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„Aber die Höllen…“

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„Die Welt ist bereits eine Hölle im Werden.“

Fėnelon

Einer der kühnsten Vorträge, die seit langer Zeit in Wien gehalten worden sind, war von einem der wagemutigsten Denker des christlichen Europa dem gefährlichsten aller Themen gewidmet. Auf Einladung der österreichischen Kulturvereinigung, die in letzter Zeit mit einer Reihe repräsentativer Veranstaltungen an die Öffentlichkeit trat, sprach im Konzerthaus Hans Urs von Balthasar über den „Abstieg zur Höll e“.

Zwei große Themenkreise gliederten die vorgetragene Untersuchung: die .Hölle“ im Bewußtsein und Schaffen der neueuropäischen Dichtung, also zwischen den Engländern und Iren Milton, Blake, Byron, Lawrence, Joyce, den Franzosen Hugo, Rimbaud, Lautreamont, Sartre, Camus, den Russen der ostkirchlichen Patristik, Dostojewskij, Berdjajew, und den Deutschen zwischen Goethe, Nietzsche und Thomas Mann. Und dann: die Hölle als spezifisches Thema des inner- christlichen Denkens, der Theologie. Gleich eingangs kam die viele wohl be- stürzende Tatsache zur Sprache: während das Denken und Dichten Europas seit 150 Jahren in steigendem Maße um die Hölle kreist, hüllen sich die Theologen seit bald eineinhalb Jahrtausenden in Schweigen. Im Ringen um eine neue Konzeption der Hölle, und das heißt, um ein neues Verstehen des eigenen Lebens, der eigenen Zeit, lassen sich einige große Perspektiven am Geistesleben seit etwa 1750 absehen. Ausgangspunkte sind: die Schuld, das Leid (das Leid zumal der Kreatur und der Kinder), der schöpferische Geist, die Freiheit. — Ein oft über- schärftes Sündenbewußtsein schlägt um, stellt nun die Schuldfrage an Gott: Ist nicht Gott schuldig am Übel der Welt? Birgt nicht er selbst die Hölle in sich? Das ist eine der großen Versuchungen des deutschen Denkens: von Eckhardt über den Spiritualismus, des 16. Jahrhunderts zu Böhme, Baader, Schelling, Hegel läßt sich, zu Nietzsche und darüber hinaus dieser Gedanke verfolgen, daß Gott in seinem „Zom die Flammen des ewigen Feuers in sich birgt! Wenn er aber selbst schuldig ist, dann sitzt beim Jüngsten Gericht der Mensch über Gott auf dem Richterstuhl (Spitteier). — Dieser dem Unkundigen unserer inneren Geschichte ungeheuerliche Gedanke, der aber eben eine uralte Tradition weiterträgt, findet mächtige Stütze am Vorwurf, den Iwan Karamasow, Erzzeuge aller Unterdrückten und Enterbten im russischen Raum, in die Welt schreit: Gott ist schuldig, Gott ist tot, Gott kann nicht sein 4- denn welcher Gott-Tyrann vermöchte das Leid der Welt, der unschuldigen Kinder zu ertragen? — Neben diese Anklage gegen Gott als Herrn und Gründer der Hölle tritt nun sehr bald ein zweites: das Rühmen der Hölle Das Ja zur Hölle. Zunächst als Nein zu einem christlichen Himmel ver- logener Tugenden, fader Genüsse! als Nein zu einem Himmel, der den Manschen nur als servilen Knecht eines absoluten Souveräns kennt dann aber, .positiv’ gewandt, will dieser Hymnus auf die Hölle diese als den Ort der Freiheit,. des Schöpfertums des Menschen begreifen, Sehr genau markiert Goethes .Prometheus diesen Angelpunkt neuerer Geistkonzeption. Ihr zufolge kann sich der Mensch nur gegen Gott behaupten, die Erb- und Ursünde wird ihm zum mächtigen Erreger des eigenständigen Freiheitswillens, zur Grundlage seines geschichtlichen Wirkens. Hochbeachtlich sind die Darstellungen der Hölle in der neueren Literatur: sie kennen sowohl die Hölle als totale Immanenz, als geschlossenen Weltinnenraum (Sartre’s Huit clos), auch als irdisches Paradies (eine Fülle von gnostizistischen Denkern und Dichtem wäre hier zu nennen, zwischen Blake und Raymond d’Abellio etwa).

Was sagt die Theologie zu dem vielstimmigen Höllenruf der Moderne, dessen Verschatten ins Exzentrische, Affektierte, Moddstische, Spielerische nicht den Blick trüben sollte für den tödlichen Ernst, der hinter diesen Erscheinungen als Gesamt steht? — Es war totenstille im Saale, als Uns von Balthasar nun versuchte, autochthon christliche Einstiege in den großen Vorwurf seines, unseres Seins- und Existenzproblems anzudeuten. Es ist ungemein schwierig, einzelne Sätze aus seinen Gedanken- gängen herauszuschälen — gibt er doch kein System, stellt kein neues Lehrgebäude auf über das Haus der Hölle — im Zeitalter der kleinen heiligen Therese und des funktionalen Denkens der Naturwissenschaft fällt es immer schwerer, statistisch-starre Systeme mit den zugehörigen Schachtelbegriffen, Verallgemeinerungen, logistischen Panzern anzuwenden, um die spirituale Dimension zu begreifen. Balthasar ging es um wesentlich zwei Denkkreise: einmal um den Nachweis, daß das harte soziologisch, politisch, antikisch und egozentrisch gebundene Denken des Mittelalters nicht befähigt ist, die Hölle christlich zu verstehen (soweit dieses Mysterium verständlich gemacht werden kann).

Dantes Höllenschau, größtes Denkmal des Mittelalters, sieht die Hölle (wie auch die meisten mittelalterlichen Visionen) als ein mittelalterliches Reichsgebilde, das der Dichter-Seher durchschreitet, als kühler Beobachter, als leidenschaftlicher Politiker, immer aber in der Haltung des vornehmlich intellektuell Interessierten, über dem als Leitstern das Wort seines Vergil steht: guarda e passa — sieh dir das an, diese tremendösen Werke des Herrn über Himmel und Höllen, und geh weiter. — Diesem rationalistisch, gesellschaftlich und politisch bezogenen mittelalterlichen Höllen b i 1 d (von einem Höllen - den- k e n kann kaum gesprochen werden) steht das Bedenken der Hölle bei den griechischen Vätern und in der Ostkirche gegenüber. Ihnen allen geht es um eine Durclįlichtung der Höllel Die Erlösungstat Christi besteht für dieses große Denken im Abstieg, im Durchgang durch die Hölle, in ihrer tiefinnersten Überwindung, Sprengung ihrer Abgründe durch Christus, der den ersten Adam hervorholt aus den Kerkern des Scheol, des Hades, der Unterwelt. Naheliegend wäre es nun, mit Origenes und seinem Gefolge an eine letztliche Apokatastasis zu denken, eine Aufhebung der Hölle also, an eine Heimführung aller in das himmlische Reich des Vaters. Balthasar distanziert sich aber sehr deutlich von Origenes, ihm geht es nicht um eine .Aufhebung“ der Hölle, um ein Hinweg- reden ihrer schrecklichen Realität, sondern um ein Herantasten an deren Wirklichkeit als ein Geheimnis des Glaubens, dęj Hoffnung und der Liebe.

So wenig auch heute noch gesagt werden kann, was die Hölle ist (von allen neueren Bestimmungen ist nur die eines Kältepoles klar), so ist es für unser Selbstverständnis (als lebende, leidende, versagende and verzagende Menschen)

eminent wichtig, zu sehen, was sie alles nicht ist. Sie ist nicht ein Reich, das sich in seinen Dimensionen (Raum, Zeit, Ewigkeit, Position usw.) messen kann mit der .Ewigkeit aller Ewigkeiten , sie ist nicht der Unterkeller eines feudalen Himmelsschlosses, in dem die .Rebellen“ geschunden werden, während oben die Seligen zur Tafel sitzen. Sie ist vielmehr eine Realität, eine sArecklidie Realität, die da ist und die doch von Christus .durchlichtet , überwunden ist — in seiner Erlösungstat, die nicht mehr bestehen läßt den Hades, die Unterwelt aller Heidentümer vor ihm. Die Hölle bleibt ein Geheimnis! aber vor und über ihr steht der, der durch sie hindurchging: der Auferstandene.

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