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"Niemals Selten Manchmal Immer": Minimalistisches Drama

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Eliza Hittman gelingt ein bewegendes Drama über die Konflikte um eine Teenagerschwangerschaft und Abtreibung in den USA von heute.

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Eliza Hittman gelingt ein bewegendes Drama über die Konflikte um eine Teenagerschwangerschaft und Abtreibung in den USA von heute.

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Ein Blick auf den Bauch verstärkt den Verdacht der 17-jährigen Autumn (Sidney Flanigan), dass sie schwanger ist. Bestätigung erhält sie durch Ultraschall im Schwangerschaftszentrum in der Kleinstadt in Pennsylvania, in der sie lebt. Auf ihre Frage nach einer Abtreibung wird dort aber nicht eingegangen, stattdessen wird ihr ein Film über die Grausamkeit eines solchen Eingriffs gezeigt. Zu Hause kann sie über ihre Situation nicht sprechen. Der Vater behandelt sie nur verachtend, die Mutter hat wenig zu sagen. Einzig ihre Cousine Skylar (Talia Ryder) ahnt, dass etwas nicht stimmt. Ihr vertraut sich Autumn schließlich an, und gemeinsam brechen die Mädchen mit dem Bus nach New York auf, um dort die Abtreibung durchführen zu lassen.

Realer Hintergrund

Doch anders als geplant müssen sie dafür schließlich zwei Tage in der Metropole bleiben. Da es an Geld fehlt, müssen sie sich die Nächte irgendwie um die Ohren schlagen, und in der Abtreibungsklinik gibt es eine quälende Befragung zu sexueller Gewalt und Nötigung. In einer schier endlos langen Großaufnahme muss Autumn dabei auf die Fragen mit „niemals, selten, manchmal oder immer“ antworten, bis sie schließlich in Tränen ausbricht. Eliza Hittman ließ sich vom Schicksal der in Irland lebenden Inderin Savita Halappanavar zu ihrem dritten Spielfilm anregen. Diese starb 2012 an einer Blutvergiftung, nachdem ihr trotz schwerer Komplikationen bei der Schwangerschaft eine Notabtreibung verweigert worden war.

Bei ihren Recherchen entdeckte Hittman, dass auch in Pennsylvania massive Abtreibungsbeschränkungen gelten und dass in den USA jede fünfte Frau mehr als 80 Kilometer fahren muss, um einen solchen Eingriff vornehmen zu lassen – in ländlichen Gegenden sei es sogar mehr als die Hälfte aller ungewollt Schwangeren. Minimalistisch hat die 41-jährige New Yorkerin ihr Drama angelegt: Auf wenige Tage beschränkt sich die Handlung, Schwangerschaft und Abtreibung sind die einzigen Themen, und der Fokus liegt ganz auf Autumn und ihrer Cousine. Hautnah ist die Kamera immer wieder am Gesicht dieser jungen Schwangeren. Ebenso zurückhaltend wie intensiv spielt Sidney Flanigan in ihrer ersten Filmrolle diesen Teenager, bleibt von einer Szene abgesehen stets gefasst, unterdrückt ihre Gefühle und spricht nur wenig. Nicht weniger stark spielt aber auch die schon filmerfahrene Talia Ryder Autumns Cousine Skylar.

Ganz auf Augenhöhe

Ganz auf Augenhöhe mit diesen jungen Protagonistinnen ist der Film. Trotz der Nähe zu ihnen trägt aber auch die meisterhafte Einbettung der Handlung ins Milieu wesentlich zur Dichte von „Niemals Selten Manchmal Immer“ bei. Der Dreh auf analogem 16-mm-Film und die verwaschenen Farben sowie die kalte Winterstimmung verleihen den Bildern von Kamerafrau Hélène Louvart nicht nur eine zum Thema passende Rauheit, sondern sorgen auch für ein Höchstmaß an Realismus. Auf Zuspitzungen verzichtet Hittman, sie vertraut ganz auf die akribische Schilderung und deckt in Details immer wieder eine übergriffige Männerwelt auf. Durch diese Genauigkeit und die Reduktion auf das Wesentliche entwickelt sich dieses intensive Drama zum Plädoyer für die Selbstbestimmung der Frau und beschwört gleichzeitig mit der Figur Skylars die Bedeutung und die Kraft weiblicher Solidarität.

Der Autor ist freier Filmjournalist.

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