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Achtung, Porzellan!

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Noch vor wenigen Jahrzehnten pflegte der vorsichtige Reisende in der Levante eine kloine Waage zur Kontrolle der Goldmünzen mit sich zu führen, um in einem Geldwesen voll der Münzverfälschungen sich vor Schaden zu bewahren. Leider gibt es keine Goldwaage, die den Menschen der Nachkriegszeit helfen würde, ir der herrschenden Verwirrung der Begriffswelt Echtes von Unechtem. Wahrheit von Irrtum und Fälschung mit rasdiem Blick zu unterschieden. Man könnte von Häresien des Denkens sprechen, die eine Umwertung der wichtigsten Begriffsdeutungen des öffentlichen Leben vollzogen haben. Freiheit, Demokratie, Faschismus, Antifasdiismus — in dem gleichen Worte, so sinnbestimmt es sein mag, schimmert eine ganze Farbenskala des Regenbogens der verschiedenen Vorstellungen. Im Namen der Demokratie und des Kampfes gegen den Faschismus brach zum Beispiel dieser Tage kommunistische Jugend in die Universität ein, attackierte den Obmann der sozialistischen Studenten, einen Spanienkämpfer und langjährigen Dachauhähiing, sdilüg vor -dem Auditorium maximum einen anderen nieder, der, stürmisch inquiriert, sich als „überzeugten Christen“ bekannte und agierte und hauste haargenau so wie in ihrer Blütezeit vor acht Jahren Hitlerjugend bei ihrem Sturm auf das Wiener erzbisdiöf-liche Palais; nicht einmal der Fenstersturz fehlte, um, kaum sich dessen bewußt, das getreue Nachbild des nazistischen Faschismus unter dem Titel von Antifaschismus und Demokratie zu liefern; die Verwechslung der Begriffe war vollkommen. Eine gründliche Umschulung wird also in diesen Quartieren ebenso am Platze sein, wie für die jungen Mensdien, die kürzlich an der Universität bewiesen, daß sie den Zusammenbruch der ihnen angelernten Ideenwelt noch nicht verstanden haben.

Ein leidenschaftsloses Wort ist hier geboten.

Als nach der Befreiung des Landes die Hochschulen wieder ihre Pforten öffneten, wiesen Beschlüsse der akademischen Senate dem neubeginnenden akademischen Leben seine Bahnen in eine neue Freiheit. Der Politik sollte fortan der Eintritt in die Hochschulen verboten sein. Sie hatte genug angerichtet. In den jüngstvergangenen Jahren war die Wissenschaft Küchenmagd der Partei gewesen. Parteienpolitik hatte vom Katheder aus vorgeschrieben, was Moral und Recht ist. Das Parteidogma hatte die freie Forschung erschlagen. Der Königsmantel der Wissenschaft war in eine Uniform mit Hakenkreuzknöpfen verwandelt worden. Nun aber sollten die Hochschulen, frei von den Fangeisen, wieder ihrem Berufe, Pflegestätten der Geistesbildung und der freien Wissenschaft zu sein, zurückgegeben werden.

Es war eine Freude, den Erfolg zu sehen. Wer einigermaßen mit dem Hochschulwesen vertraut ist, wußte, was es bedeutete, den Kurs einer jahrelang unter nationalsozialistischer Leitung stehenden geistigen Arbeitsstätte um hundertachtzig Grad herumzuwerfen. Die Umstellung gelang, wie der Verlauf der ersten Semester bewies, störungslos. Lehrer und Studenten wirkten daran mit. Unter harten Bedingungen, unbeachtet von der Öffentlichkeit. Wer hätte schon davon gesprochen, daß hier tausende junger Studenten nach einem jahrelangen Vagantenleben als Soldaten zu fleißiger, geistiger Arbeit zurückgekehrt waren und unter Führung ihrer Lehrer der selbstgewählten Pflicht in kalten, fensterlosen Hörsälen, schlecht ernährt und schlecht gekleidet, tapfer nachgingen. Wer fand es für merkwürdig, daß zwar alle Varietes und Kabaretts gut geheizt sind, aber für Hörsäle und Bibliotheken kein Heizmaterial zu haben jst. Wer von denen, die über die Hochschulen jetzt Klage führen, kümmerte sich darum, daß die Studierenden die Universitätsbibliothek nidit benützen können, die besteingerichte ten Laboratorien und Institute, unentbehrlidie Arbeitsstätten für die wissenschaftliche Heranbildung, während des Krieges in Schutt und Asche gelegt worden sind, daß es keine Bücher gibt, kein Studienmaterial, dafür jedoch zahllose Hemmnisse, die heute Dozent und Student in vorbildlicher Gemeinschaftsarbeit im Zeichen der Wissenschaft, der österreichischen Wissenschaft, zu überwinden trachten! Jeder geradsinnige Arbeiter, wären ihm die Umstände des gegenwärtigen Hochschulstudiums bekannt und könnte er nur eine Woche das Leben der großen Mehrzahl der Wiener Hochschüler beobachten, würde Achtung und freundlidies Verständnis für diese schwer und mutig ringende Jugend haben.

Aber seit Jahr und Tag wird aus irgendwelchen politischen Berechnungen gegen die Hochschulen die Kriegstrommel gerührt. Bald ist es dieser, bald jener Gelehrte, bald Senat, Rektor, die Selbstverwaltungskörper der Hochschulen, bald die Hödisdiulen in ihrer Ganzheit Ziel der Angriffe. Es liegt auf der Hand, weldie Schädigungen der Hochschulbetrieb, zumal die Leistung an den wissenschaftlidien Instituten, durch diese unaufhörliche Beunruhigung von außen her erleiden muß.

Es ist richtig, wenn in einer scharf links gerichteten Zeitschrift es als alarmierend angesehen wird, daß Erscheinungen, wie sie stellenweise vor den Hochschulwahlen sich meldeten, vor einem Jahre nicht möglich gewesen wären. Man hat die Politik, eine leidenschaftliche, parteimäßig und weltanschaulich scharf zugespitzte Politik, angriffslustig in die Hochschule hineingetragen und beklagt sich nun, daß das Ergebnis nicht eigenem Wunsch und Nutzen konveniert. Will man fortfahren, in dem Porzellanladen noch weiteres Unheil anzustiften? Wenn nicht, dann lasse man von dem Versuche, durch parteipolitische Diktate von außen her Wissenschaft und Hochschuljugend kommandieren zu wollen. Was Staat und Volk von den Hochschülern verlangen und brauchen, sind wohlausgebildete Ärzte und Lehrer, Richter und Techniker, gewissenhalte Beamte und schaffende Künstler, Menschen, die, würz elf cste Österreicher, durch Charakter und Leistung in ihren Berufen voranleuc.hten und die Weltgeltung österreichischen Ingeniums und österreichischer Wissenschaft erneuern. Wir können nie so arm werden, daß wir nicht imstande wären, durch die Pflege der geistigen Begabungen unseres Volkes unserem Lande und seiner Arbeit den gebührenden Platz, unter den Nationen zu sichern.

Der Aufstieg österreichischen Geistes, unseres Staates und der Wirtschaft geht durch unere Hodischulen. Sie sind kostbares Volksgut, das liebevolle Obhut verdient. Egoistische Paiteipolitik halte ihre Finger davon!

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