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14 Tage

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Der Tag, an dem der Leser dieses Blatt in die Hand nimmt, ist der vierzehnte nach dem Todestag John F. Kennedys. Mit einer großen, jähen Schwenkung wurde der Scheinwerfer des Weltinteresses vor 14 Tagen auf die Stadt Dallas im amerikanischen Süden gerichtet. Die voll ausgeleuchtete Szenerie hätte keinem Hollywood-Regisseur Schande gemacht. In diesem wimmelnden, brodelnden Stück Texas mußte der jüngste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika sein Leben lassen.

Ebenso rasch, wie an jenem Freitagnachmittag vor 14 Tagen, hat sich, die Szene wieder geändert: Nach Dallas, nach Washington, in das Weiße Haus, auf die Pennsylvania Avenue und auf den Militärfriedhof Arlington kehrte der graue vorwinterliche Alltag zurück. Verhallt sind die Worte, und die Reporter von Funk und Fernsehen sind jetzt anderweitig beschäftigt. Vor 14 Tagen waren viele Millionen Menschen stumme, erschrockene, ohnmächtige Zeugen eines Dramas, das ihnen im fernen Amerika und im noch ferneren, unbekannten Ort Dallas vorgespielt wurde. Die Menschen rückten einander näher, sie fühlten plötzlich wie Mitglieder einer Familie. Es war eine Weltstunde des Schreckens, des Mitgefühls und des sich regenden Gewissens. Dann aber war das Spiel zu Ende, und die Pause bis zum nächsten Stück dauert noch an.

Vielleicht Wäre es gut, in der Zwischenteil Och noch einmal etwas ihnezuhälten und über das Vor gefallene nachzudenken. Was war geschehen? Der Mann, der vor drei Jahren als der mutigste Politiker der Welt die Bühne betrat, weil er es wagte, eine Politik der Vernunft und der heißen Herzen zu verkünden, der seinen Landsleuten nichts weniger versprach, als einen langen Kampf „gegen die gemeinsamen Feinde der Menschen: Tyrannei, Armut, Krankheit und den Krieg selbst“, und der ihnen auch Gleichheit vor dem Recht, Toleranz, neue Bildungsmöglichkeiten und „neue Grenzen" versprach, dieser unerhört wagemutige, mit der herausfordernden Ruhe eines gläubigen Menschen agierende Mann wurde plötzlich ermordet. Man hat zuwenig auf ihn achtgegeben, wie man auch auf eine gute Sache meistens zuwenig acht- gibt — wie man diese so oft zuwenig beachtet —, um es dann nachträglich zu bedauern.

In aller Welt klagen die Demokraten, klagt die Jugend, klagen die Intellektuellen: sie hätten nirgends Vorbilder. Sie haben schon genug Vatergestalten agieren gesehen, von denen sie später erfahren mußten, daß sie nicht immer wie Väter agierten. Auch alte Soldaten sahen sie genug, für alles sorgende Führer, die ihnen auch die Plage des Denkens abnehmen wollten, sehr viele Manager und geschickte Taktiker, so viele und so geschickte, daß es einem kalt über den Rücken lief.

Der 35. Präsident der Vereinigten Staaten kam und bot nicht nur seinen Landsleuten, sondern allen Demokraten der Welt, den jungen Menschen, den Studenten in Harvard und in Graz, den Intellektuellen in New York und in Köln, eine reelle, faire Alternative. Wer weder den Diktator wollte, noch den alten Soldaten, noch den schlauen Manager, mußte noch nicht an der Politik und nicht an der Sache der Demokratie verzweifeln und „Urlaub von der Geschichte“ nehmen. Denn Kennedy bot die Alternative.

Jetzt, da er nicht mehr ist, heißt es, aus alldem zu lernen. Das ist nicht der billigste Trost, den die Geschichte für den Menschen bereit

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