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Adrienne von Speyr in Österreich

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Adrienne von Speyr ist eine Überraschung. Mit 46 Jahren tritt sie plötzlich unter die Laientheologen von heute. Seit 1948 gibt sie Werk um Werk heraus, jedes von reifer Schönheit und Vollendung, das Zeugnis einer kristallenen Seele. Man müßte in der Tat fragen, ob sich unter den heutigen Christen Leser finden, die solche Werke als Geschenk betrachten, als mächtigen Antrieb ins Vollkommene. Es ist wahrhaft erstaunlich, wie diese Frau, die Gattin des Basler Historikers Professor Kaegi trotz jahrlanger Krankheit und einer ausgedehnten medizinischen Praxis eine solche schöpferische Leistung vollbringen kann. Schon als Kind las sie beinahe verstohlen viel heilige Schrift. Denn sie liebte es nicht als fromm zu gelten in einer Umgebung, die es nicht war. Und sie las die Heilige Schrift mit jener Fähigkeit, „Gottes Wort zu hören, wie es gesprochen wurde als Wort der ewigen Liebe“. Und weil sie selber eine Liebende dieses Wortes ist, wird sie nicht nur von einzelnen Worten getroffen, nein, jedes Wort Ihr Anlaß zu unendlicher Betrachtung, „denn jedes von ihnen ist ein Wort der unendlichen, nie auszudenkenden, nie zu erschöpfenden Liebe“. Obwohl sie kaum Katholiken kannte und auch keine katholischen Bücher las, wußte sie doch, daß sie sich mit ihrem Suchen in die katholische Kirche hineinfinden würde. Aber erst 1940, nach einer langen, unglaublich beglückenden Entwicklung, wurde sie in die Kirche aufgenommen. Die Großzahl ihrer Patienten hatte sozusagen bei ihr gebeichtet. Sie konnte diese Beichten nicht mehr tragen, ohne sie ihrem ursprünglichen Sinn, dem Sakramentalen, zurückzugeben. Weil die meisten ihrer Patienten keine Katholiken waren, mußte sie wohl für sie und für sich die Absolution holen, „damit Wahrheit in das Leben, in unser gemeinsames Leben komme, in dieses wahre Leben, das Gott uns anbietet“.

Ihr erstes Werk „Magd des Herrn“, ein Marienbuch, i6t zugleich ein Bekenntnisbuch. In Maria gibt es nichts Privates, das nicht zugleich kirchlich wäre, sie wird zur Idee der Kirche, ihr Jawort durchformt alles. Hier zeigt sich schon die verschwenderische Fülle und Fruchtbarkeit, eine Tiefenschau, die dieser Frau in einzigartiger Weise geschenkt ist.

War schon ihr Marienbudi aus symbolischer Schriftdeutung erwachsen und hatte gerade dadurch diese Lebenstiefe gewonnen, so sind alle folgenden Werke Schrifttheologie, nicht Exegese, nicht Philologie, Sondern eine neue Art von Schrifttheologie. Und so 6ehr sie betont, daß ihre Betrachtungen nur eine Hilfe, ein Anstoß zu eigener Betrachtung sein wollen, immer zeigt sir ihre hohe Fähigkeit, alle Dinge — ganz aus dem Geist der Schrift — bis zu Gott durchzuziehen, und zwar dem dreifaltigen Gott. Und das ist doch schließlich

Theologie. — .Jedes Wort des Evangeliums enthält in sich eine Fülle des ewigen Lebens, die Geheimnisse des Himmels, das Meer der dreifaltigert Wahrheit und Liebe. An den Reden des Herrn ist nichts vergangen und historisch, alles vielmehr aktuelles, heutiges, christliches Leben.“

Ihre Bücher haben also — und das muß betont werden — kein wissenschaftliches Anliegen, sosehr sie von hoher geistiger Kultur durchwohnt sind — nein, es ist das Leben, das gottbezogene Leben, das in ihnen zum Leuchten gebracht wird. Was sie von Johannes sagt, kann von ihrem gesamten Schrifttum gesagt werden: „Es ist als würde das Wort, auch das Wort der Verkündigung, sich dauernd mit allem Menschlichen fceladen, das ihm begegnet, um es heimzutragen zum dreieinigen Gott“ Sie tut dies in einer fast männlichen Sprache, deren Kraft und Feinheit darin besteht, daß sie nahe an das Dichterische herantritt, ohne zu ihm überzutreten. Sie ist wie ein übervoller Becher. Deshalb kann sie geradezu unnachahmlich von der Verschwendung der Liebe sprechen, wie sie dies bei Maria Magdalena tut. Die Salbung Jesu ist ihr nur ein Gleichnis der Verschwendung. Ihre ganze Beziehung wird durch ein einziges Wort ausgedrückt: alles. Alles für ihn. Sie bedient . sich keines Tuches ... Sie selbst nimmt sich als Tuch, sie braucht sich. Man muß nachlesen, wie sie diesen Gedanken für das Wesen der

Kontemplation entfaltet. (Johannes, Die Streitreden, S. 483.)

Solcher Art sind ihre Bücher, fern von jedem Bedürfnis, gerührt zu werden, ganz aus der Wahrheit und der inneren Sicherheit lebend und alle kirchlichen Räume durchleuchtend. Man wünschte sich geradezu ein großes Sachregister zu allen ihren Werken. Dann würde man einigermaßen den Reichtum übersehen können, der in ihnen liegt.

Nach den Betrachtungen über die „Bergpredigt“ erschienen die drei Bände „Johannes“ (1. Prolog und erste Wunder. 2. Die Streitreden. 3. Die Abschiedsreden). Diese Betrachtungen über das Johannesevangelium beginnen dort wo andere aufhören. Sie zeigen, was Kontemplation eigentlich zu leisten hätte. Johannes, der von Jesus Geliebte, erfährt den Sohn Gottes als seinen Herrn und als seinen Freund, und alles Menschliche und Freundschaftliche öffnet ihm Perspektiven der Ubernatur, des Göttlichen, der Liebe des Sohnes zum Vater des dreieinigen Gottes. Eine so herrliche Einleitung zum Prolog ist kaum geschrieben worden.

Nun schenkt uns Adrienne von Speyr ihre tiefen Betrachtungen über den Epheserbrief des hl. Paulus. Wieder dieser ungebrochene Wille, alles, auch die Standespflichten des Christen, in das trinitarische Leben zu tauchen und damit eine umfassende Einheit zu schaffen. Aber trotz dieser Einheit muß man doch jedem raten, sie nicht in einem zu lesen, sondern das einzelne auf sich wirken zu lassen, was sie über Gnade und Glaube, über den Willen Gottes oder das Blut Christi sagt. Oder mit wachsender Freude zu verfolgen, mit welcher Bildkraft und Sicherheit sie das Wollen und Wirken des hl. Paulus dem des hl. Johannes gegenüberzustellen vermag. Johannes hat eine Goldgrube gefunden. Er ist überwältigt vor Freude und muß es allen künden. Paulus beginnt zu überlegen, was man aus dem Goldschatz machen könnte, er beginnt zu gießen, zu formen, Münzen zu prägen.

Der Verlag Herold, dem es gelungen ist, die berühmte Schweizer Autorin nun auch in Österreich heimisch zu machen, hat dem Werk eine sehr schöne Ausstattung zuteil werden lassen.

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