiments aus und sie beschimpfen sich gegenseitig als Antisemiten beziehungsweise Zionisten.

Unverrichteter Dinge reist der 80-jährige Ali Ungár (Jirˇí Menzel) so wieder in seine slowakische Heimat, doch bald sucht ihn Graubner auf, denn der Besuch hat bei ihm das Interesse geweckt, Näheres über die Kriegsvergangenheit seines Vaters zu erfahren.

Unkundig des Slowakischen, bittet er den pensionierten Dolmetscher, ihn gegen Bezahlung bei einer Reise zu den Stätten, an denen sein Vater während des Zweiten Weltkriegs stationiert war und Kriegsverbrechen beging, zu begleiten.

Gegensätzliche charaktere

Völlig gegensätzlich sind freilich diese Charaktere, sodass sich ein klassisches Buddie-Movie entwickelt, das Peter Simonischek und der tschechischen Regielegende Jirˇí Menzel eine große Bühne bietet. Regisseur Martin Sˇulík weiß genau, was er an diesen beiden Schauspielern hat und lässt ihnen folglich auch Raum, ihren Figuren Profil zu verleihen.

Mit sichtlichem Vergnügen, aber nie aufdringlich spielt Simonischek den pensionierten Englisch- und Französischlehrer Graubner als Bonvivant, der das Leben zu genießen weiß, gutem Essen, Wein und Frauen nie abgeneigt ist. Menzels Dolmetscher dagegen ist ein Grantler, der nie lacht, verbiestert und stur wirkt und stets seine schwere Lebensgeschichte mit sich herumträgt.

Wie bei dieser Konstellation Konflikte vorgeplant sind, so ist freilich auch nach den Regeln solcher Kinogeschichten vorhersehbar, dass sich die ungleichen Protagonisten langsam näher kommen.

Alles andere als neu ist auch, dass sich diese Annäherung, von der Sˇulík mit viel Gespür für die alten Herren und in sicherer Mischung von Tragik und Witz erzählt, im Zuge einer Reise vollzieht. Auch hier bedient sich der 55-jährige Regisseur klassischer Muster, wenn er zwischen Fahrten durch die wenig bekannte slowakische Provinz und Stopps wechselt.

Mit diesen Stationen kommt aber auch die Rolle der Slowakei während der NS-Zeit ins Spiel. Kurz wird hier in einem Dokumentationszentrum mit schwarz-weißem Archivmaterial an die Gräuel erinnert, aber in Gesprächen mit Überlebenden und Nachkommen der Nazizeit wird auch deutlich, dass die Slowakei, die zwischen 1939 und 1945 ein offiziell autonomer, aber doch vom Dritten Reich abhängiger autoritärer Staat war, keineswegs nur Opfer, sondern auch Täter war.

An eine allzu gern verdrängte Vergangenheit erinnert Sˇulík, wenn langsam ans Licht kommt, dass nicht nur die Regierung, sondern auch einfache Bürger sich aus Besitzgier an der Deportation und Ermordung der jüdischen Mitbewohner und Nachbarn beteiligten.

Etwas zu viel packt der Slowake freilich hinein, wenn er mit TV-Nachrichten über den Krieg in der Ukraine und dem Engagement von Ungárs Tochter für Kinder aus diesem Kriegsgebiet auch den Bogen zur Gegenwart schlagen will.

Niemals vergessen!

Trotz der Thematisierung einer bitteren und grausamen Vergangenheit ist "Dolmetscher" jedoch keine harte Abrechnung, sondern vielmehr ein melancholischer Film. Allzu exzessiv setzt Sˇulík zwar Musik ein, verzichtet aber weitgehend auf Dramatisierung und erzählt entspannt und unaufgeregt, allerdings auch etwas bieder.

Immer tiefer lässt er im Laufe des Films auch in die Familiengeschichte Graubners blicken. Je mehr diesem dabei die Schrecken der Verbrechen bewusst werden, desto ruhiger wird nicht nur er, sondern auch diese Tragikomödie.

Nichts bleibt da schließlich mehr von der anfänglichen Lebenslust und dem unbeschwerten Hedonismus, sondern es macht sich zunehmend eine große Trauer über das Vergangene breit und bewusst wird ihm und dem Zuschauer, dass auch heute idyllische Orte nie über die dort begangenen Massenmorde hinwegtäuschen dürfen.

Dolmetscher (The Interpreter) SK/CZ/A 2018. Regie: Martin Sˇulík. Mit Peter Simonischek, Jirˇí Menzel, Zuzana Mauréry, Attila Mokos. Filmladen. 113 Min.

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