Zwei Narrative vor Gericht

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Es beginnt wie es sonstwo auf der Welt beginnen könnte: Toni Hanna, der eine kleine Autowerkstatt betreibt und mit seiner hochschwangeren Frau Shirine nebenan in einer kleinen Wohnung mitten in der Stadt lebt, gießt seine Balkonpflanzen. Unter dem Balkon arbeitet ein Bauarbeitertrupp, und Yasser Salameh, der Polier, kriegt eine Ladung Wasser ab, weil Toni einen ungenehmigten Abfluss installiert hat. Als Yasser zu Tonis Wohnung hinaufsteigt und sich darüber beschwert, reagiert Letzterer äußerst gereizt. Aber Yasser kommt später, als Toni nicht da ist, wieder, repariert den Abfluss und verbindet ihn mit der Dachrinne. Der zurückgekehrte Toni ist darob aber noch wütender und aggressiver - und zerstört das reparierte Rohr wieder.

Hierzulande würde dieser Vorfall gut für eine Episode der TV-Sendung "Schauplatz Gericht" taugen, und die beiden Kontrahenten würden sich, von Kamera und Moderator begleitet, auf dem Bezirksgericht wiederfinden - auf dass das p.t. Publikum vor den Bildschirmen dann auch seine gebührende Hetz hat. Aber Ziad Doueriris Film "Der Affront" spielt nicht in der grantigen Wienerstadt, sondern in Beirut, wo die Bewohner neben den sonstigen Inkommoditäten des Großstadtlebens auch noch die vergangenen und gegenwärtigen politischen Verwerfungen als ihre jeweiligen Rucksäcke mitschleppen. Toni ist Christ, der ein Massaker durch Palästinenser in den 1970er-Jahren überlebt hat, aber aus dem Dorf seiner Väter vertrieben wurde. Yasser lebte als palästinensischer Flüchtling in Jordanien, und wurde im als "Schwarzer September" bezeichneten Bürgerkrieg 1971 aus Jordanien geworfen -und lebt nun seit Jahrzehnten im libanesischen Flüchtlingslager. Christen und Muslime, Libanesen und Palästinenser sind einander seit den Bürgerkriegsjahren nicht grün, auch wenn nach 1990 mehr oder weniger Friede zwischen den Religionen und/oder Ethnien herrscht.

Christ versus Palästinenser

Toni ist Anhänger der radikalen rechten Christenpartei "Forces Libanaises", und Yasser, der eine Ausbildung zum Bauingenieur hinter sich hat, kann bestenfalls als Polier tätig sein -und auch das als mehr oder weniger Illegaler, denn eigentlich dürfen Palästinenser im Libanon nicht arbeiten.

Toni fühlt sich von Yassers Verhalten provoziert und will eine Entschuldigung. Aber Yasser verweigert diese, weil er nicht einsieht, dass er für seine Hilfsbereitschaft auch noch gedemütigt werden soll. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, Hanna findet sich mit zwei gebrochenen Rippen wieder -und die beiden Gerichtsverfahren, die aus dem Konflikt resultieren, bieten reichlich Stoff: zum einen für Tonis Anwalt, ordentlich abzukassieren und den Palästinensern endlich eins auszuwischen, das heißt, Yasser medienwirksam fertigzumachen; zum anderen für Yassers Rechtsvertreterin, endlich den Menschenrechten gegenüber den Palästinensern zum Durchbruch zu verhelfen. Zusätzliche Dramatik erwächst daraus, dass es sich bei den Anwälten der beiden um Vater und Tochter handelt, die auch politisch auf verschiedenen Seiten stehen.

Den Richtern in beiden Instanzen wird schnell klar, dass es sich hier eben nicht um eine bloße Nachbarschaftssache handelt, und dass die Parteien ihr jeweiliges politisches Süppchen kochen. Auch Toni und Yasser erkennen, dass sie weniger und weniger Kontrahenten in eigener Sache sind denn Vertreter ihrer Völker und/oder Religionen.

Meisterhaft gelingt es Regisseur Doueiri, die Spirale der Eskalation darzustellen, wenn es nicht mehr um eine Gerichtssache, sondern um Geschichten und Geschichte geht, wenn zwei Narrative -das der christlichen Verlierer des libanesischen Bürgerkriegs sowie das der im Libanon wie in der gesamten arabischen Welt geächteten Palästinenser -aufeinandertreffen.

Ziad Doueiri, der mit seiner Frau Joëlle Touma auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, erweckt in "Der Affront" das klassische Gerichtssaaldrama überraschend neu zum Leben. Auch dass die Richter, als Vorsitzende des zweiten Verfahrens firmiert eine Richterin, hier tatsächlich "Recht" sprechen gegen die kulturell-politisch-religiösen Begehrlichkeiten der jeweiligen Prozesspartei, handelt der Film wirklich gut nachvollziehbar ab.

Das alles wird auch ohne religiös-islamistisch-fundamentalistisches Beiwerk dargestellt: Es geht hier um einen "laizistischen" Konflikt, der über den Anlassfall hinaus zu einer grandiosen Studie über Identität und Menschsein gerät, die durch die gesellschaftlichen und historischen Umstände arg angefochten werden.

Dies ist auch exzeptionellen Darstellerleistungen geschuldet: Kamel El Basha wurde für seinen Yasser 2017 in Venedig als Bester Schauspieler geehrt, die Performance des Comedian Adel Karam als Toni steht dem um nichts nach, ebenso wie das Spiel derAnwälte (Camille Salameh und Diamand Abou Abboud) sowie von Tonis Frau Shirine (Rita Hayek), die so gar nicht die Wut ihres Gespons teilt, und deren Schwangerschaft gleichfalls in den Strudel der Ereignisse gerät.

Der Affront (L'Insulte) LIB/B/F/CY/USA 2017. Regie: Ziad Doueiri. Mit Adel Karam, Kamel El Basha, Rita Hayek, Diamand Bou Abboud, Camille Salameh. Filmladen. 113 Min.

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