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Dezso Kosztolányis dekadenter Held profiliert sich in weiteren Geschichten.

Denn wisse, daß nur der leben kann, der ganz auf den Tod eingestellt ist, und daß wir Dummköpfe bloß sterben, weil wir uns einzig auf das Leben eingestellt haben, auf das Leben um jeden Preis. Die Ordnung, die du um dich herum siehst, ist eigentlich Unordnung, und die Unordnung ist die wirkliche Ordnung. Und das Ende der Welt ist der Anfang der Welt. Das wollte ich dir sagen."

Mit diesen Worten verabschiedet sich Esti Kornél, enfant terrible und poeta doctus, gelehrter Dichter, von seinem Freund und seinen Lesern. Und wir sehen ihm noch lange nach. Dezso Kosztolány, einer der wichtigsten Vertreter der ungarischen Moderne, hat mit Esti Kornél bzw. Kornél (Cornelius) Esti eine unsterbliche Figur geschaffen, eine Referenzgestalt auch für die Dichtung vieler Jahrzehnte danach. Péter Esterházy trug in Gymnasialzeiten den Spitznamen Esti, und er trug ihn mit Stolz als Sinnbild sinnvollen Aufbegehrens. Dabei ist Esti nichts weniger als ein Revoluzzer. Er schließt sich keiner Gruppierung an und kämpft für keine Ideale. Er treibt sich lieber in Budapester und Pariser Kaffeehäusern herum, Individualist bis in die Haarspitzen, leidenschaftlicher Egoist und unendlich neugierig: ein Intellektueller, der für alles offen ist. Und doch hält er gewisse Regeln, wenn nicht der Moral, so doch des Anstands hoch. Er mag verletzend sein, manchmal nachgerade böse wirken, aber immer in gewisser Weise edel. Das ist wohl wahre Dekadenz.

Sendungsbewusst

Dezso Kosztolányi, 1885 in Szabatka/Subotica geboren, beschäftigte sich schon in sehr jungen Jahren mit Literatur und bereitete sich ganz bewusst auf eine literarische Laufbahn vor.

Zusammen mit Mihály Babits und Gyula Juhász wollte er die ungarische Dichtung erneuern - mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein, einem Faible für die französische Literatur der Jahrhundertwende und für das klassische Altertum propagierten sie die reine Kunst: l'Art pour l'Art, Kunst muss nichts und darf alles. Und Esti erst recht.

"Mir sind die verdrängten und befreiten Motive, die unter-und unbewußten Symbole egal. Ich wünsche nicht, daß man mich seziert, solange ich lebe. Soll das, was ich bin, verschlossen, unversehrt und geheimnisvoll bleiben. Soll es mir auch in Zukunft solche unerklärlichen Qualen und Freuden bereiten. Mit meinem Tod hingegen soll es ganz vernichtet werden, wie ein ungeöffneter Brief. Glaube mir, das ist mehr wert als alles Wissen." So Esti.

Kosztolányi, der "ungarische Thomas Mann", beschäftigte sich intensiv mit Philosophie und Psychologie, allen voran mit der damals sehr populären Psychoanalyse - und ging dann erst recht konsequent seinen eigenen Weg. Zeitgenossen, so etwa der große ungarische Dichter Endre Ady, kritisierten seinen Intellektualismus, Kosztolányi selbst stilisierte ebendiesen zum Ideal der höheren Bildung, ein Muss (Kosztolányi hätte es vielleicht conditio sine qua non genannt) für einen Dichter.

Lebendig und lesbar

Bei all dieser theoretischen Auseinandersetzung mit seinen Kollegen sind Kosztolányis literarische Texte höchst lebendig und lesbar. Esti begegnen wir in einer Reihe von Geschichten, zunächst in "Ein Held seiner Zeit. Die Bekenntnisse des Kornél Esti" (mittlerweile bereits als Taschenbuch erschienen) und dann auch in "Die Abenteuer des Kornél Esti", die in Christina Viraghs schöner Übersetzung nun auch auf Deutsch vorliegen.

Esti bedeutet zu Deutsch "abendlich", und so manches, was er treibt, ist durchaus als lichtscheu zu bezeichnen. Das Ohrfeigen ahnungsloser Mitmenschen aus Jux und Tollerei, das Einmischen in familiäre Grabesangelegenheiten anderer Leute, das Verunsichern eines Freundes durch krude Theorien und Horrorgeschichten.

Aber er hat immer Stil. Selbst wenn er in einem teuren Schweizer Restaurant aus Erleichterung über die doch leistbare Rechnung die Etikette verletzt und sich spätestens beim viel zu hohen Trinkgeld als armer Schlucker entlarvt - selbst dann ist Esti keine peinliche Figur. Kosztolányi hat sich mit Esti dem Intellektuellen, Esti dem Dichter und Esti dem Tabubrecher ein Alter Ego geschaffen, das unvergesslich bleibt.

DIE ABENTEUER DES KORNÉL ESTI

Von Dezso Kosztolányi

Rowohlt Verlag, Berlin 2006

187 Seiten, geb., e 18,40

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