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10 Jahre Wiener Festwochen

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Es war keine schöne Zeit, als ich im Dezember 1949 in die Stadtverwaltung berufen wurde, das Amt des Stadtrates für Kultur und'Volksbildung zu übernehmen. Die Periode des „Schuttwegräumens“ war vorüber und damit auch die des Improvisierens in den Zweigen der Verwaltung. Die Industriebetriebe waren in der Lage, die ersten Gebrauchsartikel auf den Markt zu bringen, und es “war nur zu selbstverständlich, daß sich die Bevölkerung auf diese so lange entbehrten Konsumgüter mit der Leidenschaft der Ausgehungerten stürzte. Naturgemäß kamen dadurch unsere Kulturinstitute in arge Bedrängnis, denn der Trend nach dem Brotkonsum war —, wie immer in solchen Zeiten — stärker als das Verantwortungsbewußtsein und der Wille zur Kultur.

Tagtäglich gab es Diskussionen um die herrschende „Ki.: urkrise“. Notgemeinschaften wurden gegründet und forderten stürmisch mehr Geld für die Kulturarbeit. Man sah das_ Allheil mittel zur Lösung des Problems in immer größer werdenden Subventionen aus der öffentlichen Hand, als wenn ein noch so hoch dotierter Sitz in einem Theater oder Konzerthaus diesen Methoden zum Trotz letzten Endes nicht doch wieder leer bliebe!

Ich verlangte damals, der Krise durch erhöhte Aktivität, durch Einfallsreichtum der Programmgestalter, durch verstärktes Ansprechen des Publikums, durch Organisierung neuer Be-.sucherkreise zu begegnen, kam aber — obwohl die Zuwendungen aus Mitteln der öffentlichen. Hand bedeutend angestiegen waren — nicht recht weiter, weil sich in den Kreisen unserer Kultur-Verantwortlichen eine gewisse defätistische Stimmung breitgemacht hatte, die außerordentlich gefährlich werden mußte. Begreiflich, wenn man in den Sorgen des Alltags nur sein eigenes enges Arbeitsbereich sieht, katastrophal, wenn die Situation aus dem Aspekt „Wien und die Welt“ betrachtet wird.

Sollte Wiens Kultur, die Weltstadt der Musik, die Schatzkammer des Abendlandes, die Stadt des sozialen Fortschrittes, des Wohnbaues, der Schulreform nur deshalb in Anonymität versinken, Weil sie von der freien Welt durch liri-überschreitbate Demarkationslinien abgeschnitten war, nur deshalb verdorren, weil es den Glauben an sich selbst zu verlieren drohte?

Nein, Wien mußte sich selbst finden, sollte lernen, wieder an sich zu glauben, sollte, wie so oft in seiner tausendjährigen Geschichte, beweisen, daß der Born seiner Lebenskraft aufbricht — wenn es nur will. | % . skr

In dieser Atmosphäre und aus diesem Geiste wurden die ersten Wiener Festwochen 1951 geboren. Natürlich gab es — wir wären ja nicht in Wien, wenn's anders wäre — viele „wenn“ und „aber“, und fast wäre die-befreiende Tat . bereits in den Zweifeln des Vorsatzes erstickt. , Aber, das Wollen war letzten Endes doch stärker. Am 26. Mai 1951 um' 20.30 Uhr erklangen vor dem festlich beleuchteten Rathaus unter dem Jubel von zehntausenden Wienern die unvergänglichen Klänge des Walzers „An der schönen blauen Donau“ und gaben den Auftakt zum Beginn des ersten großen Wiener Festes. Wir, die wir am Anfang der Planung standen, dürfen heute gestehen, daß uns in diesem Moment die Augen feucht wurden.

Im Programmheft dieser ersten Wiener Festwochen heißt es:

„Nach jahrelanger Unterbrechung und Überwindung tragischer Nöte begeht Wien zum erstenmal wieder seine Festwochen. Es feiert damit den Weiterbestand seiner Mauern, noch mehr aber seine atts einem Jahrtausend erwachsenen und sich weiterhin erneuernde Bedeutung als europäisches Kulturzentrum. Seine schaffenden Künstler, seine Oper und seine Theater, seine Orchester, Ballette und Chöre, die mit federn Gastspiel Ruhm ernten, sind für Wien dauernder Besitz und Alltagsreichtum. In . seinen historischen und modernen Sammlungen, seinen Baudenkmälern und Weihestätten großer Erinnerung ist es Träger unsterblicher Werte. Und selbst die frühsommerliche Heiterkeit seiner Landschaft und seiner Gärten trifft sich noch mit der musischen Art und Gastfreundlichkeit Seiner Menschen. So mag aus dem harmonischen Zusammenwirken aller Kräfte und Gaben eine Gesamtschau und Festlichkeit zustande kommen, die Wien und seinen Gästen neue Lebensfreude und Zuversicht schenken werden.“ \

Österreich und das Ausland nahmen diese ersten Wiener Festwochen mit Staunen und Interesse zur Kenntnis, für die Wiener, vor allem für Wiens Kulturinstitute, waren sie Beginn einer neuen Ära.

Seither kündet in den Frühlingswochen jeden Jahres das große Wiener Fest von der sich stets erneuernden und in die Welt strahlenden Kraft dieser europäischen Kulturmetropole. . 1952. .Der internationale Musikkongreß tagt in (Wien. Bruno Walter, dirigiert die Wiener Philharmoniker beim Eröffnungskonzert, Herbert von Karajan konzertiert mit dem London Phil-harmonia Orchestra, Mario Rossi mit dem RAI-Orchestra Turin. Paul Hindemith leitet die konzertante Aufführung seines Werkes „Mathis, der - Maler“; Ernest Ansermet führt mit den Wiener. Symphonikern Frank Martins „Göl-gotha“ auf. Vor Schönbrunn: erste Freilichtaufführung „Die Hochzeit des Figaro“ durch die Staatsoper.

1953. Im Mittelpunkt des Programms stehen die konzertante Aufführung der „Frau ohne Schatten“ Von Richard Strauß, die Erstaufführung von Liebermanns „Leonore 40/45“ und Carl Orffs „Trionfi“. Im Arkadenhof des Rathauses geht das „Spiel vom lieben Augustin“ über die Bretter. Zum erstenmal werden auch die Außenbereiche der Stadt in das festliche Geschehen einbezogen. Der Gedanke, auch den kleinen Mann in den Randbezirken teilhaben zu lassen am großen Fest und so die Wiener Festwochen nicht nur dem internationalen Publikum, sondern auch dem Sohn der Stadt in seinem Bereiche zu widmen, hat ihnen in der Wiener Presse den für die Veranstalter ehrenvollen Titel der „Festwochen für den armen Jedermann“ eingetragen.

1954. Die Festwochen dieses Jahres stehen im Zeichen des Haydn-Festes der Gesellschaft der Musikfreunde und des Internationalen Musikfestes der Konzerthausgesellschaft. Pfingst-samstag, den 5. Juni, wird Josef Haydns Cra-nium in feierlichem Zug nach Eisenstadt gebracht und dort beigesetzt. Um dieses Ereignis rankten sich in Wien und Eisenstadt eine Fülle musikalischer Feiern.

1955. Leopold Stokowski leitet das Eröffnungskonzert. Die konzertanten Aufführungen von „Cölümbus“ und „Pelkas und Melisande“, Solistenkonzerte mit Brailowsky, Francescatti und Milstein sind Höhepunkte des Musikprogramms. In der Volksoper gastieren das „Gojo-Ballett“ aus Japan, das Nationalballett der Belgrader Oper und das Ballett der Berliner Städtischen Oper. Das Burgtheater hatte das „Piccolo Teatro di Milano“ und das „Memorial Theatre StiatfoTd on Avon“ zu Gast.

1956. Internationales Mozart-Fest der Gesellschaft der Musikfreunde. Es umfaßt 37 Konzerte. Neben den Wiener Philharmonikern und den Wiener Symphonikern gastieren vier weltberühmte Orchester in Wien: die Berliner Philharmoniker unter Karajan, das Concert-gebouw-Orchester Amsterdam unter Beinum, die Prager Philharmoniker unter Anöerl, und die Leningrader Philharmoniker unter Mrawinski und Sanderling. In der Staatsoper ist erstmals die Mailänder Scala zu Gast, und im Akademietheater gestaltet die ideenreiche Regie Giorgio Strehlers „II matrimonio segreto“ zu einem künstlerischen Erlebnis. Und diesmal wirkte die Stadt Wien selbst in der farbigen Fülle ihrer Bauwerke an der Gestaltung der Wiener Festwochen mit: „Wien — eine Stadt stellt sich vor“ wird zur größten künstlerischen Schau dieses Jahres.

1957. „Das Internationale Musikfest“ der Konzerthausgesellschaft gibt diesen Festwochen ihr musikalisches Gepräge. 13 Orchester-, 2 Chor-, 10 Solisten- und 4 Kammerkonzerte umfaßt dieses glanzvolle Geschehen, das als Mitwirkende das Cleveland Symphonie Orchestra, das Orchestre de la Suisse Romande, Chor und Orchester cles Bayrischen Rundfunks, die „Gruppo musiche rare di Roma“, den St.-Galler Kammerchor, den Kammersprechchpr Zürich' und das Saxophonquartett Marcel Mule aus

Paris umfaßt. Es gastieren das Berliner Schiller-Theater,die Comedie Franchise, das Shakespeare Memorial Theatre, das Deutsche Schauspielhaus Hamburg und das Nationaltheater Helsinki.

1958. Das erste „europäische Chorfest“ umfaßt 24 Konzerte, an denen die bedeutendsten Chorvereinigungen unserer Stadt neben verschiedenen Chören aus dem Ausland mitwirkten. Die „Woche zeitgenössischen Opernschaffens“ stellt in den Mittelpunkt die Aufführung von Igor Strawinskys „Ödipus Rex“. Für die Premiere übernimmt Jean Cocteau die Rolle des Sprechers. Wieder öffnet das Burgtheater interessanten Gästen seine Pforten: dem Bayrischen Staatsschauspiel, dem Schauspielhaus Zürich, der Compagnia Gassmann und dem Nationaltheater Mannheim. Im Mittelpunkt des Ausstellungsprogramms steht die große Schau der Werke Oskar Kokoschkas. Zum erstenmal stellt sich neben das künstlerische Geschehen der Wiener Festwochen die Diskussion um europäische Probleme. Das erste „Europa-Gespräch“ steht unter dem Leitgedanken „Die Einheit Europas — Idee und Aufgabe“.

1959. Der 150. Todestag Josef Haydns bestimmt das Musikprogramm dieser Festwochen, dessen Hauptlast wieder die Konzerthausgesellschaft trägt. Sie bestreitet allein 28 Konzerte. Die Bamberger Symphoniker, das Kölner Rundfunk-Symphonieorchester, die Staatskapelle Dresden und das Stuttgarter Kammerorchester sind zu Gast. Herbert v. Karajan inszeniert „Tristan und Isolde“ in der Staatsoper, die Volksoper bringt die beiden Einakter „Der Mond“ von C. Orff und „Gianni Schicchi von G. Puccini. Im Burgtheater gastiert das „Theatre National Populaire, Jean Vilar“. Ein gelungener Versuch, das Altwiener „Paw-latschentheater“ wieder auferstehen zu lassen, bereichert das Theaterprogramm, vor allem für die Bezirksveranstaltungen. Linter den 45 Ausstellungen im Rahmen der Festwochen findet die Edvard-Munch-Ausstellung das größte Interesse. Das zweite „Europa-Gespräch“ stand unter dem Generalthema „Die junge Generation und Europa“.

Ich konnte es mir nicht versagen, einen kurzen Rückblick über das verflossene Dezennium zu geben und einige besondere Ereignisse in Erinnerung zu rufen, weil man im Wirksamwerden der Idee zu leicht das ursprüngliche Wollen vergißt und durch eine solche Überschau das Charakteristikum des Geschehens am besten darstellen kann.

Wie oft ist nicht über das „Gesicht“ der Wiener Festwochen diskutiert worden. Die einen meinten, es fehle ein Generalkonzept, dem sich alles ein-, ja sogar unterzuordnen hätte — als ob das beim Haydn-, beim Mozart-Fest, beim Internationalen Chorfest nicht weitgehend geschehen wäre —, die anderen wollten stärker das Theater berücksichtigt sehen und verlangten mehr Gastspiele ausländischer Ensembles — als ob nicht Jahr um Jahr die Zahl der Gastspiele eine beachtliche gewesen wäre —, und wenn man sich ganz unzufrieden gebärden wollte, dann meinte man, die Festwochen könnten sich nicht entwickeln, weil sie von der „Kulturbürokratie“ des Rathauses veranstaltet und gestaltet würden. Aber die ertrug's, arbeitete zäh und beharrlich — Und wie man sehen kann, nicht zum schlechtesten.

Die Wiener Festwochen sollten von Anfang eine Repräsentation der künstlerischen Kraft unserer Stadt sein. Sie konnten nicht einem einzelnen „Genius loci“ geweiht werden, weil diese Stadt reich gesegnet an Heroen der Kunst ist wie keine andere Metropole der Welt, und weil in ihr begnadete Künstler nach Aussage ringen und drängen wie nirgendwo anders.

Deshalb wird es auch in Zukunft nicht leicht sein, den Wiener Festwochen ein anderes „Gesicht“ zu geben, als sie es haben, eine andere Form als die des Zusammenfassens künstlerischer Blüten zu einem herrlichen Strauß, in dem einmal die, ein andermal jene Blume dominiert. In dieser Vielfalt, in diesem ständigen Wechsel, in diesem immer Aus-eigener-Kraft-Schöpfen sind die Festwochen auch am sichersten gefeit gegen jene Erstarrungserscheinungen, mit denen heute manche Festspielstädte zu ringen haben. Keinesfalls darf das Mitschwingen der ganzen Stadt bis in die Randbezirke verlorengehen, weil eine Stadt nur dann echte Festesfreude ausstrahlen kann, wenn sie selbst in jedem Fält-chen ihres Gesichtes ein Lächeln trägt.

Und noch ein letztes soll am Tag des Jubiläums gesagt sein: Ich möchte nochmals festhalten, daß es die manchmal geschmähte „Kulturbürokratie“ war, die in einer Zeit des Klagens und Zagens die Initiative ergriffen hatte und mit ganzem Herzen der großen Aufgabe bis zum heutigen Tag ehrlich diente. Aber vom ersten Tag an war die Mitarbeit aller nicht nur erwünscht, sondern erbeten — manchmal leider vergebens. Die Vereinsform schuf alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit, die gerade in Wien so not tut.

Wir waren aber nie von falschem Ehrgeiz erfüllt und jederzeit bereit, die Programmierung der Wiener Festwochen in die Hände einer Persönlichkeit zu legen, deren Fähigkeiten die künstlerische Entwicklung unserer festlichen Wochen gewährleistet. Die Berufung eines neuen Intendanten hat bewiesen, daß wir, in jeder Hinsicht großzügig, nur der Sache selbst dienen wollen. Er wird nun. in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium die Aufgabe haben, das Programm zu formen und dafür auch die Verantwortung zu tragen. Wir alle wünschen von ganzem Herzen, daß ihm die große Aufgabe gelingen möge.

Mit dem Ankauf des Theaters an der Wien haben die Wiener Festwochen nun auch ihr Haus bekommen. Wenn die Stadt Wien beim Kauf des ehrwürdigen Gebäudes vor allem die Absicht verfolgte, es vor der Zerstörung zu retten, so verband sich mit dieser Absicht doch auch der Wunsch, ein Gebäude zu haben, in dem jederzeit Gastspielensembles untergebracht werden könnten und eine Ausweiche für Freilichtaufführungen gegeben war.

Die Wiener Festwochen müssen noch wienerischer werden als sie es bisher wren. Die vielen zauberhaften Plätze unserer Stadt mit ihren schier unerschöpflichen Möglichkeiten sind bei weitem nicht genutzt. In der Kombination mit dem neuen Theatergebäude wird sich noch manche interessante Möglichkeit aueschöpfen lassen.

So stehen wir nun am Beginn der zweiten Dekade wieder an einem Anfang. Er ist nicht mehr so hart und völler Widerstände, wie es der vor zehn Jahren war. Aber die Aufgabe ist letzten Endes die gleiche geblieben: der Welt zu zeigen, daß Wien noch immer das Herzstück Europas und Europa noch immer das geistige und vor allem das kulturelle Zentrum der Welt ist.

Wir Wiener aber wollen uns freuen, daß es der Bundeshauptstadt unseres Landes gelungen ist, in den 15 Jahren des Bestehens unserer zweiten Republik wieder aufzurücken in die Reihe der ersten Kulturmetropolen unseres Kontinentes.

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