Pieta - © polyfilm

"Pietà": Eine Religionsstunde für Erwachsene

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Im September 2012 errang Kim Ki-duks neuer Film "Pieta“ in Venedig den Goldenen Löwen. Starkes Kino - in jeder Hinsicht exzessiv.

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Im September 2012 errang Kim Ki-duks neuer Film "Pieta“ in Venedig den Goldenen Löwen. Starkes Kino - in jeder Hinsicht exzessiv.

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Dass ein Film-Berserker nach Schaffenskrise und tiefer Depression seinem Publikum besonders viel Gewalt anzutun imstande ist, wissen wir spätestens seit Lars von Triers "Antichrist“ (2009): Dem Betrachter die Höllenqualen einer ins Elend abdriftenden Beziehung zuzumuten, mag zweifelsohne nicht Jedermanns Sache sein.

Aber gleichzeitig erweist sich in diesem Zusammenhang der Exzess als künstlerisches Mittel, das die Verstörung bereithält, um neue Höhen der (religiösen) Erkenntnis zu bezwingen. Die immer wieder gezogenen Parallelen zwischen Lars von Trier, dem notorischen Filmemacher aus Dänemark, und dem südkoreanischen Ausnahmeregisseur Kim Ki-duk kommen aber nicht von ungefähr.

Auch Kim, der so rastlose Filmer, hat seine tiefste Lebenskrise hinter sich gebracht - und er rettet aus der Zeit davor seine Schonungslosigkeit in der Gesellschafts- und Zeitdiagnose; er scheint dazu nun aber zum Weisen geworden, der an die Lösung der aufgeworfenen Schuld- und Erlösungsfragen nicht mit brachialer Attitüde herangeht. "Pieta“, sein in vieler Hinsicht unmäßiges Meisterwerk nach der Krise, hält einen in Atem und Bann. In Venedig gab es im Herbst den Goldenen Löwen, wohl auch dafür, wie sehr Kim in seinem 18. Film die Grenzüberschreitung zwischen der brutalen Actionfilm-Sprache seiner Kultur hin zu einer christlichen Ikonografie samt dem genialen Changieren zwischen den Grundfragen der Existenz gelingt. Dazu kommt die Anmutung des politischen Statements, das "Pieta“ ebenfalls darstellt: Es geht Kim um die Kritik an den Exzessen des Kapitalismus - Geld regiert die Welt … - die er mit dem Exzess eines Films zu desavouieren sucht. Kein Mittel ist ihm dafür zu brutal.

Verkrüppelung als Inkasso-Methode

Lee Kang-do ist Schuldeneintreiber im heruntergekommenen Stadtviertel Cheonggyecheon: zwischen den Wolkenkratzern der koreanischen Metropole Seoul fristen dort letzte metallverarbeitende Familienbetriebe ihr Dasein. Weil die Kleinstunternehmer sich bei einem Wucherer verschuldet haben, kommt Kang-do, um die Raten mit exorbitanten Zinsaufschlägen zu kassieren. Wer nicht zahlen kann, den macht er zum Krüppel - indem er beispielsweise mit den Metallstanzmaschinen Hände verstümmelt oder aber den Schuldner mehrere Stockwerke tief auf die Straße wirft. Da mit der Kreditaufnahme auch der Abschluss einer Unfallversicherung inkludiert war, kassiert Kang-do die Versicherungssumme der von ihm invalid Gemachten.

Eines Tages steht eine Unbekannte vor der Tür, die angibt, Kang-dos Mutter zu sein, die den heute 30-Jährigen nach der Geburt verlassen hat. Sie will, so sagt Jang Mi-sun, die Schuld, die sie auf sich geladen hat, wieder gut machen. Die Frau weicht fortan nicht mehr von Kang-dos Seite, obwohl er davon nichts wissen will; sie kocht und sorgt für ihn und hilft ihm gar beim Verkrüppeln seiner "Klienten“.

Kang-do, der - auch in sexueller Hinsicht - Beziehungsunfähige lässt sich langsam auf Mi-sun ein; aber erst nach einem Vergewaltigungsversuch von ihm an ihr, beginnt er wirklich zu glauben, dass es sich tatsächlich um die Mutter handelt. Die späte Begegnung der beiden führt zu einer merkbaren Wesensänderung des brutalen Inkassanten. Als er zu einem Schuldner kommt, der Vater wird, bringt er es nicht mehr übers Herz, diesem die Hand zu zerstören. Und auch sonst fällt er in seiner beruflichen "Effizienz“ so weit zurück, dass er den Job verliert. Als aber eines Tages Mi-sun verschwindet, fürchtet er, dass sie einer der von ihm zum Krüppel gemachten Schuldner entführt hat. Dem ist nicht so, aber Kang-dos Wiederfinden von Mi-sun birgt den Schock einer (Er-)Lösung in sich.

Ganz und gar nicht harmlos

Die Pietà, jene titelgebende Darstellung des gekreuzigten Christus auf dem Schoß seiner Mutter Maria, bedeutet wörtlich übersetzt: "Hab Erbarmen!“ Eines der stärksten Motive christlicher Ikonografie war für Kim Ki-duk nötig, um die Frage der Barmherzigkeit im Wortsinn bildgewaltig darstellen zu können. Und in der Umkehrung sagt "Pieta“, der Film, auch, dass die solcher Ikonografie zugrunde liegende Szene eben nicht harmlos - ganz und gar nicht! - ist: Die Schmerzensmutter mit dem Schmerzenmann auf dem Schoß eignet sich nicht als Behübschung des Herrgottswinkels im Wohnzimmer. Sondern die fromme Szene ist gleichermaßen brutal wie Kang-dos unerträgliche Verstümmelungsaktionen, denen der Zuschauer beiwohnen muss.

Umkehrung bringt in Kims "Pieta“ eine Facette nach der anderen zur Geltung. Ersehnte Mutterliebe, Verlangen danach, der Gebärerin nahe zu sein - umgedreht in einen Inzest-Versuch. Schuld und Vergebung - einen Film lang zu greifen, obwohl der oder die Schuldige scheinbar nicht zu greifen ist. Und Stellvertretung, jenes jüdisch-christliche Motiv, wo es heißt: Der "Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich“ - so ist es bekanntlich beim Propheten Jesaja zu lesen.

Man kann die in Interviews geäußerte Behauptung Kim Ki-duks, ihn interessiere Religion eigentlich nicht, getrost beiseite schieben oder gar als Verschleierung seiner impliziten Absichten verstehen. Denn "Pieta“ mag in der Tat die Ruchlosigkeit der nur auf Geld aufgebauten, global verbreiteten Lebensweise drastisch zum Ausdruck bringen. Aber in Wirklichkeit ist dies ein durch und durch religiöses, eigentlich genauer: christliches Werk. Schon klar, dass diese Darstellung alles andere als jugendfrei ist. Aber als eine Religionsstunde für Erwachsene - und was für eine! - hält "Pieta“ allemal her.

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