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Adel des Geistes

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„ ... Sie fragen, mit welchem Rechte ich so spreche, Doktor? Mit dem Rechte der Wahrheit, das Jeder, der sie redlich suchte und erkannte, ansprechen soll und darf, wenn er auch noch so gut weiß, daß seine Stimme gleich sein wird der Stimme in der Wüste; mit dem Rechte einer Frau, welche die Fehler ihrer Standesgenossinen einsieht and beklagt, die in ihnen den Funken wecken mächte, der einstens zu hoher Flamme aufgelodert und jetzt unter der Asche der Gewöhnlichkeit zu beglimmen droht, den Funken echten, edlen Stolzes, das herrliche Gefühl des eigenen Wertes — freilich ein Gefühl, welches erst errungen werden muß, das nicht angeboren sein kann, nur erworben, denn es ist nichts Gegebenes wie die Geburt, sondern das schöne, glorreiche Zeichen, welches das Bewußtsein der eigenen Leistungsfähigkeit, die Überwindung vieler Kämpfe auf die Seele des Strebenden geschrieben. Gelitten muß der Mensch haben und gedacht, den es erfüllt mit seinem wunderbaren Segen.“

Diese Worte stehen in dem frühesten Prosabuch der Dichterin, den 1858 erschienenen Episteln „Aus Franzensbad“, die ihr literarisches Vorbild in den „lettres d'un voyageur“ der George Sand gefunden haben. Ihr literarischer Einstand war eine scharfe kritische Stellungnahme gegen die Schäden und Fehler in ihrem Stande. Der Welt des österreichischen Adels, der sie entstammte, war in der Monarchie eine ganz besondere Rolle zugewiesen. Die österreichische Aristokratie unternahm, zäh an ihren Überlieferungen festhaltend, nach dem kritischen Jahre 1848 noch einmal den Versuch, als kulturelle Klammer die auseinanderstrebenden Nationalitäten zusammenzuhalten. Die Grundlagen für diesen Versuch gewann sie zunächst einmal aus dem unbedingten Festhalten an der konservativen Idee und der unantastbaren Legitimität des Herrscherhauses, die schon Grillparzer über alle Prüfungen hinweg hochhielt, dann aber auch aus der Geistigkeit des Josephinismus und des Weimarer Humanitätsideals, das gleichzeitig dem Toleranzgedanken und dem religiösen Modernismus in der Sphäre des Hochadels Eingang verschaffte.

Es war dies der letzte, der allerletzte Einsatz für ein Reich, das nach dem unerbittlichen Ratschluß weltgeschichtlicher Gesetzlichkeit dem Untergang geweiht war. Es war ein Einsatz, der halb noch kampffreudig Werte schuf und weitergab, aber auch halb schon in dumpfer Resignation und zerstörender Selbstanklage das Spiel verloren gab. Denn nichts lag diesen Menschen mehr in den Gliedern, als der Schrecken vor der Zukunft, deren unheimliche Zeichen am Himmel erschienen und jene dumpfe Vorahnung nur verstärkten, daß nun das Chaos kommen mußte.

Mit der Hellsichtigkeit des Genies erkannte die Ebner diese Zeichen. Sie spürte sie in den schlummernden Kräften der Ausgestoßenen,der Enterbten des Lebens, gegen deren soziale Bedrückung sich gleichzeitig ihr feines ethisches Gewissen aufbäumt. In der Novelle „Der Kreisphysikus“ ruft sie ihnen zu: „Wenn du gefordert hättest, ich hätte Dir gegeben, ich hätte Dich gelten lassen, wenn Du Dich geltend gemacht hättest... Du hast es aber nicht getan; Du bist schweigend unter Deinem Joche weitergeschritten und wirst so weiterschreiten, bis Du zusammenbrichst und am Ausgang Deines Lebens so hilflos dastehst, wie Du an seinem Eingang gestanden hast.. . Wessen Schuld? ... So wie ich tun Tausende und so wie Du Hunderttausende... — Schon weckt man sie. Zu welchen Taten? Wie werden sie hausen, die plötzlich entfesselten Knechte?“

Eine Frau, eine Adelige, die solches niederschrieb, besaß nicht nur die Hellsichtigkeit den kommenden Dingen gegenüber, sondern auch eine Hellhörigkeit dem sozialen Gewissen gegenüber, deren Frucht ihr reifstes episches Werk wurde, „Das Gemeindekind“. Der historische Zeitabschnitt in der sozialen Entwicklung der Monarchie, der den Rahmen für dieses Werk abgibt, konnte nicht besser gewählt werden. Es ist die Zeit unmittelbar nach der Aufhebung des Robots und der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Zeit, in der im Dorf eben das Bauernregiment an Stelle des Herrenregiments getreten war. Die Frage stellte sich von selbst; war damit wirklich eine soziale Hebung des Bauernstandes, eine Rettung des Landproletariers aus Not und Elend gegeben? Diese Frage wurde von der Ebner im „Gemeindekind“ mit einer erschütternden Offenherzigkeit verneint. Denn — so ist ihre bittere Lehre — eine Besserung des menschlichen Loses können Gesetze allein niemals vollbringen, sondern immer nur Menschen, die von der Notwendigkeit des Besserwerdens in moralischer Hinsicht durchdrungen sind. Die ganze Themenstellung erfuhr eine Abwandlung in Richtung auf das Moralproblem. Und die Ebner beantwortete es, indem sie in der Seele ihres Helden Pavel Holub eine moralische Läuterung Gestalt werden ließ.

Angesichts des Elends und der moralischen Verwahrlosung jener proletarischen Schichten, deren trauriges Leben schon dem Kinde auf dem mährischen Stammgute Zdislavitz vor Augen getreten war, steckt sich selbst und ihrem Stande im Bereiche des Staates und der Gesellschaft eine soziale Erziehungsaufgabe ab. Der Adel hat die Menschen an das hohe sittliche Bewußtsein heranzuführen, das ihm durch die Tradition von jeher als Leitstern vorgezeichnet war, nicht aber zu beherrschen, zu genießen und dem Standesdünkel zu huldigen. Es ist ein Adel des Geistes, den sie von ihrem Stande fordert und den sie ihm vorlebt.

Die Ebner brachte für die ihr durch ihren Stand und sein geschichtliches Schicksal vorgezeidinete Aufgabe neben ihrer Dichterbegabung eine unerbittliche sittliche Strenge mit, die zugleich Mitleid mit den Schwächen der andern bedeutete, ein soziales Gerechtigkeitsgefühl, das ihr die Enterbten des Lebens nahebrachte und schließlich eine konservative Haltung, die sie zugleich die positiven aufbauenden Kräfte ihrer Zeit nicht übersehen ließ. So spricht denn aus jeder Zeile ihres Werkes jene vornehme adelige Gesinnung, die auch heute noch besticht und deren schlagendste und einprägsamste Formulierung sie in ihren Aphorismen fand.

Die geistige Welt Weimars ist ihr zum ersten und stärksten Bildungserlebnis geworden. Aber während Grillparzer und Stifter das Weimar Goethes meinten, so meinte sie das Schillers. An Schillers Werk bestach sie die feurige Begeisterung für das sittliche Ideal. Gerade in den entscheidenden Jahren der Reife wurde es ihr nahegebracht, in einem wahren Rausch der Begeisterung nimmt sie Schiller, wie sie in dem Erinnerungsbuch „Meine Kinder jähre“ bekennt, in sich auf. Mit einem Drama in seinem Sinne — einer „Maria Stuart in Schottland“ — beginnt sie ihr dichterisches Lebenswerk.

Daneben aber nahm sie die geistigen Strömungen des 19. Jahrhunderts in ihrer ganzen Breite in sich auf. Die großen Realisten des 19. Jahrhunderts kennt und verehrt sie. Mit Luise v. Francis und Paul Heyse verbinden sie enge Freundschaftsbande, ebenso mit den österreichischen Dichtern Grillparzer, Ferdinand v. Saar, Betty Paoly, Hieronymus Lorm, Josef v. Weilen. Von den Ausländern schätzt sie besonders den Russen Turgenjew, von dessen epischer Kunst sie viel lernte. Sozial steht sie durchaus auf dem Boden der ideellen Forderungen der Achtundvierziger-Revolution, wenn sie auch die Willkürherrschaft des Pöbels verabscheute. Die Emanzipationsbestrebungen einer Madame de Stael und einer George Sand sind in ihrem Werke/zu spüren, wenn sie immer wieder darin das Recht der Frau auf ihr Persönlidistes, ihre Liebe, gegenüber dem Zwang der FamiKe und des Herkommens vertritt.

Die Ebner verficht einen Sozialismus der Tat, der freilich nicht durch eine Massenlösung, sondern durch die sittlich verantwortungsbewußte Einzelpersönlichkeit ins Werk gesetzt werden soll, die Gutes tut, um das Gute in der Welt zu vermehren, freilich mit der skeptischen Einschränkung, die nicht den Glauben an ein sozialistisches Paradies aufzubringen vermag und der sie in einem Aphorismus Ausdruck gab: „An'das Gute glauben nur die wenigen, die es üben.“ Daß sie selbst zu den Wenigen gehört, ist das Bewußtsein, das ihr Kraft und Stärke für ihre Lebensaufgabe gibt: die Menschen durch ihre Dichtung zu den hohen Idealen der Sittlichkeit und Menschlichkeit zu erziehen, aus denen auch die Dichtung des Weimarer Klassizismus, eines Grillparzer und Stifter lebte.

In ihrem Werke vermag vielleicht da und dort die hervortretende pädagogische Tendenz den künstlerischen Eindruck etwas zu stören. Dennoch stellt sie die männlich-herbe Kraft ihres epischen Vermögens und ihr vom Streben nach Wahrhaftigkeit getragener Realismus den großen Realisten des 19. Jahrhunderts an die Seite. Neben der Droste-Hülshoff und der Ina Seidel ist sie die größte deutsche Dichterin, sicherlich aber die größte Frau, die Österreich hervorbrachte. Der völkerverbindende Gedanke, der diesen Staat zusammenhielt, ist auch der Ihre: „Meine Landsleute sind die Mähren ebensogut wie die Deutschen“, läßt sie Bertram Vogelweid, den Helden ihrer gleichnamigen Erzählung, sagen. „Ich bin ein Österreicher, ich habe ein Vater- und Mutterland und wenn Sie glauben, daß ich hieher gekommen bin, um öl ins Feuer der ehelichen Zwistig-keiten meiner Elternländer zu gießen, sind Sie auf dem Holzweg.“ Und sie ist überzeugt, daß es nur ein Mittel gibt, um die Kluft zwischen Völkern und Klassen zu überwinden: die Menschlichkeit, zu der sich der Adel ihres Geistes jederzeit bekannte.

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