passagieredernacht - © Foto: Filmladen

"Passagiere der Nacht": Die Zerrissenheit von Generationen

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Die Autorin Heidi Strobel über den Film „Passagiere der Nacht“ von Regisseur Mikhaël Hers.

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Die Autorin Heidi Strobel über den Film „Passagiere der Nacht“ von Regisseur Mikhaël Hers.

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Élisabeth (Charlotte Gainsbourg) ist gerade von ihrem Mann verlassen worden und ihr Schmerz ist groß. Noch weiß sie nicht, wie sie Tochter und Sohn alleine ernähren soll, denn in ihrer Familie herrschte die klassische Rollenverteilung. Sie findet Arbeit beim Radio, kann in einer nächtlichen Sendung die Anrufe der Hörer entgegennehmen. So lernt Élisabeth auch die junge Obdachlose Talulah (Noée Abita) kennen, die sie bei sich aufnimmt. Der französische Regisseur Mikhaël Hers lässt seine Emanzipationsgeschichte „Passagiere der Nacht“ mit einem historischen Datum beginnen. Es spiegelt den Veränderungswillen jener Epoche und prägt auch den stimmigen Ton des Films. Am 10. Mai 1981 wurde François Mitterrand zum Staatspräsidenten gewählt. Zugleich schlägt dieses Datum den Bogen in das Jahr 1968 zurück, als sich in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai in Paris die 68er-Bewegung gewaltsam Gehör verschaffte. Mit Mitterrand war die Erwartung verbunden, dass mehr Gleichberechtigung, mehr Rechte für gesellschaftliche Randgruppen hergestellt würden. Im Film meldet sich das gesellschaftlich Unbewusste in den Stimmen der „Passagiere der Nacht“ zu Wort, wie der Talulahs oder eines Mannes, der sich manchmal als Frau verkleidet. Und in der einfühlsamen Art, mit der Élisabeth und ihre Chefin Vanda auf diese Menschen zugehen, kündigt sich auch der Wertewandel an. Soziale Fähigkeiten, wie ‚Mitdenken‘, ‚Sensibilität‘, Aufrichtigkeit, werden aufgewertet, mit ihnen wollen Menschen wie Élisabeth das gemeinsame Interesse, eine humanere Gesellschaft verwirklichen. Der Optimismus, der sensible Umgang mit dem Anderen, spricht auch aus der formalen Gestaltung des Films. Virtuos arbeitet er mit Farben und Licht, um die Gemütsverfassung, auch Fragilität seiner sympathischen Figuren zu porträtieren. Doch in der drogensüchtigen Außenseiterin Talulah manifestiert sich bereits die Zerrissenheit der nächsten Generation. Fürsorge, Feingefühl und Weichheit können auch ersticken. Seelenverwandte findet sie im Kino, wenn sie Éric Rohmers „Vollmondnächte“ oder Eric Rochants „Eine Welt ohne Mitleid“ schaut, Filme, zu denen auch Hers Bezüge knüpft. Wenn sich Talulah am Ende davonmacht, weist das bereits in die Zukunft.

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