Unbändiger Wunsch nach ÜBERWACHUNG

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"Das sieht man in vielen Gesellschaften heute, dass der Wunsch nach Überwachung und Sicherheit so groß geworden ist, dass man bereit ist, dafür die eigene Freiheit zu opfern."

Orwell' sche Dystopie anno 2018 - so oder so ähnlich kann man Ruth Maders Film "Life Guidance" auf einen Punkt bringen: Einen Scien ce-Fiction-Film, der über die nächsten Jahrzehnte relevant bleiben wird, wollte sie machen, sagt sie.

DIE FURCHE: Frau Mader, Ihr Film zeichnet sich durch seine optische Finesse aus, aber auch durch seine dystopische Vision vom allumfassend kontrollierten Bürger. Gab es Vorbilder für "Life Guidance"?

Ruth Mader: Vorbild für diesen Film war "1984" von George Orwell, ein Buch, das mich schon lange fasziniert. Formal habe ich mich sehr an Stanley Kubricks "A Clockwork Orange" orientiert, gerade auch in der Frage, wie er mit Räumen umgeht und mit seinen Motiven. Kubrick war in der Wahl seiner Bilder sehr präzise. Außerdem war mir wichtig, einen zeitlosen Science-Fiction-Film zu drehen, also einen, der gesellschaftspolitisch relevant ist und auch über die nächsten Jahrzehnte relevant bleiben wird. Gerade da ist Kubrick auch ein Vorbild. Letztlich ist "Life Guidance" bei all den Einflüssen aber schon eine originäre Entwicklung von Drehbuchautor Martin Leidenfrost und mir.

DIE FURCHE: Die räumliche Ausstattung in Ihrem Film zeugt von Großzügigkeit, klaren Linien und modernem Lebensstil. Inwieweit spiegeln sich darin die Lebensentwürfe Ihres Protagonisten Alexander Dworsky?

Mader: Ich wollte für die Figur von Dworsky eine helle, lichte, transparente Mittelschichtwelt, in der die Menschen sich fröhlich fühlen und sich scheinbar selbst verwirklichen können. Den Kontrast dazu bildet ein Klassensystem: Die "Schlafburgen", in denen die "Minimumbezieher" ruhig gestellt werden. Dort sieht es so aus wie in einer gescheiterten sozialdemokratischen Utopie der 1920er-Jahre. Es gibt im Film auch die Behausungen der "Working Poor", aber genauso die Villa eines Oligarchen. Wir haben das gesamte Spektrum der Gesellschaft abgebildet. Also eigentlich gar nicht so viel anders, als es heute ohnehin schon existiert, nur haben wir es für den Film deutlich zugespitzter inszeniert.

DIE FURCHE: "Life Guidance" lässt sich als Kommentar zu unserer Zeit sehen.

Mader: Es ist sicher ein gesellschaftspolitischer Film, der zeigt, hochgerechnet, wie unser Wertesystem der Zukunft aussehen könnte, wenn der Kapitalismus sich derart perfektioniert, und sich alles nur mehr darum dreht, dass die Menschen "optimiert" und immer transparenter werden und immer mehr Daten freiwillig ins Internet stellen. Der Film zeigt aber auch das Spannungsfeld, das sich auftut, wenn eine Gesellschaft immer mehr nach "political correctness" strebt. Ich glaube, der Film greift relevante Themen auf. Seit ich davon gehört habe, dass man in Schweden überlegt, dass man sogar in einer Ehe vorher fragen muss, ob man Sex miteinander haben darf, finde ich, dass die Realität gerade unseren Film einholt.

DIE FURCHE: Und diese Realität ist etwas Hausgemachtes, kein von außen aufoktroyiertes, autokratisches System.

Mader: Genau. Wir zeigen eine Mittelschicht, die sich höchstselbst für diese ihre totale Überwachung entschieden hat. Das sieht man in vielen Gesellschaften heute, dass der Wunsch nach Überwachung und Sicherheit so groß geworden ist, dass man bereit ist, dafür die eigene Freiheit zu opfern.

DIE FURCHE: Beeindruckend ist die Kameraarbeit von Christine A. Maier.

Mader: Ich habe ein paar Monate am visuellen Konzept des Films gearbeitet, bevor mit Christine A. Maier meine Kamerafrau hinzukam, die sich vor allem intensiv mit der Lichtsetzung befasst hat. Ich habe Storyboards gezeichnet, die wir gemeinsam durchgearbeitet und gar nicht allzu viel verändert haben. Aber die Lichtsetzung erzählt dann nochmal eine ganz neue Dimension der Geschichte. Die Bilder sind mir das Wichtigste: Ich hoffe, dass meine Filme immer über die Bilder funktionieren, denn darin begreife ich meine eigentliche Arbeit: Genaue, sinnvolle Bilder zu machen, die niemals beliebig sind, sondern immer sehr bewusst gestaltet.

DIE FURCHE: Visuell ist diese Dystopie optisch freundlich und gar nicht so furchteinflößend. Das ist unüblich im Genre.

Mader: Mich interessieren Kontraste sehr stark, zum Beispiel eine helle Welt, und ein Grau, das in dieser Helligkeit aufgeht. Der eigentliche Horror in diesem Film ist ja nicht die Welt der Schlafburgen, sondern die Welt der Mittelschicht, in der alles optimiert erscheint, in der alles unter völliger Kontrolle steht. Übrig bleibt eine seltsam entleerte Welt, ein leeres Dasein. Da komme ich wieder auf das Schweden-Beispiel: Das ist für mich der Verlust der allerintimsten Dinge und der persönlichen Freiheit.

DIE FURCHE: Ihr Film lehrt die Erkenntnis, dass Gedanken zum Glück niemals beherrschbar oder überwachbar sind.

Mader: Bald ist Alexander Dworsky gänzlich auf sich allein gestellt. Man sieht es in seinem Gesicht, dass er sich mit dem System auf eine Weise arrangiert hat, die ihm die Freiheit der Gedanken erlaubt. Sein Körper funktioniert wie eine Hülle im System, aber in seinem Geist und seinem Herzen ist er immer noch der Alte geblieben.

DIE FURCHE: Ihr letzter Spielfilm, "Struggle" von 2003, liegt schon lange zurück

Mader: Nach "Struggle" wollte ich einen vier Millionen Euro teuren Film umsetzen, der in einem katholischen Mädcheninternat spielt, das hat mich ganze fünf Jahre gekostet, aber ich konnte ihn nur zur Hälfte finanzieren. Daher musste ich ihn auf Eis legen, aber ich hoffe, das irgendwann wieder ausgraben zu können, wenn die Finanzierung mit rein österreichischem Geld oder mit nur einem ausländischen Partner klappt.

Life Guidance A 2017. Regie: Ruth Mader. Mit Fritz Karl, Florian Teichtmeister. Stadtkino. 101 Min.

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