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Abgestorbene Geschlechter

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Unser Geschlecht ist in Todesschatten gewandelt wie kaum ein vorangegangenes; darum wird die Kunst dieser Zeit nicht aufhören, nach Bildern des Todes zu suchen, die der Wucht dieser Erfahrung entsprechen. Uber-mächtigt von Erinnerungen, mögen wir uns elber wie Abgestorbene betrachten; unsere Todeserfahrung hat das Besondere, daß sie über das Persönliche hinausgeht: wir sahen Heere, Städte dahinsinken; wir glaubten, Völker sterben zu sehen. Mit seiner „Stadl hinter dem Strom“ hat Hermann Kasack ein wirklidi großes Gleichnis für diese Erfahrung gefunden. Von geheimnisvollem Auftrag wird der Held des Romans in die Stadt hinter dem Strom, eine Trümmer- und Totenstadt, gerufen; sie ist bewohnt von Menschen, die den grausigen, vielgestaltigen Tod dieser Zeit gestorben sind; aber sie sind noch nicht am Ziel; sie haften noch am Irdischen, an ihren Beschäftigungen, Neigungen, Leidenschaften, wenn auch auf gespenstische Art; zum mindesten ist die „Schrecksekunde“, der letzte Augenblick, da der Tod sie überwältigte — Vorstellungen des Novalis sind nahe, spielen aber in östliche Vorstellungen hinüber —, in ihnen haftengeblieben; sie zu erforschen, zu dokumentieren ist eine besondere Aufgabe des Chronisten. Diese Menschen leben in einem Zwischenreich, noch nicht am Ziel der Reise; in diesem Zwischenreich spiegelt sich der entmenschte Staat, durch den wir gegangen sind, der die Welt nach wie vor bedroht, ein toter, alles Leben erstickender Staat; visionär wird die Arbeitshölle der Fabriken geschildert, die von gipsernem Licht“ erfüllten Hallen oder das ganze Gelände:

„Von einer Höhe aus sah der Archivar durch die abschirmenden Gläser der Maske allenthalben Staubfontänen vom Boden aufsteigen, die sich nach oben hin verbreiterten und in trägem Fall niedersanken. Sie bildeten sich über riesigen Trichtermühlen, an denen zahllose Menschen wie graue Ameisen hin und her liefen. Ein knirschendes, kreischendes Geräusch drang immer gellender durch den Ohrschutz der Maske. Der Boden, , von gewaltsamen Erschütterungen getroffen, zitterte unaufhörlich. Der Körper des Archivars wirkte bald wie magnetisiert. Wenn sich eine der Staubwolken verzog, ließ sich zuweilen in einem Ausschnitt das breite Flußbett erkennen, das unterhalb der Geröllhalde die Grenze der steinernen Landschaft bildete. Uber dem jenseitigen Ufer lag ein Schleier, den der Blick nicht zu durchdringen vermochte. Es konnte Nebel sein.“

„Aus diesem Purgatorium“, wie es ausdrücklich genannt wird, müssen die Schatten weiter zur völligen Auflösung, zur Heimkehr ins Tao; denn man lebt, um sterben zu lernen: das „Leben ist das Gesetz des Todes. Wo allein noch Sdiatten sind, weht eine eisige Luft; nur während des grausigen Abschiedsmahles, zu dem der Archivar der Totenstadt geladen wird, kann der Dank des Herzens „hervorbrechen“. „Wahrheit und Geduld“, das sind die Werte, die auch hier Geltung behalten; aber das moralische Gesetz gilt nidit mehr; im Gespräch mit einem bedeutenden katholischen Philosophen — hier wie an anderen Stellen sind durch den Nebel Träger berühmter Namen zu erkennen — bekennt der Held, daß „er sich von dem christlichen Dogma der weißen Rasse immer klarer absetzte“. — So ist die Vorstellung vom Tode, die hier gestaltet wird, nicht die unsere; es wäre unrecht, wenn wir deshalb den hohen künstlerischen Wert des Buches, das mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin — in gewissem Sinne der Totenstadt hinter dem Strom — ausgezeichnet wurde, nicht dankbar anerkennen wollten. Möge es der christlichen Kunst dieser Tage gelingen, auf dem Grunde der Offenbarung ein ähnlich umfassendes Bild des Todes für diese Zeit zu entwerfen! Aber auch als „Roman“, dessen Form in einer so schweren Krise ist, scheint das Buch von Bedeutung: zeigt es doch eine bewundernswerte Geschlossenheit der Form bei völliger Freiheit von dem nicht mehr tragbaren Schema des Romans.

Wir können Kasack nicht ausweichen; er stellt uns vor den Tod und den Staat, der ihn in dieser Form heraufbeschworen hat; das Bild der Stadt hinter dem Strom ist im „Webstuhl“ an dichterischer Geschlossenheit und Abgelöst-heit, gleichzeitiger Zeitnähe und Zeitferne noch übertroffen; es schildert nidit Menschen, auch nidit Schatten der Menschen mehr, sondern, ausgehend von Ausgrabungen, einen abgestorbenen Staat. Seine mythische Uberlieferung war, wie das unter östlichen Völkern der Fall ist, in einem heiligen Teppich dargestellt; aber die Maschine überwältigt den Menschen; das entseelte Gewebe der „Kultfabrik“ wird dem Lande und Volk zum Verderben; denn die „Maschinen laufen weiter, der Streifen Leben wird immer schmaler“; einst trug der Mythos das Leben: der tote Mythos aber fordert immer „neuen Raum“; er führt den Krieg, den Untergang herauf. So ist die Zeit gesehen mit der Ironie der Distanz.

Zucht, Form, Bildhaftigkeit, Genauigkeit, Sicherheit des Stils verleihen diesen Büchern Hermann Kasacks im Schrifttum der Gegenwart, das von so viel Zuchtlosigkeit, Maßlosigkeit, aber auch — in seltsamem Widerspruch dazu — von der Wiederkehr des Uberlebten, Veralteten bedroht ist, einen hohen Rang: derselbe Vorzug ist seinen Gedichten eigen, in denen die Melodie des Todes in reinen, streng gebauten Strophen fortklingt — stärker wohl als die Melodien des Lebens —; das Leben ist nur ein „Lehen der ewigen Dämonen“ — hinter dem das ewige Dasein des Schweigens liegt; auch das Auge des Herrn in Michelangelos Pietä Rondanini „sinkt in raumlose Finsternis.

„Denn was dich selbst zu Tode trifft, Erglüht in reiner Flammenschrift“ darf der Dichter von sich selber sagen; es ist reine Flammensrhrift, ein furchtbares Wort vom Tod, von dem Totenreich ohne Gnade, das wir nicht überhören dürfen. Sagt es uns doch mit der Kraft echten Künstlertums sehr viel von der noch unbewältigten Not unserer Zeit. Dieses Bild des Todes ist da — und wir müssen uns mit ihm beschäftigen.

Dr. Reinhold Schneider

Die ehemalige Innenausstattung der Seckaner Basilika. Von Dr. P. Benno Roth. Seckauer geschichtliche Studien, Heft 9. Verlag der Buchhandlung Seckau.

P. Benno Roth aus Seckau, dem wir bereits eine Reihe von wichtigen Forschungen über die Geschichte und Kunstgeschichte des Klosters Seckau verdanken, legt eine neue, äußerlich nur kleine, aber inhaltlich sehr gewichtige Arbeit über die ehemalige gotische und barocke Ausstattung der Seckauer Kirche vor. Eine Reihe von Photos und Wiedergaben alter Stiche ergänzen die gute Darstellung. (Nur in Parenthese gesagt: so wertvoll und kunsthistorisch interessant die frühere Einrichtung der Seckauer Kirche war, hat sie dennoch sehr viel mehr durch den Umbau gewonnen, welchen die Beuroner Mönche 1885 vornahmen. Sicherlich ein Unikum in der Geschichte des 19. Jahrhunderts, das sonst nur vermochte, an Stelle herrlicher barocker Kircheneinrichtungen fade neugotische Altäre zu Schaffen.)

DDr. Willy Lorenz

Die Neue Rundschan. 61. Jahrgang, 1950, 1. und 2. Heft (zusammen 294 Seiten). Ber-mann-Fischer-Verlag (jetzt wieder S. Fischer, Frankfurt a. M.).

Durch alle Schwierigkeiten der Zeit, unter denen gerade dieser Verlag und seine Autoren zu leiden hatten, ist es gelungen, die im Jahre 1890 unter dem Titel „Freie Bühne“ gegründete Zeitschrift zu halten. Auch äußerlich gleichen die stattlichen hellgrauen Hefte denen vor etwa 30 Jahren, und auch heute ist der Verlag in der Lage, die gehaltvollen Hefte fast aussdiließlidi mit Beiträgen seiner eigenen Autoren füllen zu können. Den ersten Platz nehmen literarische Beiträge ein. In den beiden vorliegenden Heften haben Anspruch auf allgemeine Beachtung: eine unveröffentlichte Szene aus Hofmannsthals Nachlaß („Bergwerk zu Falun“). Übertragungen von Gedichten und Fragmenten von Jules Super-vielle, Giuseppe Ungaretti und Thornton Wilder sowie drei Kapitel aus dem neuen Roman von Thomas Mann, „Der Erwählte“, nach dem Versepos„ Gregodius auf dem Stein“ von Hartmann von Aue. Aus Borchardts Nachlaß wird der Essay „Das Gesdiichtsbild der Ilias“ mitgeteilt, T. S. Elliot legt die Aufgaben des Versdramas dar und Andre Malraux spricht über „Künstlerisches Sehen“. Kritische Studien gelten dem Werk Ernst Jüngers und Bertolt Brechts; von den kulturpolitischen Beiträgen haben vor allem die von Carlo Schmidt (Vfber den europäischen Menschen), Hermann Broch (Humane Politik) sowie die sehr wohlunterrichteten aktuellen „Betrachtungen zur Zeit“ Bedeutung. Die kosmopolitische und liberale Linie der Zeitschrift ist bekannt, und man wird vom Apfelbaum keine Feigen verlangen. Daher verdient das Bestreben einiger Autoren, den Humanismus nach der politisch-bekenntnishaften und religiösen Sphäre auszuweiten, besondere Beachtung.

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