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ÄGNETE

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7. Fortsetzung

,Es gab eine Zeit', fuhr sie nachdenklich fort, ,da idi ihn auf mancher verwegenen Tour begleiten konnte. Er legte sich damals, wohl mir zulieb)fc und aus Sorge um mich, noch einigen Zwang auf. Ich wollte, ich könnte noch wie früher an seiner Seite sein! Das ist wohl für immer vorbei!'

Der Sektionsrat sah mit leichtgerunzelter Stirne vor sich auf den Kies, worin er mit seinem Stodte krause Figuren zeichnete. Es schien ihm nidft zu passen, daß Agnete in meiner Gegenwart so viel von innerer Sorge bekannte.

Idi lenkte das Gespräch auf Agnetens Aufenthalt in den Dolomiten, wir kamen auch auf etliche Bücher der letzten Zeit zu spre-dten, wobei Agnetens kluges Urteil mich nicht weiter überraschte. Idi fühlte mich dabei immer mehr von einer großen inneren Gewißheit erfaßt. Mein Herz, seiner Selbstsucht sich durchaus bewußt, begann Besitz von allem zu ergreifen, was Agneten betraf. Das ist ja das beste “Wunder solcher Leidenschaft des Herzens, daß sie Brücken baut und Stege über alle Abgründe der Seeleneinsamkeit hinweg und daß sie aus Hüben und Drüben ein einziges großes Traumland schafft, das nun zur gemeinsamen hellen Heimat zu werden sich anschickt.

Es schien mir für das erste Bekanntwerden nicht rätlich, midi allzulange in Gesellschaft des Ehepaares aufzuhalten. Auch glaubte ich, Agnete dem Wiedersehen mit ihrem Bruder allein überlassen zu müssen. Und so nahm ich, mich auf die abendliche Zusammenkunft mit den Kameraden berufend, Abschied von Agnete und ihrem Gatten. Es geschah, was ich erwartet hatte: man forderte mich auf, am kommenden Nadimittag wieder heraufzukommen.

Ich legte den Heimweg zu Fuß zurück, die sanften, waldigen Serpentinen hinab, die sich zeitweise mit den Zahnschienen der Seilbahn kreuzen. Einmal, als ich wieder an die Schienen traf, stieg der Wagen eben langsam zur Höhe, dicht an mir vorbei. Unter den wenigen Fahrgästen glaubte ich in einem jungen Manne, der rückwärts an der Aussichtsbrüstung stand, unzweifelhaft Agnetens Bruder zu erkennen. Sein glattrasiertes, für einen Männerkopf fast allzu regelmäßiges Gesicht trug in mandiem unverkennbar die edeleigenartigen Züge der Schwester. Da er vor sich in die wachsende Landsdiaft sah, konnte ich ihn eine Weile unauffällig betrachten. Mein Niederstieg von Agnete fort, sein Schweben zu ihr hinauf, das schien mir wie ein Symbol des Wechsels dessen, was das Herz der Geliebten erwartete. Weilt er jetzt oben bei ihr, sagte ich mir, widerfährt Agnete gewiß die reinere, gewiß die zwiespaltslosere Freude!

Idi verbrachte den Abend in Gesellschaft meines Kameraden, nadi seinem besonderen Wunsch in einem Biergarten, wo eine Mündiner Volkssängertruppe Sich mit schallendem Unfug betätigte. Ich hätte viel dafür gegeben, mit mir und dem, was midi innerlich besdiäftigte, allein zu sein. Ich hörte kaum, was um mich vorging, und mußte mir Gewalt antun, den Kameraden durch meine Teilnahmslosigkeit nicht zu kränken. Schließlich schützte ich Müdigkeit vor und ging, nadi einem Stück gemeinsamen Weges mit dem Freunde, allein zu meinem Gasthof zurück. Als ich aber in mein einsames Zimmer hinauf sollte, vermochte ich es nidit. So kehrte ich um, ging am Theater und der schlafenden Burg vorbei bis zum Ufer des Inns hinab und stand dort eine Weile in der Dunkelheit still. Das Licht der jenseitigen Laternen trieb sich phantastisch auf den kleinen Schlenderwogen herum, die die Reiselust des Innflusses aufwarf. Audi auf der Höhe der Hungerburg waren noch etliche Lichter wach, vielleicht auch eines aus Agnetens Zimmer. Die Finsternis der Berge wuchtete ganz ungeheuerlich darüber, und eine fast grausame Kühle schien von den Sternen herabzuwehen. Der Gedanke, daß Agnete dort oben vielleicht nicht allein sei, ließ mir ihre Seele noch einsamer, noch menschenverlorener erscheinen. Ich sdilug durch die nächtliche Finsternis die Frage zu ihr hinauf: kann und darf es sein, seltsame Frau, einen Weg geben zwischen dir und mir? Und im Augenblick fühlte ich mein eigenes und aller Menschen Schicksal von

Frösten der Einsamkeit geschüttelt wie noch nie zuvor. Mein Herz erkannte in dieser Nachtstunde mit kläglicher Betroffenheit, daß es der Kühle der Einsamkeit, von der es oft so stolz gesungen, im letzten doch nicht gewachsen sei. Noch gab es warmes Blut in ihm, das kreiste und sich sehnte nach anderem Blute. Und war Agnete ihrer letzten großen Flucht ins Außermenschliche, in Ewig-Einsame wirklich gewachsen? Mich kam jetzt fast ein Grauen an davor! Nein! Nein! Es konnte, es durfte nicht sein! Dieses dem Mensdientum sich abwendende, an die Kühle der Ewigkeit sich verlierende ^Jerz, es sollte an die gläubige Wärme meines eigenen Herzens zurück! Und ich wollte, wenn es sein mußte, auch mein Schicksal dafür einsetzen!

£ rief mich die Größe dieser Nacht zum Letzten auf, was ich noch zu geben hatte: mein ferneres Leben, ich erkannte es in nun stärkster Helle, es mußte mit Agnetens Leben verbunden sein, denn so nur war ich selbst den Mächten gewachsen, mit denen es nun zu ringen galt.“ —

So weit hatte Degenhart auf unserer näditlichen Wanderung gesprochen, als ich mich unweigerlich getrieben fühlte, seine Hand zu ergreifen und ihm mit stummem Druck zu sagen, daß ich ihm menschlich, daß ich ihm freundschaftlich sehr nahe sei. Idi fühlte, wie sein Geständnis immer mehr ins Befreite, Rückhaltlose gediehen war; bekannte sich ein Herz mit solchem Freimut einem anderen, so war es Gesetz für das andere, auch sein eigenes Fühlen nicht zu verschleiern. Zudem ergriff mich seltsam und tief, wie der Künstler in ihm das eigene tragische Erlebnis, das er eben erzählte (daß es hier um Tragik gehe, das wußte ich bereits), wie einen ihm von auswärts gebotenen Stoff zu formen, zu klären, zu bewältigen unternahm. Und überdies hatten wir vielleicht die gleiche Nacht wie damals über uns, die gleiche schattenhafte Wucht aufhorchender Berge umgab uns, und die Sterne uns zu Häuptern forderten die immer gleiche Ewigkeit. Der Chorgesang der Kameraden, der uns eben wieder hörbar wurde, er kam nur noch wie ein fernes, fremdes Geräusch an uns heran, in der Seele betraf er uns nicht mehr.

Degenhart, der meinen Händedruck mit Wärme erwidert hatte, fuhr zu erzählen fort, immer klarer, seines Wortes immer gewisser, als läse er aus einem unsichtbaren Buche:

„Nach einer halb schlaflos verbrachten Nadit erwartete ich, den Vormittag im Ciii und auf zielloser Wanderung verbringend, die Stunde des Wiedersehens mit Ungeduld. Ich rechnete keineswegs damit, Agnete in den nächsten Tagen allein zu treffen: ich wußte, daß ich nädist dem Gatten nun auch ihren Bruder mit in den Kauf zu nehmen hatte, aber mein Herz beglückte sich bei jeder Möglichkeit, in der Nähe Agnetens zu sein.

Als ich zur festgesetzten Stunde auf der Terrasse eintraf, fand idi die kleine Gesellschaft bereits am gewohnten Tische beisammen. Und ich sah, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Der Fahrgast von gestern war wirklich Agnetens Bruder gewesen. Ich sagte ihm das sogleich bei unserer Begrüßung und war. überrascht über die warme, unverhüllte Herzlichkeit, mit der er mir von Anfang entgegenkam. Es lag in der Tat allerlei vom Wesen der Schwester in seiner Sprache und seinem hübschen, kühnen Ge-sidit, und besonders das trotzig-wehmütige Lächeln um den feingeschnittenen Mund nahm mein empfindsames Herz im Sturm für ihn ein.

Und er selbt wieder schien, wie gesagt, aus seiner Sympathie für mich kein Hehl zu madien, er zeigte sich über manches in meinem Leben bewandert und hätte auch einige meiner Schriften, wie sich bald herausstellte, mit Interesse gelesen.

(Fortsetzung folgt)

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