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Absage und Neuorientierung

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Was auch immer gegen einen von offizieller Seite angeregten künstlerischen Wettbewerb eingewendet werden kann: die auf ihn hingerichtete Programmatik der Arbeiten, ihre notwendige Einpassung in den geforderten Rahmen, die Abhängigkeit ihrer Bewertungen von einer verschiedensten Einflüssen ausgesetzten Jury, hat wohl bei dem Literaturwettbewerb der österreichischen Jugend, der 1946/47 vom Bundesministerium für Unterricht durchgeführt wurde, nur beschränkte Gültigkeit. Ist doch sein unmittelbares Ziel weniger in der Hebung bisher unbekannter Schätze zn erkennen als vielmehr in der Ergründung der seelischen Verfassung einer frühzeitig hartgeprüften. Generation. Unter diesem Aspekt nimmt das Unternehmen den Charakter eines auf künstlerischer Ebene durchgeführten Tests an und so wird man ihm am ehesten gerecht. Denn das muß in aller Offenheit gleich zu Beginn gesagt werden, literarische Offenbarungen vermochte uns dieser Wettbewerb nicht zu bescheren.

In deij beiden Bänden „Reifende Jugend“ und „Ringende Saat“ (österreichischer Bundesverlag) zusammengefaßt, bieten sich nun die preisgekrönten Arbeiten zur Analyse dar. Gewiß, fast durchwegs sauber durchgearbeitete Erzählungen, viel zu sauber, viel zu pedantisch, könnte man zuerst meinen, für eine aufgewühlte, aufgeschreckte, zutiefst erschütterte Jugend. Aber das Problem stellt sich bald anders dar. Die dem Strom entfesselter Dynamik, die dem Chaos mit knapper Mühe Ent- ronnennen, bekunden hier ein frühes, feines, durchaus zu respektierendes Empfinden, ja eine rührende Liebe für Ordnung und die Statik der Form. Wie allenthalben, so versagen auch hier altgewohnte Maßstäbe. Frühreife als Arroganz, Ausgeglichenheit als Energielosigkeit, Abgeklärtheit als leere Pose, Zurückhaltung als Feigheit deuten zu wollen, ist immerhin eine Möglichkeit, aber, so glauben wir, keine, die der tatsächlichen Mentalität unserer Jugend entspräche. Man soll nicht immer in den Fehler verfallen, Selbstbesinnung und Resignation zu verwechseln. Für viele mag es wohl eine üble Erfahrung sein, auch auf literarischem Gebiet feststellen zu müssen, daß das Wort Fortschritt in der Bedeutung, „einen Fuß vor den ändern setzen“, in Mißkredit gekommen, ist und beginnt im übertragenen Sinn als ein Weg nr.ch innen verstanden zu werden. Die vorliegenden Arbeiten sind in der Tat eine deutliche Absage an die eklektische Experimentierfreudigkeit und bewußte Stillosigkeit, die der schöpferischen Jugend der letzten Jahrzehnte eigneten.

Ohne Zweifel, ein Buch mit dem Titel „Ringende Jugend“, erschienen in den ersten zwanziger Jahren, hätte wesentlich anders ausgesehen. Aber sollen wir das Feh len der revolutionären Geste — ein Vorrecht und bisher ein Charakteristikum der Jugend — wirklich bedauern? Wohin hat uns letztlich die überhitzte Leidenschaftlichkeit der Jahre nach dem ersten Weltkrieg geführt? Man kann wirklich nicht behaupten, daß etwa die Zeitproblematik diese Jugend unberührt läßt: beide Bände sind voll davon. Erlebnisse erregender Gegenwart: Kriegsfurie, Gefangenschaft, Rassenwahn, politische Verfolgung, Bitterkeit und Enttäuschung der Nachkriegszeit. Die besten Beiträge entstammen dieser Sphäre eigener, aufwühlender Erlebnisse. Nicht das Thema also gibt zu denken, sondern seine Durchführung. Kein Schrei des Hasses steigt auf, trotz dem Ungeheuerlichen, das durchlebt und durchlitten werden mußte. Still und distanziert wird die Anklage hingesetzt, wird transparent in der erschüttern den Schlichtheit des erzählten Lebens: Jugend und Hoffnung, Vernichtung und Tod. Die sparsame Realistik des Wortes, seine bedachtsame Wahl wird verständlich vor der Größe des Leides, plctzlidi und jäh einbrechend in das glückliche Traum- reich der Kindheit. Jedes Pathos wäre hier Lüge, Hier findet der Heroismus seine Grenze, das wissen die jungen Autoren, sie verbannen ihn auch von dort, wo er am Platz wäre: in den Hsrzen der Dulder. Kein Verdammungsurteil wird gefällt, kein individuelles, kein kollektives, aber in der Tiefe glost überall das dunkle Bewußtsein einer weitverzweigten Schuld.

So erhalten diese Schriftstücke eine scheinbare inaktive, unkämpferische Note auch dort, ja vielleicht am auffallendsten gerade dort, wo sie am aktuellsten sind. Diese Zurückhaltung bietet sicherlich verschiedene Angriffspunkte. Sie wird aber in einer Zeit, die eine Unzahl äußerer Methoden bis zum Exzeß durchexerziert hat, auf Verständnis stoßen, sie entspringt einer allgemeinen Skepsis gegenüber Geschäftigkeit und Tätigkeit, gegenüber einer Fortführung der ergebnislosen Versuche, durch formale Methoden, durch neue Programme und Schlagworte zu einer erträglichen Lösung unserer brennendsten Frage vorzustoßen. Hingegen wird das Bedürfnis nach innerer Anreicherung bei den Besten ganz deutlich.

Völlig verfehlt wäre es, diese in den meisten Arbeiten vorherrschende Stimmung als Pessimismus auszulegen. Sicher, verneint wird viel. Aber in unserer Zeit gibt es viel zu verneinen! Der Pessimismus gibt sich auf. Aber diese Jugend gibt sich nicht im geringsten auf! Sie wirft nur allen Ballast intellektueller, politischer, phrasenhafter und sentimentaler Natur, den ihr ein selbstvergessenes Jahrhundert aufgebürdet und mit Dynamit geladen hat, mit Entschlossenheit ab. Schon werden die Ansätze einer großen, aber gelassenen Abrechnung erkennbar, Schon fügt sich — ohne die bisher üblichen Embleme der Fanfaren, Fahnen und Fackeln — eine neue Wertskala zusammen.

Diese und ähnliche geistesgeschichtlichen Merkmale und psychologischen Einblicke, die uns die Arbeiten des Literaturwett?- bewerbs der österreichischen Jugend ermöglichten, überwiegen an Bedeutung bei wei tem den eigentlich poetischen Ertrag. Vielleicht ist die Tatsache, daß sich gerade die besten und begabtesten jungen Schrif teller an diesem Wettbewerb nkht beteiligt haben, ein zu dem oben skizzierten Bild passender Wesenszug. Ein bewußtes Fernhalten von inszenierten Staatsaktionen, ein zurückgezogenes Arbeiten an sich und seinem Werk, ein Hinneigen zum organischen Wachstum, dem ein frühzeitiger, jäher Schritt in das blendende Rampenlicht der Öffentlichkeit nur abträglich sein kann. So kann man die Gesamtheit der vorliegenden Arbeiten keineswegs als ein repräsentatives Bekenntnis unserer Jugend auffassen. Schon deshalb nicht, da gerade für das aufstrebende dichterische Talent so bedeutende Gattungen, wie Lyrik und Dramatik, von der Konkurrenz ausgeschlossen waren. Ist es doch eine bekannte und oft erwiesene Tatsache, daß die poetische Begabung eines jungen Menschen zunächst im Gedicht und im Drama zum Durehbruch kommt und die reife Prosa in der Regel erst einem späteren Lebensalter Vorbehalten bleibt. Auch gestaltet sich das persönliche Erlebnis zunächst in diesen Formen, während die erzählende Beherrschung eines zeitnahen Themas selbst bei gewiegten Autoren gewisse Distanz voraussetzt.

Immer wieder trifft man bei der Durchsicht der Arbeiten auf religiöse Motive, Aber leider bkibt hier die Gestaltung unentschlossen, sie bewegt sich oft in konventionellen Bahnen und wird sogar manchmal zu kitschigen Sentimentalitäten verwendet. Das freie Bekenntnis oder das tief religiöse Erlebnis fehlt, nur am Rande bewegen sich emotionale Wellen, die manchmal fast unbehaglich wirken.

Zum Schlüsse sei noch eine Anregung für etwa künftig geplante ähnliche Wettbewerbe hinzugefügt. Das konventionelle, auch bei Kreuzworträtseln und Schönheitskonkurrenzen übliche Schema: erster, zweiter, dritter Preis und Trostpreise, empfiehlt sich für einen Literaturwettbewerb keineswegs. Es entspricht weder dem Ernst einer derartigen Unternehmung noch ihren praktischen Erfordernissen. Es ist schlechthin ausgeschlossen, unter 1000 Einsendungen die beste Arbeit, die zweitbeste usw. zu bestimmen. Gerade literarische Arbeiten können in Form, Thematik und Ideengehalt so verschieden und im Grund doch gleichwertig sein, daß selbst eine fachkundige Jury keine objektive und allgemeine Rangstufung erstellen kann. Es lassen sich ja nicht einmal die großen Historischen Literaturdokumente numerieren und der Streit der Schulmeister, ob Goethe oder Schiller der größere Dichter war, ist schon seit langem lächerlich geworden. So einfach liegen die Dinge bei Kunstwerken nicht! Die gerechteste Lösung wäre daher die Einteilung in Gruppen, mit einem bestimmten Prämiensatz. Die besten Beiträge kommen in dię Gruppe I und werden alle gleich prämiiert. Die weniger vollkommenen in die Gruppe II und so fort, gleichgültig oi die Jury zwei oder zehn Arbeiten zur Aufnahme in eine Gruppe für würdig hält. Ein derartiges System wäre überhaupt bei künstlerischen Wettbewerben zu empfehlen und entspräche der subtilen Materie weit eher als das bisher gepflogene.

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