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Digital In Arbeit

25.000 Bücher

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Sehr verehrter Herr!

Ihre unbescheidene Frage, ob ich eine eigene Bücherei besitze, kann ich zu meinem Vergnügen bejahend beantworten. Ich habe so schrecklich viele Bücher und wohne überdies in solch einem schrecklich kleinen Häuschen, daß es heute oder morgen noch einmal auseinanderbersten wird. Ein Mann der Versicherung, der neulich fruchtlose Versuche anstellte, mich gegeh Einbruch zu versichern, schätzte die Zahl der Bücher, die man bei mir stehlen könnte, auf gut 25.000. Er hat mich dann nicht versichert, einsehend, daß dieses für jeden Einbrecher unausführbare Arbeit sein müsse.

Ein kleiner Teil hievon steht auf Brettern an den Wänden, vom Boden bis zur Decke. Auch auf dem Badezimmer und sogar auf der Toilette ist dieses der Fall. Selbstverständlich befinden sich da die weniger wichtigen Werke, wie meine eigenen Bücher oder die Bände, die gegen atmosphärische Einflüsse fest sind. Der Rest steht einfach auf dem Boden.

Es ist bemerkenswert, wieviel Raum ein Boden bietet. Zuerst gibt es da die bedeutenden Oberflächen unter den Betten, die man in den meisten Familien nicht effizient verwendet, doch bei etwas Nachdenken eine ausgezeichnete Gelegenheit bieten, die Werke, die man doch nie zu lesen beabsichtigt, entscheidend dem Auge zu entziehen. Ich will nicht Namen nennen. Es ist nicht der Zweck dieses kleinen Stücks, einen zu verletzen. Aber man höre weiter.

Haben Sie wohl einmal darüber nachgedacht, wieviel unnötigen Bodenraum ein Zimmer eigentlich enthält? Nehmen Sie zum Beispiel das Studierzimmer. Wenn man da anfangs haust, meint man wirklich, die ganze Oberfläche nötig zu haben, um sich da wohl zu fühlen. Von dieser kindischen Auffassung genest man schnell. Bald sieht man ein, daß man nur die Linie benutzt, die zwei Punkte begrenzen: der Bürostuhl und die Tür. Nun, machen Sie da einen kleinen Korridor und füllen Sie den Rest mit Büchern auf. Tun Sie auch so mit den übrigen Zimmern. Gehen Sie ebenfalls mit dem Dachboden, dem Keller und den Korridoren vor. Bald werden Sie bemerken, daß Sie nicht nur alle Ihre Bücher bergen können, sondern daß Ihre Bewegungen durch das Haus

auch äußerst einfach werden und sich auf das Nötige beschränken.

Es kann nicht ausbleiben, daß es unter Ihren Hausgenossen einige geben wird, die anfangen, sich dieser Auffassung zu widersetzen. Gehen Sie nicht auf ihre einfältigen Bedenken ein. Stellen Sie sie einfach vor die Frage: Wohin wollt ihr denn damit? Warten Sie nicht auf die Antwort, sondern lassen Sie sie mit diesem Problem allein, Auge in Auge. Dieses genügt vollends.

Von Zeit zu Zeit aber wird der Widerstand festere Formen annehmen. Sie werden beim Frühstück Worte hören wie: Ordnung in den Plunder, das Messer hinein, und dergleichen. Es wird sogar eine Putzfrau kommen. Es werden zwei Putzfrauen kommen. Beunruhigen Sie sich nicht. Dies alles geht vorüber. Lassen Sie sie eine Woche lang mit Ihren 25.000 Büchern ringen. Es kommt ein Augenblick, wo sie dieses aufgeben. Der Tag bricht an, wo sie zusammenbrechen. Sie brauchen dabei nichts zu tun. Ihre Bücher ringen für Sie.

Manchmal kann es vorkommen, daß der Aufstand einen ernsteren Charakter annimmt. In diesem Fall kann ich Ihnen einen Rat erteilen, dessen Tauglichkeit sich schlagend herausgestellt hat. übernehmen Sie augenblicklich selbst die Führung. Animieren Sie die Versuche zur Ordnung, weil Sie selbst die Stellen kennen, wo die vollkommen erschöpfenden Werke stehen. Fangen Sie damit an, die Konversationslexika versetzen zu lassen. Machen Sie munter mit, ohne merken zu lassen, daß Ihr Rückgrat fast bricht. Gehen Sie dann unverzüglich und fröhlich scherzend weiter mit den Gesamtwerken Goethes, Schillers und Herders. Im allgemeinen kann man sagen, daß die Deutschen aufreibend sind. Weniger als 16 Teile mit Register schreiben sie selten. Halten Sie für Notfälle eine Gesamtausgabe Dickens' zurück. Aber es wird nicht nötig sein. Lange davor können Sie sich in Ihr Zimmer zurückziehen und das Buch weiterlesen auf der Seite, wo Sie aufgehört haben. Godfried Bomans

Aus dem Niederländischen übersetzt

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