Herr Bachmann - © Filmgarten

Schule auf Augenhöhe: „Herr Bachmann und seine Klasse“

19451960198020002020

Abschreckend wirkt die Länge von 217 Minuten, doch bei Maria Speths beglückendem Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“ vergeht die Zeit wie im Flug. Ein Film über das Miteinander.

19451960198020002020

Abschreckend wirkt die Länge von 217 Minuten, doch bei Maria Speths beglückendem Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“ vergeht die Zeit wie im Flug. Ein Film über das Miteinander.

Werbung
Werbung
Werbung

Unsichtbar ist zunächst der Lehrer Dieter Bachmann. Aus seiner Perspektive blickt die Kamera von Reinhold Vorschneider in einer langen statischen Einstellung auf die zwölf- bis vierzehnjährigen Schülerinnen der 6b der Georg-Büchner-Schule im hessischen Stadtallendorf. Schon in dieser Einstellung bewährt sich die Wahl des Cinemascope-Formats, kann mit dessen Breite doch die ganze Klasse eingefangen werden.

Was Herr Bachmann zu diesem Auftakt aus dem visuellen Off von sich gibt, macht schon klar, dass er kein konventioneller Lehrer ist. Er erkundigt sich nicht nur, wer fehlt, sondern fragt auch, ob sie müde seien, und lässt die Schülerinnen, als sie seine Frage bejahen, nochmals ein paar Minuten die Augen schließen und ihre Köpfe auf die Bank legen.

Der erste Eindruck bestätigt sich, als der 63-jährige Pädagoge ins Bild kommt. Ein echter Alt-68er ist dieser mit seinen mal bunten, mal einfärbigen Wollmützen, seinem Dreitagebart und seinem AC/ DC-Sweatshirt. Auch seine Sprache ist für einen Lehrer ungewohnt, denn auch „am Arsch lecken“, „scheiße“ oder „geil“ gehören zu seinem Wortschatz.

Doch nie sagt er ein falsches Wort zu seinen Schützlingen, auch wenn er sie mehrmals mit klarer und scharfer Ansage zurechtweist. Ganz auf Augenhöhe mit seinen Schülerinnen ist er, nimmt sie als junge Menschen ernst und versucht stets, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihnen zu helfen, den für sie besten Weg zu finden.

Persönlichkeit vor Lehrstoff

Leicht ist das nicht, denn aus neun Nationen stammen die 19 Schülerinnen. Neben der ehrgeizigen, aus Kasachstan stammenden Anastasia gibt es den bulgarischstämmigen Hasan, der gerne Boxer werden würde, neben der zurückhaltenden Zerhan die forsche Steffi. Rabea wiederum leidet darunter, dass ihre Mutter einen Umzug plant, der sie aus dem vertrauten Umfeld reißen würde, und Cengiz kann sich nur selten zurückhalten.

Ganz unterschiedlich ist damit auch der kulturelle und religiöse Hintergrund. Um aus dieser Gruppe, in der auch die Deutschkenntnisse stark differieren, eine Gemeinschaft zu bilden, scheint zunächst einmal eine ganz andere Lernumgebung als üblich nötig. So liegen in Herrn Bachmanns Klasse nicht nur überall Musikinstrumente herum, sondern es gibt auch eine Couch, um sich auszuruhen, und eine Teeecke, um sich zu stärken.

Unkonventionell sind auch die Methoden des Lehrers. Zwar müssen auch deutsche Grammatik und Bruchrechnen geübt werden, doch wenn die Schülerinnen persönliche Probleme haben, wird der Lehrstoff zurückgestellt, denn wichtiger sind die Persönlichkeit sowie die Förderung der Achtsamkeit und des Miteinanders. Eine große Rolle spielt die Musik, mit der über Sprachbarrieren hinaus das Gemeinschaftsgefühl gefördert werden kann. Kontrovers werden aber auch Fragen zu einem Kruzifix in einer Klasse oder zu gleichgeschlechtlicher Liebe diskutiert, und immer fragt Bachmann nach, lässt sich nicht mit pauschalen Antworten abspeisen, sondern will, dass die Schülerinnen ihre Meinung begründen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung