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24 Stunden nicht sprechen und es fallt mir schwer zu reden

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Gehörlosigkeit: Welch ein Hindernis in der Kommunikation mit den Mitmenschen - vor allem, wenn dieses Handikap von Geburt an besteht! Ein Beispiel, wie man mit dieser schweren Behinderung erfolgreich zurechtkommt, präsentiert das folgende Gespräch.

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Gehörlosigkeit: Welch ein Hindernis in der Kommunikation mit den Mitmenschen - vor allem, wenn dieses Handikap von Geburt an besteht! Ein Beispiel, wie man mit dieser schweren Behinderung erfolgreich zurechtkommt, präsentiert das folgende Gespräch.

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DlEFl RCHE: Wann haben Sie gemerkt, daß Sie gehörlos waren und wie haben Sie auf Ihren Zustand reagiert, um Kontakt mit der Umwelt aufzunehmen?

RoBKRTQ E. WlRTH: Als ich fünf Jahre alt war schickte man mich in eine Schule für Gehörlose nach Mailand und da wir alle gleich waren, merkte ich nichts von meinem Problem. Als ich mit zwölf Jahren nach Rom in meine Familie zurückkehrte, bemerkte ich, daß mich niemand verstand und war schockiert, daß ich mit meinen Schulkameraden, die nach der Schule telefonierten und sich trafen, keinen Kontakt haben konnte.

D^s war sehr frustrierend für mich, ich war verzweifelt; allein durch den Sport konnte ich mit den anderen Jungen etwas Kontakt halten. Meine Familie hat die Gebärdensprache, die ja meine Muttersprache war und die ich täglich mit meinen gehörlosen Freunden verwendete, nie gelernt und wollte nicht, daß ich mich damit ausdrücke.

Da merkte ich, daß ich unbedingt

um jeden Preis sprechen lernen mußte. Um mit anderen Menschen vertraut zu werden, mußte ich sprechen lernen, sonst war ich verloren. Aber das war furchtbar schwer. Ich muß immer im Training bleiben, wenn ich auch nur 24 Stunden aufhöre zu sprechen, fällt mir der Anfang schon wieder schwer.

DlEFl RCHE: Was haben Sie unternommen, um Ihre Ausbildung zu bekommen?

WlRTH: Zuerst besuchte ich die Gal-laudet L niversität in \\ ashington D. C, die einzige L niversität für Gehörlose. Dann das Rochester In-

Zur Person

Roberto E. Wirth, einer der prominentesten Teilnehmer des kürzlich in Wien abgehaltenen XII. Weltkongresses der Gehörlosen, stammt aus einer Schweizer Hoteliersfamilie. Von Geburt an gehörlos mußte er den strengen Widerstand seiner Familie brechen, um sich langsam durch alle Stadien der Hotelfach-schul-Ausbildung durchzukämpfen und im Berufsleben hinaufzuarbeiten. Heute ist er „General Manager” des berühmten Hotels „Hassler” in Rom mit 160 Angestellten, verheiratet und Vater von dreijährigen Zwillingen.

stitut for technology, eine gemischte Schule, für Gehörlose und normale Studenten. Als ich meinen Eltern

sagte, daß ich in das Hotelfach einsteigen wollte, antworteten sie beide: ..Nein, das ist zu schwierig für dich!” Ich aber sagte mir. ich muß es zusammenbringen und es gelang mir schließlich, mein ..Bachelor of science degree” an der School of Ho-tel Administration an der Cornell Universitv in Ithaca im Staat New York zu machen und ein ..Master de-gree” an der L niversität von Hawaii, während ich in Honolulu im Chow-der Restaurant und dann im Hyatt Waikiki Regencv Hotel als Kosten-Kontrolleur für Lebensmittel und Getränke arbeitete.

Dort veranstaltete ich Hotelierskurse für Gehörlose und unterrichtete die normalen Angstellten in der Gebärdensprache, damit sich alle untereinander verständigen konnten. L nbewußt bereitete ich damals schon das vor. war mir heute vorschwebt.

DlEFl RCHE: Sie haben in Tokio 1991 die Basis für ein meeting von gehörlosen Berutsausübenden in Manager Positionen gelegt: wie wollen Sie diese Initiative in If ien weiterverfolgen? VN IRTH: Ich möchte, daß wir eine Sitzung für Freiberufliche mit Mana-gerverantwortung. sogenannte ..Top-executives” machen, und zwar will ich erreichen, daß diese Kategorie von Gehörlosen auf uns aufmerksam wird, damit ein Gedankenaustausch stattfinden kann, damit wir uns kennen- und helfen lernen und unsere Probleme besprechen. Es soll auch dazu dienen, daß

wir die Ausbilder der gehörlosen Unternehmer kontaktieren und die Lehrmethoden verbessern können.

Da gibt es zum Beispiel Pocket-fernschreiber, die das Telefon für Taube ersetzen und andere kleine Schreibgeräte (Teletrin), mit denen wir uns verständigen können. Wir sollten unsere Erfahrungen im Berufsleben austauschen, unsere Beziehungen zu den Mitarbeitern und Angestellten besprechen. Wir wollen andere Gehörlose dazu bringen, auch freie Berufe zu ergreifen.

Ich will eine Zeitschrift gründen, damit wir in Kontakt kommen. Ich höre so oft bei den Gehörlosen, daß die meisten heute in Ministerien arbeiten wollen, dort möglicherweise Zeitung lesen und zeitig nach Hause gehen können. Ich will sie stimulieren, etwas Besonderes aus ihrem Leben zu machen.

Wenn sie sehen, daß andere es zusammenbringen, bekommen sie vielleicht auch den Mut dazu. Ich kenne zum Beispiel jemanden, der eine Computerfirma gegründet hat, weiters einen Zahnarzt, einen Antiquitätenhändler, einen Anwalt, einen Künstler. Gehörlose Manager kenne ich etwa zehn auf der ganzen Welt und ich muß unbedingt Kontakt mit anderen finden.

DlEFlRCHE: Welchen Rat können Sie als erfolgreicher Kämpfer anderen Gehörlosen geben? WlRTH: Ein ganz klar erkanntes^iel vor Augen zu haben sowie eine Leidenschaft zu entwickeln - und vor allem einen eisernen Willen, sein Ziel zu erreichen.

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