Mitten im Chaos der Emotion

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Florian Flicker im Gespräch über sein außerordentlich gelungenes Kammerspiel "Grenzgänger“, mit dem er Karl Schönherrs "Weibsteufel“ für das Kino neu und authentisch adaptiert hat.

Z wölf Jahre ist es her, dass Florian Flicker seinen letzten Spielfilm gedreht hat - mit "Der Überfall“ gelang ihm 2000 ein launiges, zugleich ernsthaftes Kammerspiel. Jetzt kommt mit "Grenzgänger“ seine lose Adaption von Karl Schönherrs "Weibsteufel“ ins Kino. Die Geschichte ist eine andere, aber das Genre ist geblieben: Flicker fühlt sich im Kammerspiel zu Hause.

Die Furche: Die Grundlage zu "Grenzgänger“ ist Karl Schönherrs Stück "Der Weibsteufel“. Was ist an dieser Vorlage besonders?

Florian Flicker: Der "Weibsteufel“ ist ein klassisches Kammerspiel; in diesem Metier fühle ich mich grundsätzlich sehr wohl. Während es bei meinem letzten Spielfilm "Der Überfall“ um Männer unter sich ging, ist es hier mehr die Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau in einer Dreieckskonstellation mit einer starken emotionalen Dynamik, die schon im Stück sehr genau angelegt ist.

Die Furche: Worin besteht diese Dynamik?

Flicker: Im Wesentlichen beginnt es mit einem Spiel aus Taktik und Täuschung und führt zum totalen Kontrollverlust der Situation. Genau das interessiert mich an der Beziehung zwischen Mann und Frau.

Die Furche: Jede Figur spielt in "Grenzgänger“ in Wahrheit ein doppeltes Spiel.

Flicker: Ja, die drei Figuren betreiben dieses doppelte Spiel, indem sie sich gegenseitig täuschen, wobei diese Täuschung bald zur Selbsttäuschung wird, weil sie sich in dem Spiel verfangen und sich darin verlieren.

Die Furche: Ist das auch ein Machtspiel?

Flicker: Es ist vielmehr ein emotionales Chaos, in das Figuren hineinstolpern, und keiner der drei sagt: "Stopp!“ Weil sie insgeheim auf einen guten Ausgang der Ereignisse hoffen. Ich finde es sehr spannend, dass viele Menschen in ihren schlampigen Beziehungen feststecken und immer hoffen, dass es gut ausgeht. Das ist wie bei Kindern, die vorm Fernseher sitzen, sich fürchten und auf ein Happy End warten, nicht wissend, dass sie sich einen Horrorfilm anschauen.

Die Furche: "Grenzgänger“ ist stilistisch sehr reduziert. Bringen Sie das von vorne herein relativ karg zu Papier?

Flicker: Ich komme im Lauf der Arbeit immer mehr zum Kern der Geschichte, dieser Prozess ist nicht mit dem Drehbuchschreiben abgeschlossen. Das hört in Wahrheit nie auf, bis der Film fertig ist. Die sparsamen Dialoge kommen auch aus dem taktischen Spiel der gegenseitigen Täuschung, wie bei einem Pokerspiel, nur dass es hier nicht um Geld, sondern um Gefühle geht. Was mich dabei fasziniert: Am Ende ist es schwer, zu sagen, wer wen zuerst betrogen oder verraten hat, weil alle drei Verrat begehen.

Die Furche: Wieso haben Sie die Handlung an die österreichische Ostgrenze verlegt?

Flicker: Ich habe das Setting im March-Raum verortet, weil es mir die Möglichkeit gab, die wilde Natur als vierte Hauptfigur einzuführen. Und inmitten dieser wilden Natur gibt es einen Gesetzlosen. Die Natur spiegelt auch den Zustand der Protagonisten wider, die mehr und mehr instinktiv handeln, nicht so sehr mit dem Kopf. Ich habe dort auch eine meinen Vorstellungen entsprechende Mentalität gefunden. Weil der Film schon sehr ins Metaphorische geht, war mir wichtig, dass er eine authentische Basis hat. Einen Ort, der tatsächlich existiert. Mich wundert ja, dass man dieses österreichische Grenzgebiet nicht so wirklich kennt und auch kaum weiß, was da in den letzten 20 Jahren passiert ist.

Die Furche: Andrea Wenzl spielt sehr minimalistisch. Ich nenne das gerne das "Blickkino“, in dem wenige Gesten ausreichen.

Flicker: Die Herausforderung war, eine Frau zu zeigen, die wenig sagt und die eine Fremdheit in ihrem Wesen spielen kann. Blicke sind mir dabei sehr wichtig. Es ist auch für den Regisseur ein Spiel mit den Möglichkeiten. Wenn man eine sehr reduzierte Inszenierung vorhat, dann ist das ein Risiko. Es gibt ein paar Szenen, die mir - bei allen Selbstzweifeln - selbst sehr gut gefallen.

Die Furche: Sind Selbstzweifel der eigentliche Motor künstlerischen Handelns?

Flicker: Der Zweifel ist ein Motor, um den Kern einer Geschichte zu finden. Wenn man vorher nicht aufgibt. Ich glaube, man hat als Regisseur von Anfang an ein Gefühl für einen Film. Für die Emotionen und die Tonlage. Der Weg dorthin besteht dann unter anderem daraus, den Ballast abzuwerfen.

Die Furche: Ist dann ein Kammerspiel die Essenz aller dramatischen Formen, weil es auf das Wesentliche reduziert ist?

Flicker: Ein Kammerspiel ist eine große sportliche Aufgabe. Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen, und als Zutaten gibt es nur drei verschiedene Faktoren. Man kann nicht in der Mitte des Films eine weitere Figur reinbringen, oder etwas ändern. Man muss diesen Weg dann zu Ende gehen. Man muss mit dem arbeiten, was man hat. Zum Beispiel mit Ambivalenz. Die Ambivalenz, die die Figuren in "Der Überfall“ beim Publikum hervorrufen, rührt daher, dass die Sympathien für sie dauernd wechseln. So ist das bei "Grenzgänger“ auch. Für mich als Regisseur ist das die absolute Herausforderung. Hier habe ich drei Figuren, die in sich so viele Farben tragen sollten, dass der Film nicht einfärbig wird, sondern dass er changieren kann. Ich komme von dieser Vorliebe für das Kammerspiel einfach nicht los.

Die Furche: Wie ist man in einem gleichbleibenden Drehort visuell erfinderisch?

Flicker: Die visuelle Umsetzung ist beim Kammerspiel entscheidend fürs Filmerlebnis. Hier hat Kameramann Martin Gschlacht wirklich Großartiges geleistet. Was er mit Licht und Kadrierung kann, ist jenseits des sogenannten Handwerks, obwohl er immer so bescheiden ist. Er hat wirklich Weltklasse. Natürlich habe ich Bilder beim Drehbuchschreiben im Kopf, die wir dann gemeinsam umsetzen. Man sucht nach einem gemeinsamen Stil, nach einer Farbgebung und einer Art der Kadrierung. Gschlacht ist aber auch ein Geschichtenerzähler, der sich der Geschichte unterordnet. Er würde sich in seiner Arbeit nie autonomisieren.

Die Furche: Hat Sie Ihre Theaterarbeit der letzten Jahre darauf vorbereitet, nach 12 Jahren wieder einen Spielfilm zu drehen?

Flicker: Am Theater ist man noch viel intensiver mit den Schauspielern beschäftigt als beim Film. Das hat mir geholfen, meine anfängliche Angst vor den Schauspielern mit ihnen, abzubauen, weil ich heute den Prozess viel besser verstehe, den sie durchmachen. Bei meinem ersten Film "Halbe Welt“ (1993) hatte ich noch wahnsinnig großen Respekt vor den Schauspielern, da hatte ich mich relativ wenig getraut. Heute kapiere ich, was in ihnen vorgeht, und kann damit viel besser umgehen.

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