Spencer - Man kann die Performance von Kristen Stewart als Lady Di in „Spencer“ durchaus mit jener von Helen Mirren als
Elizabeth II. in „The Queen“ (2006) vergleichen. - © Polyfilm

"Spencer": Aufstand einer Prinzessin

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Regisseur Pablo Larraín gelingt mit "Spencer" im Verein mit Kristen Stewart eine grandiose und plausible Schilderung des Bruchs von Prinzessin Diana mit den britischen Royals.

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Regisseur Pablo Larraín gelingt mit "Spencer" im Verein mit Kristen Stewart eine grandiose und plausible Schilderung des Bruchs von Prinzessin Diana mit den britischen Royals.

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Wo bin ich hier?“Der zentrale Satz von Pablo Larraíns Biopic „Spencer“ fällt gleich zu Beginn des Films – und wird alle 117 Minuten lang aus jeder Ecke von Sandringham hervorlugen. Das Dorf mit der königliche Residenz in der Grafschaft Norfolk, wo die Queen und die Royals zeitweise wohnen, ist auch der Geburtsort von Diana Spencer, die als unglückliche Princess of Wales Weltgeschichte schreiben sollte. „Wo bin ich hier?“, bleibt denn auch eine rhetorische Frage: Denn Diana ist im Dezember 1991, wie es sich gehört, bei Mann, Kindern und Schwiegermama, um Weihnachten zu feiern.

Die Ehe mit Charles ist da schon längst am Ende, und Diana versucht mehr und mehr, aus der von der Queen eisern geforderten Etikette auszubrechen – etwa indem sie mit dem offenen Porsche-Kabrio durch die Gegend braust und dann scheinbar verwirrt in der lokalen Gastwirtschaft auftaucht, wo sie alle kennen und der anwesende Darren, der als Chef die Küche von Sandringham House leitet, ihr den Weg zurück ins untraute Heim weist. Es wird das letzte Christfest in dieser Familie sein …

„Spencer“ erzählt diese entscheidenden Tage im Leben von Prinzessin Diana und der chilenische Filmemacher Pablo Larraín kann bereits Referenz-Opera aus dem Genre vorweisen, hat er doch mit „Neruda“ (2016) über den Landsmann und Literaturnobelpreisträger, sowie im gleichen Jahr mit „Jackie“ über die Präsidenten- und Reeders-Witwe bereits Meisterwerke abgeliefert.

Fiktion, auf ihre Art real

"The Queen“ der Briten Stephen Frears und Peter Morgan (2006) als mindestens so wichtiges Vorgängerstück her. Während das vielprämierte Filmdrama um die ereignisreichen Tage nach dem Unfalltod von Diana im Spätsommer 1997 sich weitgehend an die Historie zu halten suchte, ist dies in „Spencer“ bloß der Ausgangspunkt der Geschichte. Dass Lady Di anno 1991/92 den Jahreswechsel mit Queen & Co in Sandringham verbracht hat, entspricht den Fakten.

Was sich aber tatsächlich ereignete, imaginiert die Fantasie von Drehbuchautor Steven Knight. Es gibt genug, auch filmische Beispiel, dass derartige Fiktion durchaus „real“ sein kann – in dem Sinn, dass die Spannungen und Brüche in den handelnden Personen und nicht zuletzt in der Protagonistin selbst, auf diese Weise offengelegt werden können. Man kann „Spencer“ konzedieren, dass die Probleme, die Abgründe, aber auch die Größe der Person(en) plausibel auf die Leinwand gebracht werden.

Ein Gutteil der Fakten rund um Lady Di, ihr unglückliches Leben und Sterben sind ja lang bekannt – und auch in verschiedenen Kunstformen beschrieben. Aber das Unglück und die Unerbittlichkeit des „Systems“ der Royals, sind eben nur eine Seite der (menschlichen) Medaille: Die (Noch-) Prinzessin von Wales hat, das zeigt „Spencer“, gelernt, unter Mühen und Leiden sich ihren eigenen Raum zu erkämpfen: Sie zwingt einen Hofstaat, der auf das „Funktionieren“ aller darin Lebenden abzielt, aus dem Tritt zu kommen.

Shocking, dass diese Person es wagt, die Queen warten zu lassen oder nicht in der vorgesehenen Garderobe zu erscheinen. Oft ahnt man mehr, welche Kämpfe nötig waren, um zu dieser Positionierung fähig zu werden. Am Ende nötigt diese Diana in „Spencer“ sogar den stursten Systemerhaltern wie dem Haushofmeister Alistair Gregory (Timothy Spall) Respekt ab. Und es mag sein, dass die Zurückbleibenden wie Ehemann Prince Charles (Jack Farthing) in diesem Setting besonders blass erscheinen und zur Karikatur verkommen.

Noch eines hat „Spencer“ mit den erwähnten Referenzfilmen gemeinsam. Das Biopic steht und fällt mit den Protagonist(inn)en: Waren es in „Neruda“ Gael García Bernal, in „Jackie“ Natalie Portman sowie in „The Queen“ Helen Mirren, die dafür auch den Oscar einheimste, so ist es nun Kristen Stewart, die Prinzessin Diana alle Facetten einer Persönlichkeit einhaucht und keine Tiefen und Höhen auslässt. Allein diese Performance macht „Spencer“ hierzulande zum ersten Filmereignis des neuen Jahres. Man wird sehen, ob sich das auch bei den Oscars niederschlagen wird. Zumindest Kristen Stewart hätte sich das ehrlich verdient.

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