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Adalbert Stifter und die Schule

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Über die Gedanken des Schriftstellers zum Bildungswesen - und zum besonderen Wert der Volksschule.

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Über die Gedanken des Schriftstellers zum Bildungswesen - und zum besonderen Wert der Volksschule.

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Daß Stifter, Österreichs größter Erzähler, heute in der Weltliteratur selbst neben Goethe und Dante gestellt wird, ist bekannt, weniger jedoch seine Bedeutung als Pädagoge, sein Verhältnis zur Schule. Erst vor kurzem hat das bayerische Unterrichtsministerium die von Josef Habitsreutinger in München besorgte Neuausgabe des 1854 von Stifter und Aprent veröffentlichten „Lesebuchs“ für den Schulgebrauch empfohlen.

1850 war Stifter zum Schulrat in Linz ernannt worden. Vor einem Jahrhundert, 1849 und 1850, erschienen seine Aufsätze zur Schulfrage im Wiener Boten. Ihr Inhalt ist von bleibender fundamentaler Bedeutung.

In der Familie sieht Stifter die älteste Schule überhaupt. In keiner anderen ist der Mensch so lange, in keiner anderen geht die Lehre so lieblich und leicht in seine Seele. Aber auch die Familie ist in ihren erziehlichen Einflüssen, wenigstens heutzutage, sehr beschränkt. Die Geschäfte der Eltern lassen ihnen keine Zeit, sich vor allem ihren Kindern zu widmen. Und so fordert er die Fürsorge von der Gesamtheit.

Die Volksschule hält Stifter wegen des elementaren Unterrichts, der in ihr erteilt wird, für die wichtigste Anstalt. In ihr muß alles, was jedem Menschen, und gehöre er dem untersten Stande an, zum menschlichen Leben unentbehrlich ist, gelehrt werden, und zwar nicht bloß gelehrt, sondern es muß so in den Menschen geprägt werden, daß es ihn nie mehr verläßt.

Mit eindringlichen Worten verkündet Stifter den Wert dieser grundlegenden Schule als des größten Bollwerks gegen die Barbarei der Massen. Als einen der wichtigsten Männer im Staate betrachtet er den Volksschullehrer, die Volksschule gilt ihm wohlverstanden als höchste Lehr- und Erziehungsanstalt. Deshalb müsse der Staat alles tun, um sie zu pflegen und zu fördern. Kein Stand sei schwieriger als der des Lehrers. Darum sollte die gesamte menschliche Gesellschaft mit Eifer dafür sorgen, daß solche Männer erstehen, daß sie sich mit Liebe zu dem Fache wenden und daß sie mit Ehren und Auskommen dabei bestehen können. Denn nicht nur einen Reichtum von Kenntnissen, sondern auch die unersetzbare Grundlage für einen rechtschaffenen Charakter gewinnt jeder in der Elementarschule. Ihr nächst höherer Grad, die Bürgerschule, sei, besser gesagt, eine Gewerbeschule, die dem künftigen Geschäftsmann eine höhere Bildung verleihe. Die Wissenschaftsschule sei die erhabenste und letzte, aber nicht die wichtigste. Die Wissenschaft nach ihrem höchsten Fluge zu leiten, sei nicht so notwendig, wie die allgemeine Volksbildung zu verbreiten und zu heben.

Ein Zweig der Wissenschaftsschule ist nach Stifter die Kunstschule. In ihr soll vor allem der künftige Maler, Bildhauer und Musiker seine Ausbildung erlangen. Das Volk weiß echte Kunst zu schätzen, nur muß sie ihm wirklich geboten werden. „Ein einziger Dichter oder Künstler, der mit göttlicher Kraft und Weihe auf seine Zeit zu wirken verstand, hob die Menschheit durch seine Gebilde oft plötzlich um mehrere Stufen höher, wie es Unterricht, Ermahnung und Gesetze nicht gekonnt hätten.“

In seinem Schlußwort „Über die Schule“ meint Stifter, daß alles Übel, das in den Revolutionsjahren die Welt heimgesucht habe, nur allein von den schlechten Erziehungsverhältnissen gekommen sei. „Was je Gutes oder Böses über die Menschen gekommen ist, haben die Menschen gemacht. Gott hat ihnen den freien Willen und die Vernunft gegeben und hat ihr Schicksal in ihre Hand gelegt. Dies ist unser Rang, dies ist unsere Größe.“ Daher müssen wir Vernunft und freien Willen, die uns nur als Keime gegeben werden, ausbilden. Nicht immer die Schuld auf andere wälzen, sondern vielmehr in sich selbst Einkehr zu halten, ist geboten! Die einzelnen bilden die Gesamtheit, und von dem einzelnen muß eine Wiederbelebung des Volksganzen erfolgen.

Alles überschaut Stifter sorgsamen Auges. Die Bildung des Lehrkörpers liegt ihm ebenso am Herzen wie die Bildung der Schüler. Er macht die geeignetsten Vorschläge, den Lehrerstand auch geistig auf eine höhere Stufe zu bringen. Er wendet sich gegen die bestehende Prüfungsordnung mit dem schriftlichen Konkurs und dem mündlichen Probevortrag, verurteilt das Auswendiglernen als solches und läßt nur die innere Beherrschung eines Stoffes gelten. Ihm ist die Pädagogik des Vortrags nichts rein Erlernbares. Im Gegenteil: „Die Gabe, sein Inneres, sein Gemüt, sein Wesen selbst im wissenschaftlichen Vortrag äußerlich zu gestalten, daß es in ihnen (den Schülern) wirkt und sie selber Edleres und Trefflicheres hervorbringen, ist eine Kunst und kommt wie jede Kunst von Gott.“ Der Lehrer muß eben nicht bloß unterrichten, sondern auch erziehen, veredeln können. Die höchste Liebe zum Amt muß ihn leiten. „Wenn die Schüler nichts sind, ist meist der Lehrer schuld, und sollte der Zufall lauter Verwilderte, Verwahrloste zusammengeführt haben, so ist gerade dadurch ein Ansporn zu größerer Sorgfalt in Bildung des Lehrkörpers wenigstens für die Zukunft gegeben.“

Die meisten Errungenschaften der modernen Pädagogik hat schon Stifter, seiner Zeit vorauseilend, der Zukunft als notwendiges Ziel vor Augen gehalten. Er fordert die Errichtung von Übungsschulen neben den üblichen Lehrkursen, die Einführung des Probekandidaten und an den Hochschulen die des Privatdozenten. Alles dies möge gesetzlich geregelt werden, damit nichts der Willkür preisgegeben sei.

Bei seiner religiösen Einstellung war es nur selbstverständlich, daß er auf das innigste Zusammenwirken von Kirche und Schule hohen Wert legte. „Welches Volk in aufrichtiger Verehrung des allmächtigen Gottes vereinigt ist, hilft überall dem Unglücke ab, strebt nicht nach dem Nutzen eines einzelnen Menschen, einer einzelnen Stadt, sondern nach dem aller, und wenn ein äußerer Feind kommt, steht es felsenfest zusammen und errettet seine Kirchen, seine Häuser, seine Weiber, seine Kinder, seine Greise vor dem Verderben und schützt seine Gesetze und inneren Einrichtungen, die ihm Halt und Dauer verleihen.“ Die Religion also bildet die wahre Grundlage der besten Volksgemeinschaft.

Tief beklagt Stifter den Verfall des religiösen Geistes in seiner Zeit. Man halte es für Bildung, sich um Gott und göttliche Dinge nicht zu bekümmern, öfter sei nur die Ausübung der Gebräuche und Zeremonien da, ohne die innere Tugend und Frömmigkeit. „Wohin soll da die Welt kommen? Ist Religion nicht das Heiligste, was die Menschen haben? Wer hat hier einzugreifen?“

Stifter beantwortete die Frage mit einem Hinweis auf Kirche und Schule. Diese bei zeichnen ihm „die beiden Wege, um da, was da verlorenging, wieder zu erlangen, was dem Untergang nahe ist, noch zu retten“.

Aus seinen mustergültigen, der Regierung erstatteten Berichten geht hervor, daß er seine theoretischen Anregungen stets zu verbessern und zu erweitern bemüht war. Nach seiner eigenen Methode untersuchte er den Lehrbetrieb der Schulen auf dem Lande und in der Stadt. Alle Bedingungen zur Lösung der Schulfrage seiner Zeit suchte er zu erforschen. Die klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnisse beobachtete er ebenso genau wie die sittlich-religiösen. Vielen seiner Vorschläge sollte freilich erst in späterer Zeit entsprochen werden.

Der Katholik Stifter war es, der auf die Unverträglichkeit des Mesnerdienstes mit dem Beruf eines Schulmanns hinwies, eine genaue Regelung der Schulgelder forderte, eine geregelte Besoldung der Lehrer womöglich aus Landesmitteln anregte, das Turnen als zweckmäßig empfahl und schließlich vierklassige Lehrerbildungsanstalten als unbedingt notwendig hinstellte. Auch sollte der Lehrer seine Schüler nicht nur ein Jahr behalten dürfen, sondern mit diesen selbst aufsteigen. Die Anfänger im Schuldienst sollten nicht die untersten Klassen unterrichten, denn gerade in diesen grundlegenden Altersstufen sei der Unterricht am schwierigsten und wichtigsten.

Stifters beste Ratschläge nahm man seinerzeit vielfach gleichgültig auf, ihre Saat sollte erst in späteren Jahrzehnten aufgehen. Aber wieviel bleibt noch zu tun, wenn man seine Forderungen richtig bis zu Ende durchdenken und erfüllen will? Denn „der Unterricht ist viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur etwas wissen und es mitteilen können, zur Erziehung muß man etwas sein“.

Wie vor einem Jahrhundert ist auch für die Gegenwart die Schulfrage brennend.

Allen, die sie zu lösen berufen sind, mögen sie links oder rechts stehen, bieten die Aufsätze Stifters ein Programm von bindender Tragweite. Denn sein Schöpfer war weder ein Mucker noch ein Reaktionär, wohl aber ein weltaufgeschlossener geistiger Führer, Humanist und Christ zugleich.

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