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ABSCHIED VOM CHRISTLICHEN THEATER?

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Die Frage ist durchaus berechtigt, ob das christliche Theater noch eine Gegenwartsfunktion habe oder der Vergangenheit angehöre. Zwar sind seit den neunziger Jahren bis zur Gegenwart immer noch christliche Dramen entstanden, die viel gespielt wurden und von denen die meisten noch spielbar sind, man braucht nur die Namen Strindberg, Gerhart Hauptmann, Claudel, Eliot, Bemanos zu nennen. Doch hat nian bei den meisten dieser Stücke das Gefühl, daß sie ein Abglanz früherer geistiger Situationen sind, nicht Spannungen des Religiösen im Zeitalter ebenso gewaltiger wie gefährlicher rationaler Errungenschaften spiegeln. Theater aber ist Gegenwart.

Der Vorwurf, die heutige Bühnendichtung habe, generell gesehen, an Dimension verloren, ist wohl berechtigt, sie verharrt in der Immanenz, auch dann, wenn sie sich — in den wertvollsten Stücken unserer Zeit — ins Existentielle, in den Fundamentbereich unseres Daseins zurückzieht. Die Vertikale — Welt, Überwelt, Unterwelt — fehlt. Es muß damit aber keineswegs die Autonomie des Menschen postuliert werden. Die Frage wird gar nicht gestellt. Der Atheismus aber von Sartres „Der Teufel und der liebe Gott“ läßt in seiner Vehemenz eben jene Kraft spüren, gegen die sich der Autor wehrt.

Die Voraussetzungen für das Entstehen christlichen Theaters scheinen durch den Zustand des heutigen Menschen, des Massenmenschen, mat einer Entfremdung von den tiefsten Bereichen des Seelischen nicht gegeben zu sein. Der Dramatiker ist Exponent der Allgemeinheit, nur wenn er im Unbewußten mit der Allgemeinheit im Konnex steht, vermag er Werke zu schaffen, die Wesenhaftes bieten. In isolierter Verkrustung läßt sich bei angestrengtestem Willen nur Epigonisches erreichen. Gottfried Benn bezweifelte, daß es in einer Zeit, da organisches Leben manipulierbar wurde, möglich sei, ein religiöses Kunstwerk zu schaffen. Motive außerhalb der menschlichen Seele anzusiedeln, schien schon vordem unangängig. Tatsächlich gibt es kaum mehr ein modernes Drama, in dem das Wirken des Schicksals vorgeführt wird. Und der Mensch verflüchtigt sich in den neuesten Entwicklungen des Denkens, im Apres-Sartrisme, im Strukturalismus des Claude Levi-Strauss, bei Michel Foucault, der die Wirklichkeit auf „die Wörter und Dinge“ einengt.

Wie kann da das „christliche Bewußtsein“ auf den Brettern aufblühen? Gebraucht man dieses Wort, ist wohl festzulegen, was darunter zu verstehen ist, erst dann läßt sich erkennen, ob es sich heute im Theater zu manifestieren vermag. Das Christliche inkorporiert Jüdisch-Alttestamentarisches, Stoisches, Platonisches, Zoroastrisches. Schon Konfuzius verkündete etwa fünfhundert Jahre vor Christus: „Was du nicht willst, daß andere dir tun, das tue auch ihnen nicht.“ Und Buddha sprach ungefähr um die gleiche Zeit vom Überwin-

den des Bösen durch das Gute. Das Ethische, die Gleichheit des Menschen, gab es nicht erst seit Christus. Will man nicht das Auch-Christliche, sondern das Essentiell-Christliche, so geht es um den Glauben an die Gottnatur Christi und Seine Heilsbotschaft. Eignet sich dies aber zürn Vorwurf eines heutigen Dramas?

Eine Gesinnung, die schreibend nicht zum Apostolate wird, adaptiert bloß arcana der profanen Literatur“, sagt Albert Paris Gütersloh in der „Rede über Blei oder Der

Schriftsteller in der Katholizität“. Das Werk von Calderon erfüllt diesen Anspruch des Apostolats immer wieder in großartiger Weise. Ja, das gesamte Barocktheater hat, nach einem Wort von Hermann Bahr, „immer nur ein Thema: Gott zu bezeugen, Gott zu danken, Gott zu rühmen; den Herrn will es dartun an der tragischen Herrlichkeit Seiner Schöpfung. Es ist immer Gebet; Lobgebet, Dankgebet, Bittgebet.“ Der Märtyrer, vor die Entscheidung gestellt, ob er seinem christlichen Glauben abzuschwören bereit sei, ist auch als passiver Held immer noch dramatisch, aber wo gibt es ihn heute? Gläubige, Priester wurden in den letzten Jahrzehnten in erschreckend großer Zahl hingemordet, aber nicht wegen ihres Glaubens, sondern wegen angeblicher Konspiration gegen den Staat. Das ist nicht ganz dasselbe. Die Verherrlichung des christlichen Glaubens in einem dramatischen Geschehen bildet in einer Zeit, da die Menschen in ihrer Gesamtheit gläubig sind, einen packenden Vorwurf für das Theater, heute würde der Dichter über epigonisch laue Erbaulichkeit nicht hinausgelangen.

Das heißt aber nun nicht, daß es nicht auch heute Vorwürfe aus dem Bereich des Christlichen für den Dramatiker gäbe. Der Priester in seiner schwierigen Stellung zur so sehr veränderten Umwelt, sei es in totalitären, sei es in den demokratischen Staaten, bietet reiche Möglichkeiten. Und zwar sind Geschehnisse, die sich in der „freien Welt“ begeben, ungleich zeitnäher und ergiebiger als die allzusehr ins bereits Schematische gleitenden Vorwürfe aus den Polizei- und Terrorstaaten. Das Konzil hat so viele Fragen aufgeworfen, die dramatische Sprengkraft besitzen, daß sich hier für das Theater Neuland auftut. Es muß sich keineswegs nur um den Gegensatz junger, reformfreudiger Priester zu älteren von starrer Haltung handeln, wie sich dies besonders in Lateinamerika ausprägt, diese Probleme greifen über den Priesterstand weit hinaus. Die Enzyklika „Populorum Progressio“ des jetzigen Papstes zeigt diese Bereiche auf.

Die Frage, ob es möglich sei, daß christliches Theater weiterhin entstehe, ist schlüssig an den Vorwürfen abzuhandeln, die sich bieten. Man kann da nicht konkret genug sein. Doch wird sich hiebei wohl zeigen, daß sich das spezifisch Christliche, das ausschließlich Christliche heute wohl kaum auf dem Theater in seiner ursprünglichen Intensität manifestieren läßt. In einer Welt, die vom Materialismus und vom Atheismus bedroht ist, Anschauungen, die nicht nur weltweite staatliche Unterstützung genießen, sondern vor allem auch in den selbstentfremdeten Menschen ihren Herrschaftsbereich besitzen, ist wohl das allgemeine, nicht das dogmatisch bestimmte Religiöse das Zentralproblem der menschlichen Entwicklung. Teilhard de Chardin sagt, daß es die wirkliche Funktion der Religion sei, „die Fortschritte des

Lebens zu tragen und anzustacheln“ auf einem Weg, der zu einem Gipfel führt und der heiße „Göttlicher Zielpunkt“. Die Auseinandersetzungen des Menschen in diesem Sinn mit diesen Erlebnisbereichen, die das heutige Theater völlig vernachlässigt, wird wohl auf der Szene aufbrechen, wenn in der Allgemeinheit der materialistische Fortschrittsrausch abebbt. Zukunftsentwicklungen lassen sich gewiß nicht schlüssig vorhersagen. Überzeugung steht gegen Überzeugung. Aber die heutige Diktatur des Rationalen, die den Menschen entmenscht, eintrocknet, dürfte doch wohl nicht das Alpha und Omega der Zukunft sein.

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