"Neues aus der Welt": Ein langer Ritt durch die Prärie
„Neues aus der Welt“: Tom Hanks reist – auf Netflix – mit dem zwölfjährigen deutschen Ausnahmetalent Helena Zengel durch den Wilden Westen. Der Hollywood-Haudegen und der Shootingstar des Films „Systemsprenger“ beleben das Westerngenre. Nur teilweise mit Erfolg.
„Neues aus der Welt“: Tom Hanks reist – auf Netflix – mit dem zwölfjährigen deutschen Ausnahmetalent Helena Zengel durch den Wilden Westen. Der Hollywood-Haudegen und der Shootingstar des Films „Systemsprenger“ beleben das Westerngenre. Nur teilweise mit Erfolg.
Wer heute über die Vereinigten Staaten des Jahres 1870 erzählt, der erzählt immer auch eine staubige Westerngeschichte, zwischen Revolverhelden und Bankräubern, Postkutschen-Überfällen und Schießereien. Nicht immer aber muss ein Western zwangsläufig solche Elemente enthalten, es geht auch mit weniger Aufwand, denn Western sind, wie alle dramatischen Erzählungen, zuallererst Geschichten von Menschen, und die können sehr einfach sein.
So wie jene von Captain Jefferson Kyle Kidd, gespielt vom stets famos agierenden Tom Hanks. Kidd reist in der damals noch recht unerschlossenen Landschaft von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, um dort nichts weiter zu tun als – vorzulesen. Nicht viele Menschen waren dereinst so gebildet, dass sie selbst die Zeitung lesen konnten, und genau das übernimmt Kidd für sie. Er bringt die aktuellen Tageszeitungen der Region vor, liest aus den Ereignissen, die sich abgespielt haben, dramatisiert alles ein bisschen, denn es soll ja spannend sein, und hat dadurch ein kleines Einkommen.
Ganz unvermittelt entdeckt er eines Tages ein kleines, zwölfjähriges Mädchen in einer verunfallten Kutsche und liest sie sprichwörtlich vom Wegesrand auf; Johanna (Helena Zengel) hat nach dem Tod ihrer Eltern sechs Jahre bei den KiowaIndianern verbracht und spricht kein Englisch. Kidd soll das Mädchen nun zu ihren letzten bekannten Verwandten nach San Antonio bringen, doch der Weg dorthin ist gespickt mit Gefahren. Der Kriegsveteran nimmt die Aufgabe jedoch an, und los geht seine Kutschenfahrt durch die Prärie – mit einer Zwölfjährigen im Schlepptau, die einem noch nicht einmal sagen kann, was in ihr vorgeht.
Johanna, unterwegs mit Kidd
Unterwegs gerät Kidd mit Johanna dann bald in Lebensgefahr: Schießwütige Gringos haben nämlich beschlossen, sich des Mädchens zu bemächtigen, „Frischfleisch“ unbekannter Herkunft, das niemand vermisst, ist besonders begehrt. Doch die Verbrecher haben die Rechnung ohne Kidd gemacht, der sich nicht nur als brillanter Erzähler entpuppt, sondern auch als trickreicher Künstler am Revolver. Nach über standener Gefahr lauert aber schon weiteres Ungemach an der nächsten Ecke.
Ein bisschen hat man in dieser Regiearbeit von Paul Greengrass („Flug 93“ ), sonst ein absoluter Profi des temporeichen Erzählens, das Gefühl, man steckt in einer Nummernrevue, die brav in einer Reihe heruntergespielt wird und dabei nicht sonderlich an Kohärenz interessiert ist, sondern sich ein wenig wie Stückwerk anfühlt; doch diese Kritik wäre zu harsch. Es braucht die große Routine eines Tom Hanks, dass dieser Zug durch die Prärie nicht langatmig wird und man die Lust am Zuschauen nicht verliert. Mit seiner einerseits stoischen Ruhe, andererseits mit seiner ungemein lässigen Art kann er hier vollends überzeugen und lässt den Gedanken der Nummernrevue doch wieder vergessen. Ihm zur Seite steht mit Helena Zengel allerdings der eigentlich interessante Aspekt dieses Westerns.
Im Alter von neun Jahren stand das 2008 in Berlin geborene Mädchen vor der Kamera von Nora Fingscheidt, die mit ihm das Drama „Systemsprenger“ inszenierte. Darin spielte Zengel ein Mädchen, das von der überforderten Mutter in ein Erziehungsheim abgeschoben wird, wo sie sich in ihrer Wirkung nach außen zunehmend radikalisiert; das Mädchen neigt zu unkontrollierten Wut- und Gewaltausbrüchen, jedes Heim schiebt es nur ins nächste ab, irgendwann gibt jeder Jugendbetreuer auf. Zengel wurde für ihre überaus intensive Performance eines verhaltensauffälligen Kindes bei der Berlinale gefeiert und gewann am Ende den Deutschen Filmpreis 2020 als Beste Hauptdarstellerin.
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