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Stephen Kings monumentales Fantasy-Epos "Der dunkle Turm" setzt neue Maßstäbe - nicht zuletzt für die Positionierung des Autors.

Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste und der Revolvermann folgte ihm." Das ist der Anfang und das Ende. So beginnt die Story und so hört sie auf. Aber dazwischen liegt eine ganze Welt. Besser gesagt mehrere Welten. Western, Eastern, Fantasy, Fabel, Epos - "Der dunkle Turm" hat von allem etwas. Rund 5.000 Seiten beziehungsweise mehr als sechs Kilo bringen die sieben Einzelteile auf die Waage. Es ist Stephen Kings Lebenswerk. Er hat fast 30 Jahre daran geschrieben. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass "Der dunkle Turm" dazu führen wird, dass sein Autor allmählich von der Literaturszene ernst genommen wird, aus der Ecke des Trivialen sich seinen Platz in der Literaturgeschichte erobert. Er wäre nicht der erste.

Eigenes Vokabular

Wie schon Tolkien in seiner Trilogie "Herr der Ringe" entwirft auch Stephen King ein eigenes Vokabular, das das Ka-tet, die Schicksalsgemeinschaft, auf seinem Weg begleitet. Und dieser Weg ist für den Protagonisten Roland gespickt von Déjà-vus. Leider meist unangenehmen. Ein zentrales Thema ist die Wiederholung.

Jake, ein kleiner Junge, und sein Billy-Bumbler, eine Art sprechender Hund, außerdem der ehemals drogensüchtige Eddie und weiters Susannah, die zwar keine Beine, dafür aber eine multiple Persönlichkeit besitzt, begleiten Roland. Nach New York und wieder zurück, durch Mittwelt und Endwelt und die Dörfer des äußeren Bogens. Und sie erinnern ihn an seine früheren Freunde, die er teils durch eigene Schuld verloren hat.

Ka ist ein Rad, das Schicksal dreht sich im Kreis. Roland ist Stephen Kings moderner Sisyphus. Wie in der Filmkomödie "Täglich grüßt das Murmeltier" muss er so lange immer wieder das gleiche in Variation erleben, bis er ... genau genommen weiß man gar nicht, was er machen muss, um erlöst zu werden. Aber so viel erfährt man: während er anfangs nur seinem Ziel nachjagt und nichts anderes und vor allem keine anderen mehr wahrnimmt, ist er am Ende doch zu so menschlichen Gefühlen wie Freundschaft oder Liebe fähig. Sprich: er hat dazugelernt. Und ist dabei über sich selbst hinausgewachsen. Irgendwann wird er vielleicht sogar einmal überlegen, ob nicht der Weg das Ziel sein könnte. Ein bisschen so wie beim Lesen oder beim Leben. Eigentlich warten wir (hoffentlich!) doch nicht nur auf das Ende.

Durch Mittwelt und Endwelt

Inspiriert von Brownings "Child Roland Came To The Dark Tower" schickt King einen zunächst recht zweifelhaften Helden auf die Suche nach dem dunklen Turm, die zu einer Art "Suche nach der verlorenen Zeit" gerät. Und zwar mitten in der Apokalypse.

Der Schauplatz Mittwelt erinnert nicht ganz zufällig an Tolkiens "Mittelerde", trägt aber unübersehbare Spuren einer versunkenen urbanen Hochkultur. Diese hinterließ Mutanten, Ruinen, Urlandschaft und eine relativ dünne menschliche Besiedlung, der Rest hat sich offenbar in grauer Vorzeit selbst vernichtet. Oder gegenseitig, oder wie auch immer. Verlässliche Aufzeichnungen gibt es nicht. Nur eine Reihe von Legenden und ein rätselhaftes HiTech-Erbe, von dem nur noch die wenigsten Maschinen funktionieren, jene allerdings sogar für Jahrtausendwendeverhältnisse beeindruckend.

Eine recht morbide Szenerie ist es - ein wenig Paul Auster-Stimmung in den verlassenen Städten, ein bisschen "Dune" in der Wüste - in der sich der Revolvermann Roland bewegt, eine Art Samurai, der letzte Ritter seines Volkes. Und seine selbst gestellte Aufgabe ist keine geringere, als zu erkennen und zu retten, "was die Welt im Innersten zusammenhält", wie einst Goethe meinte. Der Mephisto und Widersacher nennt sich scharlachroter König und agiert als dunkle Macht im Hintergrund, die lange nicht recht greifbar wird.

Die unzähligen Abenteuer, die Roland auf seinem Weg bestehen muss, sind da schon sehr viel konkreter, ebenso wie seine Freunde und Begleiter, die er aus dem New York des 20. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung rekrutiert. Die Grenzen zwischen Mittwelt und dem Amerika, das wir kennen, und in dem wenig später zwei ganz andere Türme fallen werden, sind nämlich durchlässig. An manchen Stellen zumindest. Und so kommt es, dass ganz reale Elemente in dieser komplexen Fantasy-Geschichte auftauchen, inklusive ihrem Schöpfer selbst. Der Stephen King des Romans bewohnt eine Villa in einer ländlichen Gegend, aus der auffällig viele Wiedergänger gemeldet werden, er sitzt sozusagen an der Quelle, gleich neben der Tür, die in phantastische Welten führt. Ein hübsches Bild für literarische Inspiration.

Ohne Autor keine Geschichte

Doch damit nicht genug, spielt King in seinem Hauptwerk auch eine nicht unwesentliche Rolle als Figur: seine selbst geschaffenen Wesen treten dazwischen, als ein Betrunkener im Lieferwagen den Autor auf seinem Nachmittagsspaziergang auf dem Seitenstreifen beinahe überfährt. Ohne Autor keine Geschichte, und die Figuren entwickeln einen ungeahnten Selbsterhaltungstrieb.

Dieses Beispiel mag verdeutlichen, wie Stephen King im "Dunklen Turm" mit Versatzstücken aus Realität und Fiktion arbeitet und damit ein herrliches Paradoxon von Henne und Ei aufwirft. Und wie viel Mühe er auf die Konstruktion seiner Charaktere verwendet und vor allem darauf, dass sie eben nicht konstruiert erscheinen. Daraus resultiert ein Großteil der Spannung seiner Romane. Er lässt sie so lebendig werden, dass sie sogar imstande sind, ihm das Leben zu retten.

Der Unfall passierte übrigens tatsächlich. King wurde im Juni 1999 angefahren und lebensgefährlich verletzt. In "Das Leben und das Schreiben" (2000) schildert er unter anderem, wie das Schreiben nach langen Monaten der Rekonvaleszenz schließlich dazu beitrug, ihm seinen Lebenswillen zurückzugeben. Hier zeigt er auch theoretisch, sowie im "Dunklen Turm" literarisch, wie sein Schreiben "funktioniert": Am Anfang steht eine Situation, aus der sich dann die Geschichte entwickelt, für den Autor ebenso spannend wie für den Leser, er weiß auch nicht von Anfang an, wie es weitergehen wird. Und stellt damit seine Leser auf eine Geduldprobe. Der erste Band "Schwarz" erschien nämlich bereits 1982, der letzte 2004.

Viele Anspielungen

King verwendet aber nicht nur Autobiografisches oder Elemente und Charaktere früherer Bücher auf gefinkelte und kurzweilige Weise im "Dunklen Turm", sondern er streut auch gerne Anspielungen kreuz und quer durch die Literaturgeschichte ein, schließlich hat er seine Brötchen lange genug damit verdient, Literatur zu unterrichten, bis er davon leben konnte, selbst welche zu verfassen. Aber auch wenn er das so ausgiebig betreibt wie im " Dunklen Turm", bleibt dabei niemals die eigene Geschichte auf der Strecke.

Neben Zivilisationskritik, Menschwerdung eines Helden und der dünnen Grenze zwischen Fiktion und Realität ist der Verrat ein weiteres wichtiges Motiv in diesem monumentalen Fantasy-Epos. Jakes letzte Worte "Geh nur, es gibt andere Welten als diese!" klingen als Schlüsselstelle durch den ganzen Roman.

Logik des Romans

Die Fülle von Handlungssträngen und Nebengeschichten macht es fast unmöglich, die Geschichte zu skizzieren, und Stephen King ist das Kunststück gelungen, bei aller Komplexität jedes Detail der inneren Logik des Romans folgen zu lassen - auch wenn "Der dunkle Turm" stilistisch nicht ganz aus einem Guss wirkt. Immerhin liegen zwischen dem ersten und dem letzten Teil eine ganze Reihe anderer Romane und jahrzehntelange künstlerische Entwicklung.

Und vor allem auch die Entwicklung nicht nur einer Geschichte, sondern mehrerer Parallelwelten, an deren Anfang vor dreißig Jahren als Idee nicht einmal eine Situation stand, sondern einfach nur ein einzelner Satz: "Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste und der Revolvermann folgte ihm."

Die ersten vier Bände wurden im Dezember 2003 vom Heyne-Verlag als Taschenbücher neu aufgelegt, alle in der Übersetzung von Joachim Körber: SCHWARZ, 320 Seiten, e 8,20;

DREI, 575 Seiten, e 9,20; TOT, 752 Seiten, e 9,20; GLAS, 956 Seiten, geb., e 10,30. Für 2005 ist eine gebundene Neuauflage geplant.

DER WOLFSMOND

Übersetzung: Wulf Bergner

Heyne, München 2003

850 Seiten, geb., e 25,70

SUSANNAH

Übersetzung: Wulf Bergner

Heyne, München, Juni 2004

480 Seiten, geb., e 22,70

DER TURM

Übersetzung: Wulf Bergner

Heyne, München, November 2004

1024 Seiten, geb., e 26,80

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