Realismus, höchstmöglich
Gerade ein Airbus-Cockpit umfasst das Szenario des Katastrophenthrillers „7500“ von Patrick Vollrath. Dessen erster Langspielfilm erweist sich als gelungenes Genrekino.
Gerade ein Airbus-Cockpit umfasst das Szenario des Katastrophenthrillers „7500“ von Patrick Vollrath. Dessen erster Langspielfilm erweist sich als gelungenes Genrekino.
Mit seinem Abschlussfilm „Alles wird gut“ (2015) wurde Patrick Vollrath, der bei Michael Haneke an der Wiener Filmakademie studiert hat, für den Oscar nominiert. Nun kommt sein erster Langspielfilm „7500“ in die Kinos. In der Luftfahrt der Notfallcode für eine Flugzeugentführung, beschreibt der Film einen abendlichen Linienflug von Berlin nach Paris, der von Terroristen gekidnappt wird.
DIE FURCHE: Sie drehten in einem ausrangierten Cockpit in einem Kölner Studio und verlassen dieses enge Setting für den gesamten Film nicht.
Patrick Vollrath: Die Grundidee war, die Intensität, die sich in einem einzigen Raum entwickeln kann, auf einen ganzen Film auszudehnen. Die Zuseher so einzuschließen, wie die Figuren eingeschlossen sind. Daraus entstehen viele tote Winkel, die für die Fantasie sehr nützlich sein können. Und da die Handlung so gut wie in Echtzeit abläuft, haben wir lange Sequenzen ohne Schnitt durchspielen lassen. Im Cockpit selbst war nur ganz knapp Platz für die Darsteller und den Kameramann Sebastian Thaler.
DIE FURCHE: Auch eine große Herausforderung für die Schauspieler?
Vollrath: Durchaus. Aber notwendig in unserem Anspruch des höchstmöglichen Realismus. Teilweise haben wir bis zu 20 Seiten Drehbuch ohne Pause gedreht. Gleichzeitig hatten wir eine Live-Kamera, die Szenen vor der Cockpit-Türe in den Monitor projizierte. Alles, was auf den Monitoren passierte, passierte auch draußen vor der Tür. Diese Parallelität war das Konzept. All die Monitore gibt es ja wirklich. Gleichzeitig ist man in seinem Blick sehr eingeschränkt, das finde ich für einen Film interessant. Für jeden Schauspieler arbeiteten wir ein sogenanntes Beat-Sheet aus. Da stehen die wichtigsten inhaltlichen Punkte drauf, die zu tun sind. Aber ich bitte die Schauspieler, ihre eigenen Worte zu finden, ihren authentischen Zugang. Ich sehe, dass das kreative Freiräume schafft. Weil die Schauspieler sich so über eine lange Zeit auf Situationen emotional einlassen können. Aber mir ist bewusst, dass das sowohl physisch als auch psychisch sehr anstrengend ist.
DIE FURCHE: Welche Filme haben Sie zur Vorbereitung angeschaut?
Vollrath: Vorbereitung ist ja alles, was man im Laufe des Lebens so sieht. Da war zum Beispiel „United 93“ von Paul Greengrass dabei. Greengrass hat mich stilistisch sehr geprägt, neben Haneke, der großen Einfluss auf meine Arbeitsweise hat, auf die Herangehensweise an Glaubwürdigkeit und Realismus. Es ist das Geschichtenerzählen, das mich am Filmemachen am meisten fasziniert. Das glaubwürdige Erzählen, um genau zu sein.
DIE FURCHE: Sie arbeiten dafür immer wieder mit dem Drehbuchautor Senad Halilbašić zusammen. Worüber diskutieren Sie?
Vollrath: Über einiges, und das ist auch essenziell, finde ich. Ich möchte ehrliche Filme mit ehrlichen Gefühlen machen, Filme, die authentisch so passieren könnten.
DIE FURCHE: War die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit der Stereotypisierung für die Figuren in diesem Film ein Thema?
Vollrath: Klar. Stereotype interessieren uns da, wo man sie brechen kann. Der Film ist in viele Richtungen recherchiert. Die islamistisch motivierten Anschläge passieren ungefähr so, wie wir sie auch in „7500“ darstellen. Sie sind gewalttätig, politisch motiviert und bedingungslos abzulehnen – das sehen Muslime, die den Film gesehen haben, natürlich nicht anders. Diese Form von Extremismus realistisch zu zeigen, war uns wichtig. Wir haben in der Vorbereitung sehr viel mit Präventionstherapeuten und Betreuer(inne)n von Extremisten in Gefängnissen gesprochen. Uns ging es darum, die psychologischen Muster zu verstehen und sie auch zu offenbaren, aber ohne sie überzuerklären.
DIE FURCHE: Einfache oder komplizierte Frage: Wie sind Sie Regisseur geworden?
Vollrath: Einfache Frage insofern, als ich relativ früh wusste, dass ich etwas mit Film machen möchte, obwohl ich zuerst Schauspieler werden wollte. In dem kleinen Ort, in dem ich aufgewachsen bin, gab es kein Kino. Als ich es mit 12 aber schaffte, Titanic auf einer großen Leinwand zu sehen, war es ein bisschen um mich geschehen. Die schiere Möglichkeit, ein filmisches Ereignis zu schaffen, hat mich sehr beeindruckt. Ich habe dann begonnen, Theater zu spielen und auch Regie zu führen. Mit 16 kaufte ich mir mit dem Geld aus meinem Ferienjob meine erste Filmkamera – bei Aldi.
Mehr dazu: Kritik zu 7500
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