paterson - © Mary Cybulski

"Paterson": Jim Jarmuschs Gedicht von einem Film

19451960198020002020

"Paterson": Die Stadt im US-Bundesstaat New Jersey ist der absichtsvoll gewählte Schauplatz eines Werks, welcher der Poesie eindrucksvoll Film-Raum verschafft.

19451960198020002020

"Paterson": Die Stadt im US-Bundesstaat New Jersey ist der absichtsvoll gewählte Schauplatz eines Werks, welcher der Poesie eindrucksvoll Film-Raum verschafft.

Werbung
Werbung
Werbung

Paterson ist eine Stadt im Nordwesten des US- Bundeststaates New Jersey und in etwa so groß wie die Stadt Salzburg. Paterson ist bekannt für die Great Falls des Passaic River mitten in der Stadt und als Geburtsort von Allen Ginsberg, des Poeten der Beat-Generation. Und Paterson ist der Titel eines fünfbändigen Lyrik-Bandes von William Carlos Williams (1883-1963), der seinerseits als Wegbereiter der Literatur der Beat-Generation gilt.

Auch ohne diese Hard Facts könnte "Paterson", Jim Jarmuschs neuester Geniestreich, als Film reüssieren. Aber natürlich ist das Opus des Independentfilm-Regisseurs absichtsvoll in dieses literaturhistorische Setting eingepasst. Und - sozusagen dem Genius loci verpflichtet - folgerichtig ist daraus einer der poetischsten Filme des laufenden Jahres geworden.

Paterson ist beileibe nicht nur der Titel sowie die Ortsbezeichnung des Films, sondern auch der Name der Hauptperson: Paterson arbeitet als Busfahrer in der Stadt, fristet also seine Tage im eher öden Personentransportgewerbe: Allmorgendlich erwacht er - ohne Wecker - exakt um sechs Uhr 15, steht auf und macht sich auf den Weg in die heruntergekommene Remise, wo er seinen gleichfalls eher abgefuckten Bus in Betrieb setzt. Ein eher linkischer Chauffeur, der, wenn sein Gefährt einmal den Geist aufgibt, kaum selber Hand anlegt - und zumindest so ratlos scheint wie seine Passagiere, die er auf die Weiterfahrt mit einem Ersatzfahrzeug vertröstet.

Was aber Paterson als eigentliche, wenn auch brotlose Berufung erfährt, ist sein Drang, Gedichte zu schreiben. In jeder noch so kleinen Arbeitspause bringt er als eine Art geistiger Sohn von WCW, wie sich William Carlos Williams oft nannte, ein paar Zeilen zu Papier.

William Carlos Williams' Tradition

Das Notizbuch, das er dazu mit sich führt, ist so ein Spiegel seiner Existenz. Und dieses Existenzielle destilliert er aus den Wortfetzen seiner Kundschaft in der Metrobus-Linie 23 heraus, oder wenn er zum x-ten Mal an den Wasserfällen des Passaic River vorbeifährt. Jarmusch lässt sein Publikum an den -fiktiven -knappen Versen von Paterson teilhaben, die in der Tradition von WCW vom US-Poeten und Jarmusch-Freund Ron Padgett verfasst wurden.

Immerhin gibt es eine Person, die Patersons Talent nicht belächelt: Seine schwangere Frau Laura entpuppt sich sonst aber als emotionales Gegenteil seines extrem zurückhaltenden Charakters. Laura ist extrovertiert und rastlos, sie dekoriert das gemeinsame Heim ständig um, bemalt Wände neu und in immer anderen Farben und entwirft exaltiert anmutende Kleider, die die nach außen hin biedere Bürgerlichkeit Patersons zu konterkarieren scheinen. Komplettiert wird diese wirklich traute Familie durch Bulldogge Marvin, der röchelnde Liebling von Laura, aber für Paterson eher ein lästiges Vieh, das - obwohl er es tagtäglich brav zum Äußerln führt - nicht wirklich etwas für Patersons Poesie übrig hat. Zumindest wird er den verkappten Dichter im Lauf des Films diesbezüglich in eine nun wirklich existenzielle Krise stürzen.

Eine tragische Geschichte mit einer tragischen Figur. Eigentlich. Aber dann doch viel mehr: Denn Jarmusch spielt in "Paterson" all seine Kunst der Lakonie und des hintergründigen Humors aus, sodass der unglücklich verkannte Dichterling zu einem Abbild eines Amerikas gerät, das man in fast all seinen Facetten nicht missen möchte. (Das muss gerade in der Morgendämmerung der Trump-Ära ganz besonders betont werden.)

Hunde-Preis in Cannes

Jim Jarmusch hat für dieses Gedicht von einem Film die durch und durch passende Besetzung gefunden: Adam Driver gelingt in der Titelrolle seine bislang zweifellos beste schauspielerische Leistung: Die Kombination aus schlaksiger Unbeholfenheit und kaum ergründlicher Zurückhaltung ist in seinem Spiel perfekt aufgehoben. Laura, Patersons quirlige Antipodin, hat in der Franko-Iranerin Golshifteh Farahani ihre Meisterdarstellerin gefunden. Und sogar Nellie, die Bulldogge, erregte Aufsehen, weil sie bei den Filmfestspielen von Cannes 2016 den "Palm Dog Award" für die Darstellung des Paterson'schen Familienhundes Marvin erhielt. Allerdings postum, denn Nellie war kurz nach Drehschluss des Films verschieden.

Anzumerken ist auch, dass es sich bei "Paterson" um einen der ersten Langspielfilme handelt, die von den Amazon Studios produziert wurden. Zumindest in punkto Qualität kann man dem Ableger des Online-Versandhandelsgiganten also wenig vorwerfen.

Im Gegenteil: Jim Jarmusch begibt sich in diesem Film auf eine meditative Reise zu Grundfragen des Menschen. Er verortet dies in einer typisch amerikanischen Stadt, in der vom Wirtschaftsboom keine Rede (mehr) sein kann. Wo aber dennoch das sagbare Glück nicht von der Bildfläche verschwunden ist. Wie auch im wirklichen Leben eben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung