verloreneillusionen - still - © Foto: Filmladen

Verlorene Illusionen – Balzac für die Internet-Generation

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In seinem opulenten Kostümdrama bezieht Regisseur Xavier Giannoli auf satirische Art auch die Gegenwartsgesellschaft mit ein.

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In seinem opulenten Kostümdrama bezieht Regisseur Xavier Giannoli auf satirische Art auch die Gegenwartsgesellschaft mit ein.

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Honoré de Balzacs Roman „Verlorene Illusionen“ ist ein Sittengemälde über das Frankreich der Restaurationszeit und schon lange überfällig für eine Kinoadaption. Xavier Giannoli hat es versucht und ein opulentes Kostümdrama vorgelegt, das ein bemerkenswertes Gespür für die Relevanz des historischen Stoffes offenbart. Man kann gar nicht anders, als in der im Paris des 19. Jahrhunderts angesiedelten Geschichte vom Aufstieg und Fall des Journalisten Lucien Rubempré (Benjamin Voisin) einen satirischen Kommentar auf die heutige Internet- und Social Media-Kultur zu sehen. Giannoli vertraut dabei dermaßen auf die tagesaktuelle Brisanz von Balzacs Story, dass er seinen Film bewusst altmodisch inszeniert: Hier wird genüsslich im aufwendigen Dekor geschwelgt, wobei sich der Regisseur ganz auf die für heutige Ohren antiquiert wirkende Sprache Balzacs verlässt. Dieser Manierismus hat Methode, soll er das Publikum doch mit dem Effekt überrumpeln, aktuelle Praktiken der Medienwelt in einem historischen Kontext wiederzufinden, wo es diese nicht erwartet hätte. Zunächst wähnt man sich noch in einem anderen Film. Der junge Lucien lebt in der französischen Provinz und will Dichter werden. Dabei wird er von der Baronin Louise (Cécile de France) unterstützt, mit der er auch eine Affäre hat. Seine Ambitionen treiben ihn schließlich nach Paris, wo er mangels literarischem Erfolg als Kulturjournalist zu arbeiten beginnt. Wie schon Balzac zeichnet Giannoli die Zeitungswelt voller Zynismus, Geldgier und Heuchelei. Es geht nicht mehr darum, was gute Kunst ausmacht, sondern wie sich die Meinungen der Leute am besten beeinflussen lassen. Verlage werden von Analphabeten (Gérard Depardieu) geleitet und müssen für positive Kritiken viel Geld bezahlen. Die Qualität von Theateraufführungen wird durch das Engagement von Claqueuren entschieden, der Marktwert von Romanen durch Kontroversen künstlich in die Höhe getrieben – Influencer und Internet-Trolle lassen grüßen. Durch diese Schilderungen nimmt „Verlorene Illusionen“ am meisten Fahrt auf und erinnert in ihren von voice-over Narration begleiteten Montagen an die Art, wie Scorsese die Welt des organisierten Verbrechens einzufangen weiß. Leider fällt der Film dann doch in konventionellere Dramagefilde zurück, welche einen die übertriebene Laufzeit von fast zweieinhalb Stunden deutlich spüren lassen.

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