Unruh - © Foto: Filmgarten

"Unrueh": Kapitalismus und Anarchie

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Der Autor Walter Gasperi über den Film „Unrueh“ des Schweizer Regisseurs Cyril Schäublin.

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Der Autor Walter Gasperi über den Film „Unrueh“ des Schweizer Regisseurs Cyril Schäublin.

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Vom Setting her ist „Unrueh“, der zweite Spielfilm des Schweizers Cyril Schäublin, ein historischer Film und dennoch sind die Bezüge zur Gegenwart unübersehbar. Eine andere Welt scheint in der Uhrenindustrie im Schweizer Jura in den 1970er Jahren des 19. Jahrhunderts noch möglich. Nichts ist festgeschrieben, nicht einmal die Zeitmessung, gibt es doch – eine Fabrikzeit, eine Kirchenzeit, eine Gemeindezeit und eine Telegrafenzeit. Aber man ahnt schon, welche Zeit sich durchsetzen wird, wenn das Arbeitstempo zunehmend genauer kontrolliert und der Arbeitsprozess reglementiert und optimiert werden. Aber auch die Welt wird mit der aufkommenden Kartografie vermessen und die Abstände zwischen den Kontinenten durch die Telegrafie verkürzt. Gleichzeitig entwickelt sich gesellschaftlich als Gegenposition zu den Industriellen eine anarchistische Bewegung, die in der Uhrenindustrie vor allem von den Frauen getragen wird. Bewusst reduziert gehalten sind historische Kulissen und Kostüme. Kühl und spröde ist die Inszenierung, die an die Filme Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets erinnert. Weitgehend statisch bleibt die Kamera von Silvan Hillmann, die die Menschen meist in langen, distanzierten Einstellungen erfasst. Auch auf extradiegetische Filmmusik verzichtet Schäublin. Auf Distanz gehalten wird das Publikum aber auch durch den Verzicht auf Psychologisierung und Background der Charaktere. Nicht Emotionalisierung ist das Ziel, sondern vielmehr soll mit der nüchternen, aber präzisen Inszenierung Einblick in diese Umbruchszeit vermittelt werden. Geduld verlangt „Unrueh“ mit seiner entschleunigten Erzählweise zwar, doch wer sich darauf einlässt, erlebt einen ebenso ungewöhnlichen wie faszinierenden Film, der mit seinem inhaltlichen Reichtum spannende Einsichten bietet und zum Nachdenken anregt.

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