lillian - Film mit seltsamer Sogwirkung: Andreas Horvaths „Lillian“ zeigt eine Frau auf dem Weg in ihre Heimat. - © Stadtkino

Zu Fuß zurück nach Russland

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Lillian hat keine Papiere. Sie hat keine Aufenthaltsgenehmigung. Und keine Arbeitserlaubnis. Unter solchen Voraussetzungen ist es eher schwierig, in einem fremden Land Fuß zu fassen, vor allem, wenn dieses Land die USA sind. Da geht es heutzutage nicht einmal mehr in der Pornobranche halbseiden oder gar illegal zu: Wenn Lillian im US-Pornobusiness ankommen will, dann müssen die Voraussetzungen schon stimmen. Das gibt ihr jedenfalls ein Pornoproduzent bei einem Casting in New York unmissverständlich zu verstehen. Lillian bleibt nichts anderes übrig, als die Heimreise anzutreten.

Doch wie? Wie kommt man ohne Geld und ohne Papiere zurück in die Heimat nach Russland? Es ist ein sperriges Roadmovie, das der Salzburger Andreas Horvath („Helmut Berger, Actor“, 2015) heuer in Cannes in der Reihe „Quinzaine des réalisateurs“ vorgestellt hat, allerdings sperrig im besten Sinn: „Lillian“ führt eine Frau zwei Filmstunden lang durch ihre monatelange Reise von den USA zurück in ihre Heimat Russland – und zwar zu Fuß. Der Weg geht von New York quer durch die USA westwärts, ehe diese Lillian schließlich nach Alaska gelangt und von dort die Beringstraße überqueren will. Die Protagonistin wird dabei außer „Njet“ kein einziges Wort sprechen, sie wird sich mal zielstrebig gen Heimat begeben, mal treiben lassen, und sie wird unterwegs ein Amerika kennenlernen, auf das sie so nicht vorbereitet war.

Lillian, vielschichtig angelegt von Patrycja Płanik, wird anhand ihrer Reise bald ein Kaleidoskop Amerikas durchwandern, das die mannigfachen Schattierungen dieses Landes abbildet und mehr zeigt als Graustufen und Klischees. Es ergibt sich daraus fast eine dokumentarische Reise, die Horvath im kleinen Team mit seiner Schauspielerin umgesetzt und nahezu chronologisch gedreht hat. Seinen Zuschauern bietet er dabei überaus beeindruckende Bilder, die im Fortgang der Reise in die immer größer werdende Einsamkeit auch immer karger werden, genau wie die Landschaft, durch die Lillian sich bewegt. Die menschenverlassenen Gegenden, die sie durch­streift, bilden bald auch ihre seelischen Zustände ab. „Lillian“ ist ein Film, der fordert und der jene entlohnt, die sich auf den seltsamen Sog einlassen, der sich schon bald einstellt.

Die Geschichte basiert übrigens auf einer wahren Begebenheit: Eine Frau namens Lillian Alling ging in den 1920er-Jahren tatsächlich von New York zu Fuß Richtung Beringstraße. Horvath transferiert die Handlung ins Heute und zeigt damit, was Distanzen bedeuten, auch und gerade in Zeiten schneller Verkehrsmittel. Hinzu gesellt sich eine Melange aus faszinierenden Bildern und einer intimen Annäherung an eine rätselhafte Frau, in deren Dasein nicht alles logisch sein muss, nur weil Kino-Konventionen es vielleicht erfordern.

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