6681876-1961_48_13.jpg
Digital In Arbeit

„Aber, ach, ein Schauspiel nur

Werbung
Werbung
Werbung

Man kann Lessings „Emilia Galot t i“ gewiß heute noch spielen. Aber man muß dieses bis in die Diktion, bis in den inneren Sprachrhythmus hinein „sächsisch-helle“ Stück von einem Grundgedanken her erfassen und in die gegenwärtige Bewußtseinslage transponieren. Man hätte sich dies vom Leitmotiv „Bedrük- kung und Enge" her denken können, als ein bürgerliches Trauerspiel vor „Kabale und Liebe“, ein föhniges Wetterleuchten vor der Schillerschen Gewitterexplosion. Man hätte es freilich auch ganz anders interpretieren können: als historischen

Sittenspiegel, als psychologisches Dokument der Spannung zwischen Trieb und kontrollierendem Verstand. Bei .Emst Lothars Inszenierung am Burgtheater glaubten wir in den beiden ersten Akten — besonders im ersten Dialog der Emilia mit der Mutter — einen solchen oder ähnlichen Grundgedanken entdecken zu dürfen. Die psychologistische Detailauffassung (die große Stärke, die große Schwäche dieses Hofmannsthal- Regisseurs) waren wir bereit, auch im Lessingschen Klima hinzunehmen, wenn sie diesem Ziel gedient hätte. Plötzlich aber verließ Lothar die Linie und schwenkte dorthin ab, wo es nimmer hätte hinkommen dürfen: zur großen Oper in Worten, zum ballettartigen Schreiten des verführerischen Prinzen („Reich mir die Hand mein Leben"), zur Solowahnsinnsarie der Orsina (zwischen Ophelia und Lucia di Lammermoor), zum Racheschwur des erzürnten Vaters (3. Akt Rigoletto). Jetzt sah man auch Teo O 11 o j Bühnenbilder mit ganz anderen, viel weniger freundlichen Augen. Dieses intim-verwinkelte fürstliche Jagdschloß, mit seinen Kabinetten und versteckt- intriganten Galerien war durch die Empfangsdiele eines zum Hotel renovierten Fürstensitzes ersetzt worden: ein gastlich- protziges Haus, geschaffen für geselliges Kommen und Gehen, nicht für Mord und Erpressung. Auch die Schauspieler entstammten sehr verschiedenen Welten, von keiner Regiehand in eine Stilheimat zusammengeführt. Da war ein ganz ausgezeichnet moderner, laffenhafter Mari- nelli (Charles Regnier), aber was .ollte ihm die in ihrer Art eben 60 vollendet Burgtheater spielende Liselotte Schreiner als Löwin-Mutter? Der Prinz des hoffnungslos gerad-männlichen Walther Reyer war ein echter Liebhaber, kein eitler Lüstling, und Attila Hörbigers Odoardo: Er wußte nicht recht, wohin er gehörte. Der naturalistisch Endsilben verschluckende bürgerliche Murrkopf des Anfangs wurde etwas zu unvermittelt der anklagende Heldenvater des Endes. Aglaja Schmid (Emilia) gefiel am besten. Sie hielt Linie und Stil, wenn auch nicht alle dunklen Untertöne Leben gewännen. Nur Linie und nur Stil — fast als Selbstzweck — war die Orsina der Käthe Gold. Man ging nach höflich-freundlicher Absolvierung des Premierenbeifalls mit recht zwiespältigen Gedanken nach Hause.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung